Kennst du The Jogging? Nein? Vielleicht verwendest du das Internet falsch. Dort findet man nämlich Kunst, wenn man sie am wenigsten erwartet.
"Kunst ist überall" – eine schon fast unerträgliche Plattitüde, die uns an die Seidenmalereiästhetik gewisser Weltverschönerer erinnert. Aber abseits dieses Souvenirstils breitet sich Kunst tatsächlich an Orten aus, an denen man sie nicht vermutet: Neben dem Journalismus ist die Kunst einer der Bereiche, in dem das Internet als innovatives Medium gerade besonders intensiv verhandelt wird. Es wirkt, als ob an jeder virtuellen Ecke jemand dazu aufrufen würde, Facebook mit Kunstwerken zu erobern und Projekte wie Hennssey Youngmans "Art Thoughtz" und Casey Jane Ellisons "Touching the Art" haben es sich zur Aufgabe gemacht, dem ignoranten Internet die hohe Kunst näherzubringen.
Offlinekunst ist im Internet durch Seiten wie Artnet, die Webpräsenz von Auktionshäusern und Online-Portfolios schon gut etabliert. David Hockney malt auf einem iPad? Wie Hockney Technologie verwendet war immer schon interessant, mit Internetkunst hat das aber nichts zu tun, solange die Resultate ausgedruckt in einer Galerie hängen. Selbst, wenn man die Gemälde auf Hockneys Website betrachtet, bleibt klar, dass sie nach den Regeln der Offline-Welt entstanden sind. Das Internet aber hat seine eigene Logik.
Asymmetrischer Kunstaggregator
Am anderen Ende des Spektrums stehen Kunstprojekte wie "The Jogging", bei denen sehr schnell klar wird, wie eng ihr Verhältnis zur Funktionsweise des Internets und den Gepflogenheiten der Leute, die es intensiv verwenden, ist. The Jogging ist ein Kunstaggregator oder vielleicht eine Online-Galerie, die Tumblr dazu nutzt, einen nicht abreißenden Strom an Bildmaterial zu posten. Das 2009 von Lauren Christiansen und Brad Troemel gegründete Projekt ist dezidiert kollaborativ: Es besteht aus einem Kern an Mitarbeitenden, ein großer Teil des Materials sind aber Einreichungen anderer. Diese asymmetrische Konstellation aus Portal, Content-Producern und Öffentlichkeit ist eines der Erfolgskonzepte des Internets.
Hyperdigital Aesthleticism
Der Stil von The Jogging ist atemlos, hyperdigital und selbstreferentiell. Brad Troemel hat dafür den Begriff "athletic aesthetics" geprägt – eine Kunst, die nie haltmacht, immer auf der Suche nach dem Neuesten ist und auf der Welle der Internetaufmerksamkeit reitet. Das endlose Bildermeer von Tumblr ist der ideale Hintergrund für so eine Praxis. Die Posts von The Jogging gehen in diesem Meer auf; sie sind darauf ausgelegt, auch außerhalb des Kontextes ihrer "Galerie" zu funktionieren. Hier wird das Haschen nach Aufmerksamkeit, das von /b/ auf 4chan bis zu den Facebook-Newsfeeds das Internet prägt, zur künstlerischen Methode.
Screenshots in der Galerie
Bei Werken wie "Butter#2", "Cruzing", "Truthe" oder "#mumbleporn" hat man nicht das Gefühl, dass sie irgendwo anders außer im Internet sein wollen. So wirklich funktionieren sie wohl auch nur dort: Ohne den Kontext von Tumblr, ohne die Zahl der Notes darunter und ohne der durch kryptische ASCII-Zeichen anonymisierten Links zu den Websites der Künstlerinnen und Künstler ergäbe das alles viel weniger Sinn. Eine Offlineausstellung mit Werken von The Jogging müsste aus Screenshots bestehen. The Jogging, das ist Kunst im Internet, durch das Internet, über das Internet und für das Internet.
Am besten zufällig
The Jogging ist am besten Weg, ein weitreichendes Phänomen der Kunstwelt zu werden, ist aber natürlich keineswegs das einzige Format, das Internetkunst kennt. Interaktiver Content ist einer der Pfeiler des Internets. Mittlerweile haben sich die Berührungsängste zwischen Kunst, Literatur und Spiel deutlich reduziert. Im Kunst-Mainstream ist das zwar noch kaum angekommen, aber für Internet-User ist es eine Selbstverständlichkeit. Das Flash-Animations-Portal Newgrounds zum Beispiel gehört zu den Urgesteinen des Web 2.0. Und selbst dort finden sich im Dauerfeuer der Belanglosigkeiten hier und da sowohl formal als auch inhaltlich innovative Perlen. Genauso wie bei The Jogging, dessen Kunst in die Content-Verwertungsmaschinerie von Tumblr entlassen wird, bezieht Internetkunst den Kontext, in dem sie sich befindet, mit ein. Paradoxerweise gehört es bei Internetkunst oft dazu, dass sie nicht als Kunst erkannt wird.
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