»Je cooler man heute ist, desto uncooler findet man FM4«

Bist du immer noch at home, baby? FM4 wird 20. Thomas Weber macht sich deshalb über das Image und die Zukunft des Radiosenders Gedanken.

THESE 2

„FM4 taugt noch immer zum Reibebaum. Viele, die über den Sender schimpfen, haben allerdings keine Ahnung“

„Auf ihre jeweilige kleine (Szene-)Welt umgelegt, ist den meisten FM4-Kritikern der Sender schlicht zu wenig elitär, zu wenig nah am unmittelbaren eigenen Empfinden. Das Verhältnis zum Sender ist dabei vergleichbar mit einer Freundschaft, die sich auseinanderlebt. Wo es passieren kann, dass sich die emotionale Bindung zueinander, die gemeinsamen Erfahrungen und Wurzeln sowie die bestehen bleibende Grundsympathie in einer aufrichtigen Hassliebe auflösen. Rationaler Argumente bedarf es dabei oft keiner.“

Diese Feststellung stammt zwar schon aus dem Jahr 2004 – als The Gap zum zehnten Geburtstag des Senders in einer Coverstory das „FM4-Universum“ umriss. Der Vergleich trifft 2014 mehr denn je zu. Nur dass zehn Jahre später die alte Freundschaft für manche irreversibel zerrüttet ist. Für unverbesserliche Szene-Menschen (für welche das eigene Koordinatensystem immer weniger mit jenem des Senders deckungsgleich ist) ebenso, wie für diejenigen, die sich ganz aus den Subkulturen zurückgezogen haben (aber ein wenig belächeln, dass „die bei FM4 immer noch nicht ganz erwachsen sind“). Auch rationaler Argumente bedarf es immer noch keiner.

Weil man sich von früher kennt, glaubt man Bescheid zu wissen. Und im Gespräch mit Gleichgesinnten bestätigen sich die eigenen Vorurteile vortrefflich. Gehört haben ihn viele derer, die über den Sender sudern, wenn man nachfragt, „schon seit Jahren nicht mehr“.

THESE 3

„Ohne FM4 wäre der ORF weniger öffentlich-rechtlich“

Stimmt schon: Wer sucht, wird auch auf FM4 belangloses Geblödel und Geplapper finden. Und neben dem unverbildeten Charme mancher Moderatoren hört man auch die Kehrseiten des Dilettantismus.

Trotzdem: In seiner Gesamtheit ist FM4 zutiefst öffentlich-rechtlich und dem verpflichtet, was die Branche Neudeutsch „Public Value“ nennt. Es gibt einen – verglichen mit kommerziellen Sendern – hohen Wortanteil, englischsprachige News und „Reality Checks“ zu den brennenden Themen der Zeit, vieles davon in bester Tradition des anglo-amerikanischen Radiojournalismus.

Hier merkt man, dass für das Tagesprogramm von FM4 manche Formate des englischsprachigen Vorgängersenders Blue Danube Radio weiterentwickelt wurden. Auch die Popkulturberichterstattung orientiert sich weitgehend an journalistischen Kriterien. Es geht weniger um Big Names und nicht um die kommerziellen Interessen der Kulturindustrie oder geldgebender Konzerne, sondern meist um Musik aus dem Hier und Jetzt. Das heißt: Auch Musik aus Österreich hat auf FM4 einen besonderen Platz. (Was im Umkehrschluss bedeutet, dass österreichischen Musikern ohne FM4 eine ihrer wichtigsten Plattformen fehlen würde).

Auch Nischenbewusstsein wird auf den Frequenzen des Senders kultiviert – am überzeugendsten im sonntäglichen „Sumpf“, mitunter aber auch nächtens, wenn sich der Nachwuchs am Mikrofon versucht. Ein Mut zum Scheitern, der dem ORF sonst weitgehend abhanden gekommen ist, der es aber eben auch mit sich bringt, dass Belangloses on air geht. 
Neben dem großen Bruder Ö1 bietet damit einzig FM4 dem ORF eine ernstzunehmende Berechtigung, für sein Radioprogramm von der Bevölkerung Gebühren einzuheben.

Praktischerweise hat sich FM4 auch als eine Art Kaderschmiede für den ORF bewährt. Das gilt nicht nur für Fernseh-Comedy-Formate, sondern auch für seriöse TV-Features (auffällig zuletzt etwa FM4-Charts-Moderator Robert Zikmund) oder das Sportstudio (Claudia Unterweger und Mari Lang).

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THESE 4: „FM4 ist ein Gefangener des ORF“

Bild(er) © Personen im Foto, letzte Reihe: Harald Waiglein (Homebase, Direktorium des Europäischen Schutzmechanismus ESM), Martin Stiksel (Mitbegründer Last.fm) Mitte, von links nach rechts: Clemens Haipel, Claudia Schäfer (Zara, Zivilcourage und Antirassismus), Stefan Pollach (Agentur Media Conult), Martin Blumenau (Chefcontroller), Monika Eigensperger (Leiterin FM4), Markus “Makossa” Wagner-Lapierre (Musikchef FM4), Matthias “Functionist” Schönauer (Leiter FM4 Produktion), Andreas Ederer (Musikredaktion), Pamela Russmann (Fotografin)

Vorne, von links nach rechts: Robert Rotifer (FM4 Heartbeat, Popfest-Kurator), Gerald Votava (Projekt X), Eva Umbauer (FM4 Heartbeat), Dirk Stermann, Christoph Grissemann, Marian Schönwiese, Christian Lehner (FM4 New York, jetzt FM4 Berlin), War nur kurz dabei und weiss nicht mal FM4 selbst, Hannes Eder (General Manager Universal Music Austria, zeitweilig Starmania Scharfrichter), Florian Horwath (Musiker) Eine grössere Version des Fotos gibt es hier.
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