Kennst du The Jogging? Nein? Vielleicht verwendest du das Internet falsch. Dort findet man nämlich Kunst, wenn man sie am wenigsten erwartet.
I warned you about the internet bro!!!! I told you dog!
Anderswo finden die interaktiven Werke von Autorinnen und Autoren wie Nina Freeman, die sich in ihren Spielen autobiografisch mit dem Erwachsenwerden und Sex beschäftigt, und David OReilly, dessen Krypto-Spiel "Mountain" kürzlich für Verwirrung sorgte, kritische Anerkennung. Die Bandbreite reicht hier von Positionen wie dem experimentellen "Façade" von Michael Mateas und Andrew Stern bis zu der epischen Serie "Homestuck" von Andrew Hussie, die sich sicher nicht als Kunst im engeren Sinne versteht, sondern im Überschneidungsbereich zu Jugendliteratur und Internetsubkultur zuhause ist. Weil sie selten in Reinform vorkommt, ist Kunst im Internet oft nicht leicht zu erkennen und meistens ist es schwer nach ihr zu suchen – am besten, man findet sie zufällig.
Niederschwelligkeit als Tugend
Die Niederschwelligkeit des Internets hat all diese Projekte möglich gemacht und ist die größte Stärke und Chance für Kunst im Internet. Das sollte uns an eines der Grundprinzipien des Internet erinnern, dass es nämlich in beide Richtungen funktioniert. In der Jugend des Netzwerks war das noch eine Selbstverständlichkeit. Für die militärischen und wissenschaftlichen Anwendungen und die Usenet-Communities der 70er und 80er war das Internet noch ein utilitaristisches Werkzeug, das eine kleine Gruppe eingeschworener User mehr oder weniger gleichberechtigt verwendete.
Contenu Trouvé
Die Trennung zwischen Produzenten und Konsumenten hat sich online erst in den 90ern mit der benutzerfreundlichen Browser-Oberfläche des World Wide Web durchgesetzt. Heute erwartet das Internet von seinen Digital Natives, dass sie Experten im Finden, Filtern und Weiterreichen von Informationsbruchstücken sind, um auf Facebook, Pinterest und Tumblr bereits vorhandene und anderswo im Internet gefundene Inhalte weiter zu verbreiten – contenu trouvé sozusagen. Das Entdecken und publikumswirksame Verteilen des frischesten und viralsten Contents ist inzwischen als Sport und als Geschäft beinahe so angesehen und viel verbreiteter, als das Schaffen neuer Inhalte. Jeder ist ja heute Kurator.
Ein Ort der User
Nichtsdestotrotz ist die Schaffenskraft des Internets ungebrochen. Seine Funktionalität als Werkzeug zum Austausch, niederschwellige Publikationsmethode und Kanal zur direkten und kollaborativen Reflexion ist zu grundlegend, als dass sie so einfach vergessen werden könnte. Die anarchische Kreativität, die immer wieder aufblüht, und auch die Kuratorenmentalität selbst sind Zeichen dafür, dass das Internet ein Ort der User bleibt. The Jogging ist ein wunderbares Beispiel, bei dem all diese Faktoren zusammenspielen.
What is this I don’t even
Gleichzeitig ist diese Niederschwelligkeit eine Herausforderung für das Publikum: Es bekommt die Kunst nicht am Silberteller einer Ausstellung präsentiert, sondern muss sie in teilweise obskuren Ecken des Internets entdecken und, um die Kunst zu verstehen, die dem Internet eigene hyper-intertextuelle Sprache beherrschen. Vor allem muss das Publikum selbst entscheiden, ob das, was es da gerade sieht, überhaupt Kunst ist. Steve Roggenbuck, der einen auf Youtube anschreit, How To Basic, Rented Kisses – ist das Kunst? Vielleicht ist es gar nicht so wichtig, das so genau zu wissen.
Das bestmögliche Internet
Was aber auf jeden Fall immer wichtiger wird, ist aus dem, wie MIT-Wissenschaftler Ethan Zuckerman das nennt, homophilen Internet auszubrechen, das einem nur Dinge zeigt, die man eh schon kennt, Inhalte, die man sowieso mag und die man ohne viel Anstrengung konsumieren kann. Ein Beispiel dafür ist Facebook, das großen Aufwand betreibt, uns mittels Algorithmen einen Newsfeed zu präsentieren, der uns durchwegs gefällt. Stattdessen gilt es, so wie The Jogging das vormacht, die Wand zwischen Produzieren und Konsumieren nicht zu dick werden zu lassen und das Internet durch das Ansehen (und Produzieren) des bestmöglichen Contents zum bestmöglichen Internet zu machen. So nimmt Kunst dann auch das Netz ernst.