Mit ihrer Forderung, die MTV Music Awards mit drei Millionen Euro nach Wien zu holen, sieht die Junge ÖVP ziemlich alt aus. Was kommt als Nächstes? Ein Wurlitzer-Volksbegehren?
Ein Gedankenexperiment: Angenommen, die Wiener Stadtregierung hätte einem nordamerikanischen Entertainmentkonzern drei Millionen Euro an öffentlichen Geldern zugesagt, damit dieser sich in einem Spektakel selbst feiert und inszenieren kann. Wie würde wohl die ÖVP reagieren? Genau, sie würde Gift und Galle spucken. Und die Verschwendung von Steuergeldern beanstanden. Und zwar zu Recht. Weil das Geld andernorts fehlt und in struktureller Kulturförderung oder in Tourismusankurbelungsmaßnahmen langfristig besser aufgehoben wäre als in einer einmaligen Show. „Die Idee, ein kommerzielles Event eines US-amerikanischen Fernsehsenders mit Millionen an Steuergeld zu finanzieren,“ wäre da wohl zu hören, „ist höchst problematisch“.
Tatsächlich fordert die städtische ÖVP (genauer: die Junge Volkspartei Wien) das genaue Gegenteil. Weil der Sender MTV – ja, es gibt ihn noch! – die Stadt eingeladen hat, ein Offert für die Austragung seiner European MTV Music Awards in Wien zu legen und damit gegen andere europäische Städte zu pitchen. Laut Die Presse wären dafür in Summe drei Millionen Euro nötig. Und da die Stadt die von der MTV-Mutter Viacom bis Ende März gesetzte Frist hat verstreichen lassen, wittert nun die JVP Wien ihre Chance – und wettert gegen die Stadtregierung. Weil sich diese bislang nicht dazu geäußert habe, meint JVP-Mann Nico Marchetti in einer Aussendung, die rot-grüne Stadtregierung wäre „gerade dabei, diese Chance zu vergeigen“.
Keine Ahnung von der Medienrealität
So weit, so durchschaubar – in der Reflexartigkeit dieser Reaktion. Und auch unausgegorene Vorschläge profilierungsbedürftiger Jungfunktionäre wären keine Seltenheit oder gar Besonderheit der Schwarzen. Dass sich allerdings Stadtparteiobmann Gernot Blümel nicht zu blöd ist, das obskure Anliegen zu unterstützen, zeigt vor allem, dass die ÖVP in Wien nicht nur schlecht beraten ist, sondern vor allem: dass sie keinerlei Ahnung von der Medienrealität anno 2017 hat.
„Jugendliche wünschen sich European MTV Music Awards in Wien“, behauptet man da via OTS. Auf welche Jugendlichen sich die Aussendung bezieht, wäre interessant zu wissen. Popkulturellen Stellenwert hat MTV seit bald zehn Jahren keinen mehr. Damit ist MTV – wie der Wurlitzer oder das Hard Rock Cafe – ein Fall fürs Popmuseum. Die Definitionsmacht ist passé. Zwischen 2011 und 2014 war der Sender hierzulande nur via Sky zu sehen. Vor zwei Jahren stellte MTV konsequenterweise sein eigenständiges deutsches Programm ein. Seit Kurzem ist MTV vor allem via Livestream verfügbar.
Das letzte Mal halbwegs relevant war MTV hierzulande in etwa 2010 – als der heutige Außenminister, die ÖVP-Nachwuchshoffnung Sebastian Kurz, im Wiener Wahlkampf mit seinem protzigen „Geilomobil“ für Lacher sorgte. Ein Kapitel, das JVP-Chef Kurz heute selbst eher peinlich ist – und wohl nicht zufällig in seinem Wikipedia-Eintrag ausgespart bleibt.
Angenommen, wir lassen diesbezüglich künftig alle dämlichen Witzchen und das ewige Rumreiten auf der Sache mit dem Geilomobil. Kann uns die JVP dann künftig mit Standortvorschlägen zu Gunsten von MTV verschonen? Beides wäre mittlerweile verjährt.
Thomas Weber ist Herausgeber von The Gap und Biorama, auf Twitter ist er unter @th_weber zu erreichen.