Unbekannte Autoren. Aus Österreich. Belletristik. Wirtschaftlich gesehen sind das nur selten die Zugpferde eines Verlags. Ein österreichischer Sachbuchverlag startet jetzt trotzdem genau damit.
Geh hin, stell einen Lektor
Liest man in der Serie "Das anonyme Job-Protokoll" des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", was ein Lektor ausplaudert, bekommt man schnell den Eindruck, dass sie heute vor allem als Firewall oder Spamfilter eines Verlags dienen. Jener Lektor arbeitet bei einem Großverlag und bekommt etwa zehn Manuskripte pro Tag. "Bei den meisten ist schnell klar, dass kein großer Schriftsteller dahintersteckt, sondern ein Mensch, der nicht genügend Talent besitzt." Das Filtern fordert Lektoren vermutlich am meisten. Und dazu die oft geringe Qualität. Denn unverlangte Schreibversuche trudeln immer häufiger ein.
"Der Hobbyschriftsteller verarbeitet oft seine persönliche Lebensgeschichte und ist erst dann zufrieden, wenn sein Werk von möglichst vielen gelesen wird", heißt es über die vielen unverlangt eingesandten Manuskripte. Lektoren stehen diesem unbändigen Wunsch nach Öffentlichkeit im Wege. Zu Tanja Raich von Kremayr & Scheriau gelangen pro Woche cirka 3–5 Romane oder Prosaprojekte. In den seltensten Fällen lässt es sich so ins Verlagsprogramm schaffen. Schon eher helfen Literaturpreise, Lesungen, Texte in Literaturzeitschriften und Stipendien.
Ob unbekannte Namen oder bekannte: Was für die Programmchefin zählt, ist der Text selbst, auch wenn man manchmal das Gefühl hat, dass das Interesse an der Literatur selbst abgenommen hat und es nur mehr darum geht, einen Namen abzufeiern. "Uns sind Texte wichtig, die sprachlich etwas Besonderes sind, einen ungewöhnlichen Blick auf die Welt werfen oder relevante Themen unserer Zeit verhandeln."
Kleiner Abriss des Buchhandels
Das Modell, wie Texte ihre Leser finden, verändert sich langsam. Man redet von Books on Demand, E-Books, Blogs, Online-Communities, Smartphone-Apps, Crowdfunding. Rund um die Selfpublishing-Debatte und um ein Urheberrecht, das ins digitale Zeitalter passt, taucht immer wieder der Vorwurf auf, dass Schriftsteller einen zu geringen Anteil am Verkaufspreis erhielten und Verlage einen unangemessen großen Teil einstecken würden. Tatsächlich bleibt aber viel im Handel hängen. Der Buchhandelsrabatt beträgt meist zwischen 35–50%. Bei kleinen Verlagen ist die sog. Barsortimentsquote sehr hoch, d.h. 70–90% des Verkaufs laufen meist über den Zwischenbuchhandel. Dazu kommen noch die Liefergebühren und anteilige Kosten für diverse Vertreter.
Verlage werden schon allein aufgrund der professionellen Strukturen, die keine Online-Community leisten kann, nicht so schnell ersetzt werden. Und nicht jede Autorin oder jeder Autor will sich um Vertrieb, Marketing, Events, Presse, Lizenzen oder den Aufbau langjähriger Kontakte kümmern. In Verlagen gibt es professionelle Grafiker, die das Buch setzen, das Cover gestalten, eine Verlagsvorschau verschicken, Messeaufritte nicht peinlich aussehen lassen und manchmal sogar Werbebudgets in die Hand nehmen. Von Selfpublishing hält man bei Kremayr & Scheriau – es überrascht nicht – wenig. Das sei eine "halbe Sache". Fast so, als würde man als Verlag nur Sachbücher von älteren Herren verlegen, könnte man meinen.
Ab Herbst 2015 startet Kremayr & Scheriau ein neues Literaturprogramm mit diesen Debüts: "Das Tortenprotokoll" von Marianne Jungmaier, "Wir zerschneiden die Schwerkraft" von Irmgard Fuchs, "Eine Handvoll Rosinen" von Daniel Zipfel, "183 Tage” von Ianina Ilitcheva. Verlagsvorstellung mit Lesungen von Irmgard Fuchs und Daniel Zipfel am 21. September .2015; 19.00 Uhr in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, Herrengasse 5, 1010 Wien.