Ist das noch queer? – Von Widerstand und Glitzer

Queere Ästhetiken sind allgegenwärtig in der Popkultur. Doch was bleibt von ihrer politischen Kraft, wenn sie zum Mainstream werden?

© Adobe Stock

Camp flimmert durch Popvideos, Harnesses sind Party-Standard und Ballroom-Vokabular taucht ganz selbstverständlich in Insta-Captions auf. Queere Ästhetiken finden sich überall in der Popkultur. Bei Stars wie Beyoncé, Lady Gaga oder Harry Styles genauso wie bei offen queeren Artists wie Chappell Roan oder Troye Sivan. Dass Pop sich queerer Codes bedient – mal aus Solidarität, mal aus Kalkül –, ist kein neues Phänomen. Die Frage, was übrig bleibt, wenn diese Zeichen massenkompatibel werden, stellt sich gerade jetzt und gerade dort, wo queere Repräsentation kaum existiert.

Etwa in Österreich. Hierzulande haben queere Artists – mit wenigen Ausnahmen wie Conchita Wurst – immer noch kaum Sichtbarkeit im Mainstream. Währenddessen zirkulieren die Ästhetiken, die doch eigentlich aus ihrer Geschichte hervorgegangen sind, längst durch Social-Media-Kampagnen und zieren Festivalbühnen. Aber wenn queere Codes und Ästhetiken heute Teil der breiten Popkultur sind, können sie dann überhaupt noch subversiv sein? Wie viel politischer Gehalt steckt noch in ihnen? Funktionieren sie noch als bewusste Störung von Normen, als Kritik an Machtverhältnissen und als Versuch, Räume für andere Formen von Begehren, Körpern und Gemeinschaft zu öffnen? Oder sind sie bloß ein weiteres Accessoire für jene, die nie mit der Realität queerer Erfahrung konfrontiert waren?

Von Schutz zu Style

Bevor queere Ästhetiken gekapert wurden, waren sie vor allem eines: Überlebenszeichen und Vermittlerinnen einer Gemeinschaft, wo keine sein durfte. Blicke, Gesten, Haltungen – all das konnte mehr bedeuten, wenn man wusste, wie man sie liest. Es ging um Sichtbarkeit ohne Entlarvung, um Begehren unter Verbot, um Zugehörigkeit dort, wo Sprache fehlte. Die Kulturwissenschaftlerin Melanie Letschnig bezeichnet das als »Hiding in the Lights«-Prinzip: ein Spiel mit Sichtbarkeit, das Tarnung und Ausdruck zugleich ist. Besonders zeige sich das in Camp, einer queeren Ästhetik, die oft vorschnell mit Kitsch gleichgesetzt werde. Dabei sei genau das, wie Letschnig betont, ein »unproduktives Missverständnis«.

Melanie Letschnig, Kulturwissenschaftlerin (Bild: privat)

Auch Susan Sontag hat in ihrem berühmten Essay »Notes on ›Camp‹« schon vor sechzig Jahren klargemacht: Camp ist kein bloßes »So schlecht, dass es schon wieder gut ist«, sondern eine bewusste Haltung – verspielt, überhöht, oft ironisch – und dabei immer auch subversiv. Für Letschnig bleibt Camp vor allem eines: »Eine Taktik, die immer noch eine erhöhte Sensibilität erfordert.« Camp war nie bloß Stil, sondern immer schon ein lesbares System für jene, die wissen, wie man zwischen den Zeilen lebt.

Und das gilt nicht nur für Camp: Auch der Hanky-Code aus der Lederszene, Drag-Burlesque oder Ballroom-Posen funktionieren als Signale. Queere Glam-Figuren mit knalligem Make-up, Dragkings mit Klebebärten und Chiffon auf der Brust – sie inszenierten schon vor Jahrzehnten etwas, das sich jeder binären Lesart entzieht. Diese Ästhetik zog sich durch Musikvideos der Achtziger und Neunziger, wanderte auf Werbeflächen – und floriert aktuell dank Tiktok-Voguing, Gender-Bending-Fashion-Hauls und hyperfemme Insta-Reels in Social Media. Trotzdem, so Letschnig, könne Camp noch immer etwas eröffnen – gerade wenn es von jenen gelebt werde, die sich bewusst sichtbar machen: körperbetonte, überhöhte Auftritte als Eskapismus, als Form des Gesehenwerdens. Gleichzeitig sei bedenklich, dass genau diese Gesten und Haltungen zunehmend ausgehöhlt werden – Zeichen, die einst Schutz bedeuteten, zirkulierten heute oft als bloße Hülle. Aber: »Camp ist nicht zu vereindeutigen, sondern im Kollektiv stetig auszuhandeln.« Es handle sich dabei nämlich – wie bei anderen queeren Ästhetiken – um ein offenes System. Und genau darin liege seine Kraft.

Sichtbar, aber nicht gehört

Doch Sichtbarkeit allein bedeutet nicht automatisch Repräsentation – geschweige denn Widerstand. Was früher Schutz war, wird heute zum Style, der oft losgelöst von Herkunft und Kontext existiert. Der Medientheoretiker Stefan Schweigler merkt an, dass der Mainstream nie ein neutraler Ort gewesen sei. Für queere Communitys sei er zugleich Chance und Risiko – ein Raum, in dem Anerkennung möglich werde, aber auch Bedeutungen verwässert würden. Schweigler unterscheidet zwischen »queer reading« – dem lustvollen Entziffern queerer Subtexte, auch dort, wo sie nicht beabsichtigt waren – und Queerbaiting, also dem gezielten Anteasern queerer Inhalte, ohne dieses implizite Versprechen je einzulösen. Und selbst wenn queere Ästhetiken schließlich im Mainstream ankommen, warnt er, drohe eine »Entpolitisierung von innen«: die Illusion, man sei längst angekommen. Damit gehe oft auch eine Form von Homonormativität einher – also das Streben nach Anpassung an cis-hetero-normative Lebensmodelle: Pride, aber bitte nicht zu laut; Queerness, aber bitte verheiratet, wohlsituiert und marktfähig. Was einst Widerstand bedeutete, wird so zur Lifestyleoption: politisch entkernt und ästhetisch gefiltert.

Dabei verändert sich auch der Ausdruck innerhalb queerer Szenen beständig. Seit den 2010er-Jahren, so Schweigler, habe sich vor allem eine Ästhetik durchgesetzt, die laut, selbstbewusst und empowernd ist. Pride statt Protest, Optimismus statt Ambivalenz. Das passt gut zur neoliberalen Logik: Wer individuell, sichtbar und marktfähig ist, stört nicht – sondern lässt sich verkaufen. Selbst queere Popstars wie Chappell Roan oder Troye Sivan bewegen sich in diesem Spannungsfeld: Ihre Inszenierungen feiern queere Referenzen, richten sich klar an die Community – und funktionieren gleichzeitig perfekt im Instagram-Algorithmus.

Stefan Schweigler, Medientheoretiker (Bild: Vanessa Scharrer)

Doch auch wenn Pride-Ästhetiken heute von Bühnen und Bildschirmen strahlen, heißt das nicht, dass nun alles gesagt werden darf. Denn selbst offen queere Artists bleiben eingebunden in ein System, das queere Identität zur Marke macht und Sichtbarkeit nur dann duldet, wenn sie sich verwerten lässt. Was viral geht, entscheidet nicht allein das Publikum: Auch Plattformen wie Instagram oder Tiktok kuratieren mit, oft intransparent – und gerade queere Inhalte geraten dabei zunehmend unter Druck. Die Frage ist also nicht nur, wie laut jemand spricht, sondern wer dabei zuhört. Und wer daran verdient.

Demgegenüber stehen queere Stars wie Janelle Monáe oder Arca, die sich nicht in polierten Empowerment-Gesten erschöpfen, sondern gezielt Brüche und Fragilität ins Zentrum rücken. Ihr queeres Erzählen stellt weniger zur Schau, als dass es erinnert – an Scham, Einsamkeit, Ambivalenz. Für Schweigler sind solche Perspektiven essenziell. Sie hielten Räume offen, in denen Queerness nicht glattgebügelt wird – und zeigten, dass politische Wirkung auch dort entstehe, wo jemand die Pose ver- und das Prekäre zulasse. Statt Empowerment als Hochglanzprodukt zu reproduzieren, erinnerten sie daran, dass Queerness immer auch mit Unsicherheit, mit Bruchstellen, mit Nichtzugehörigkeit zu tun habe – und dass genau darin ihr Widerstand liege.

Subversion statt Scheinwerferlicht

In Österreich gibt es diese queeren Popmomente, wie sie diverse US-amerikanische Stars und Sternchen durchleben, kaum. Wer sich in der Alpenrepublik öffentlich als queer positioniert, landet selten in den Radioplaylisten – und schon gar nicht am Podium als Preisträger*in eines gewissen Musikawards, wo Jahr für Jahr eine Parade weißer, cis-hetero Künstler zelebriert wird. Die Codes sind zwar mitunter sichtbar – auf Bühnen, in Kampagnen, in Looks – aber meist entkoppelt von ihrer Community.

Gerade aus diesem Ausschluss entsteht allerdings ein anderer Raum. Ein Hier, das den Untergrund meint, die kleinen Bühnen und DIY-Releases auf Bandcamp. Es ist der Raum, in dem queere Codes überhaupt erst entwickelt wurden: aus Notwendigkeit, nicht aus Stilgefühl. Und genau dort, in diesem Spannungsfeld zwischen Unsichtbarkeit und Unbeugsamkeit, lebt etwas auf, das politischer ist als jede Spotify-Kampagne zum Pride Month.

Junge österreichische queere Artists – viele von ihnen trans, nicht-binär, BIPoC, neurodivergent oder mit Klassismus- oder Migrationserfahrung – machen Musik, die aus komplexen, intersektionalen Lebensrealitäten schöpft und queere Existenz nicht nur sichtbar macht, sondern als politischen Akt gegen (hetero-)normative Systeme verteidigt. In ihren Songs geht es sowohl um Gewalt, Einsamkeit, Überleben als auch um das Recht auf Lust, Nähe und Sichtbarkeit. In einem kulturellen Klima, das Queerness zu oft entweder ignoriert oder vereinnahmt, bringt dieser subversive Raum etwas zurück: die Frage, was Queerness eigentlich heißt – jenseits des Marketings.

Hier schließt sich der Kreis. Wenn queere Codes im Mainstream auftauchen, verlieren sie oft ihren Kontext. Doch, wie Schweigler betont: »Es bleibt immer ein Rest.« Selbst weichgespülte Queerness könne nicht vollständig neutralisiert werden, sondern provoziere – Reaktionen, Kritik, neue Auseinandersetzungen. »Vielleicht brauchen wir neue Codes«, sinniert er – neue Codes als Antwort auf jene Zeichen, die vereinnahmt wurden.

Und genau dieses Spannungsfeld erzeugt neue Bewegung. Wo Repräsentation sich als bloße Pose entpuppt, entstehen Räume, in denen Queerness wieder politischer wird – in Texten, Sounds und Bildern, die nicht auf Gefälligkeit zielen, sondern auf Sichtbarkeit. Wenn queere Inhalte global wieder gelöscht, verdrängt, verbannt werden, zeigt sich: Selbst Kommerz kann nicht alles glätten. Schweigler nennt das ein »Störpotenzial«, das selbst im Glitzer greife. Und vielleicht ist es gerade dieser Widerstand im Glanz, der queere Popkultur neu aufladen kann.

Wer sich näher mit queeren Ästhetiken und ihrer politischen Bedeutung beschäftigen will, findet in Stefan Schweiglers Ende Juni erscheinendem Buch »Queering Home – Medienpraktiken als Infrastrukturen der Sorge« theoretische wie praktische Denkanstöße.

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