Wien, du tote Stadt

Wie klingt Wien? Das wollen heuer gleich drei Bücher wissen und haben dafür die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts komplett umgegraben. Wir leisten uns den Wahnsinn, die Frage ins Jetzt zu holen. Wien, wie klingst du?

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Natürlich hat Wien einen Sound. Denn unterm Strich sind es immer einzelne Menschen, die Musik machen, es sind ganz konkrete Songs und Videos, die aus einer Stadt kommen. Blöderweise aber sind die meist vollkommen unüberschaubar, heute mehr noch wie früher. Sie tauchen in Nischen ab, in Proberäumen und Bars, in Tumblr und auf Soundcloud, verschwinden im globalen Rauschen von Flugzeugen und Bytes. Ja, wir haben Internet. Musik kann sich heute von einem physischen Ort ablösen. Das war lange Zeit nicht so. Zwei Wiener Schulen im Lauf der Jahrzehnte, Austropop und der Boom von Downbeat, können das noch bezeugen. Dabei hat es in den 90ern den »Vienna Sound« eigentlich gar nicht gegeben. Es liegen musikalische Welten zwischen Toscas »Opera« und »Hotel Paral.lel« von Christian Fennesz. Aber der Begriff hat geholfen, dass im Ausland darüber geschrieben wurde, dass Musik wie diese selbst in San Francisco oder einer Bar in Montana laufen konnte. Das ist die Macht eines Wortes.

Etwas ansatzweise Ähnliches ist heute nicht in Sicht, ein bestimmender Klang. Zu unterschiedlich sind die Stimmen, die Sounds, die Inhalte. Man landet also schnell wieder bei konkreten Songs und Videos, die mal deutlicher, mal weniger hörbar aus dieser Stadt kommen, und bei ziemlich wackeligen Argumenten, warum das für Wien stehen soll und etwas anderes nicht. Es können Dinge In Wien riesig sein und im Ausland völlig unbekannt. Oder umgekehrt. Oder erfolgreich, aber fad. Den meisten Musikern ist ihr Wohnort sowieso herzlich egal. Andere, wie Ja, Panik, lassen vor dem Auswandern noch einen kleinen, bösen, lustigen Abschiedsbrief über die Falle Wien zurück.

Kein Wien ist eine Insel

Aber ganz ohne Ort geht es dann auch nicht. Wien ist keine Insel, die Stadt prägt mit ihrer Geschichte, ihren Gesetzen, ihren Medien die Lautstärke einer Szene mit. Dazu gehört der Österreichische Rundfunk mit seinem Leuchtturm FM4 und ansonsten völliger Ignoranz lokaler Musik. Major-Labels wurden zu Drohnen internationaler Konzerne zurückgebaut und machen seit Jahren das Gleiche. Zu Wien gehört aber auch ein hervorragendes Beratungszentrum wie das Mica, die wohlmeinenden Förderungen von Departure, die undurchsichtigen Förderungen des Musikfonds, die Kulturgelder der Stadt, die schleppende Ostöffnung, weniger Turbofolk, der langsame Tod der alten Musikindustrie, der Medien, die langatmigen Diskussionen über Breitbandabgaben und Urheberrecht, die harmlosen Amadeus Awards, fehlende Transparenz beim Verteilen von Geld an die Künstler, die vielen Musikschulen und Konservatorien, Proberäume, die Sperrstundenverlängerung, Festivals, Clubs, Bars und vor allem Menschen, die sich für Musik die Seele aus dem Leib hackeln und dafür ihre Existenz riskieren. Man muss noch mehr aus Überzeugung handeln. All das macht eine Stadt und ihren Sound aus und ist ihr Boden.

Früher waren es oft ganz bestimmte Orte, ein Plattenladen, eine Clubschiene, Sendung oder ein Festival, die ein diffuses Rauschen bündelten und verstärkten. Mit dem Netz geht es heute ohne sie. Aber diese Räume können weiterhin Impulse aussenden und sie beschleunigen. Man trifft sich zufällig, feiert, diskutiert, vernetzt sich, kommt auf Ideen. Was sich später als Kristallisationspunkt herausstellt, hängt allerdings ganz allein davon ab, welche Songs in dessen Windschatten geschrieben werden. Und immerhin, im gesamten neuen Jahrtausend kam noch nie so viel großartige, fantastische und bemerkenswerte Musik aus Wien wie in den letzten drei Jahren. Da gab es Soap & Skin, Ja, Panik, Klangkarussell, Cid Rim, Vamummtn, Nazar, Parov Stelar – eigentlich aus Linz –, Elektro Guzzi, Clara Luzia, Ginga, Brenk mit S3, Luise Pop, Kamp & Whizz, Left Boy, Sohn, HVOB, Kreisky, Fauna, Mile Me Deaf, Patrick Pulsinger, Francis International Airport, Wolfram und mindestens sieben weitere Platten, die hier stehen sollten.

Roter Faden

Und was sollten die schon gemein haben? Nun, möglicherweise Schmäh, eine Art von Ironie, die ziemlich beißend werden kann und ein leichter Hang zum Aktionismus. Natürlich gilt das nicht für alle, aber für überdurchschnittlich viele. Patrick Pulsinger, der in der Jury des SKE-Fonds und heuer als Popfest-Kurator sehr viel Musik aus Wien hören muss, hält das auch schon für den einzigen roten Faden, den man der Stadt unterstellen kann. Diskutabel ist da schon die Behauptung, dass es in Wien mehr Proberäume und klassisch ausgebildete Musiker gibt als anderswo, die dann teils selbst Songs schreiben oder für Arrangements ins Studio geholt werden. Wien ist nicht so groß, dass man sich nicht bald kennt.

Ziemlich erledigt hat sich dafür die Gemütlichkeit, zumindest in der Musik selbst. Dope Beats gibt es nicht mehr. Aber eine entspannte Grundhaltung. Das mag mit dem hohen Lebensstandard zu tun haben, den man in Wien auch mit relativ wenig Geld erreicht. Wien zwingt einen nicht, Risiken einzugehen. Wien zieht den Stachel, weil es sich in der Wiener Blase ganz leicht leben lässt. Als Band ist man schnell auf dem Cover einer Wochenendbeilage, spielt ein ausverkauftes Konzert, sammelt Likes, gibt Radiointerviews und schon sind die Egos voll. Wer mehr will, wird schnell schief angeschaut. In diesem Klima haben es ein paar Leute verschlafen, überhaupt ein Album zu machen – immer noch die wichtigste Währung für internationale Aufmerksamkeit – oder sie haben die Chance verpasst, damit einen Fuß aus Wien hinaus zu bekommen. Sieht man sich internationale Tourpläne oder die Line-ups der großen Festivals an, gehen die Glanzlichter schnell aus. Das könnte sich mit dem Eurosonic im Jänner 2014 ändern. Dort beim europäischen Branchentreffen, wo ein paar Weichen für die darauffolgenden Monate gestellt werden, steht Österreich erstmals im Fokus. Zumindest bis dahin gilt noch: Wien, du tote Stadt, wir finden dich auch so ganz herzig.

Einen jährlichen Querschnitt durch Wiener Musik bietet das Popfest, heuer von 25. bis 28. Juli rund um den Wiener Karlsplatz.

Zum Thema Wienpop außerdem:

Gespräch mit Patrick Pulsinger, Vera Kropf, Cid Rim und Trishes

Leitartikel Thomas Weber

Kleine Appendix zu den Büchern:

"Im Puls der Nacht – Sub- und Populärkultur in Wien 1955–1976" von Heinrich Deisl

"Wienpop: Fünf Jahrzehnte Musikgeschichte erzählt von 130 Protagonisten" von Walter Gröbchen, Thomas Mießgang, Florian Obkircher und Gerhard Stöger

"Schnitzelbeat – Handbuch zu Rock-N-Roll, Beat, Folk, Pop und Proto-Punk in Österreich (1956–1976)" von Al Bird Sputnik

Bild(er) © Kurt Prinz
Michael Snoj / Falter Verlag
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