Der Grafiker Andreas Joska zerstückelt seit zwei Jahren Hitlers »Mein Kampf« und montiert aus den einzelnen Buchstaben ein Kochbuch. Wir haben mit ihm über seine Beweggründe gesprochen und ihn gefragt, was er mit Liederbüchern rechtsextremer Burschenschaften machen würde.
Aus über eineinhalb Million Buchstaben schneidet der in Wien lebende Grafiker Andreas Joska akribisch genau einzelne Lettern aus und setzt sie zu einem Kochbuch neu zusammen. Doch er zerlegt nicht irgendein Buch, er zerschneidet Hitlers »Mein Kampf«.
Mit dem Auslaufen des Copyrights Ende 2015 sei in ihm der Wunsch aufgekommen, etwas aus dem Buch zu machen, so Joska. Als er beim Gedankenspiel mit dem Titel auf den Schüttelreim »Kein Mampf« stieß, entstand die Idee, aus den einzelnen Buchstaben ein Kochbuch zu gestalten. Dafür sprach seiner Meinung nach sehr viel: »Ein Kochbuch ist extrem unpolitisch und nicht wertend. Beim Kochen nimmst du Sachen, schnippelst sie in kleine Stücke, haust sie in einen Topf, mischst ein paar Mal durch und das was rauskommt ist im Normalfall etwas Gutes. Genau das mache ich mit dem Buch.«
Dass das Projekt einen humoristischen Unterton hat reflektiert der Künstler sehr genau. Es gehe ihm nicht darum, die Thematik durch den Kakao zu ziehen. Der positive Nebeneffekt des lustigen Beiklangs von »Kein Mampf« sei jedoch, dass damit eine größere Bereitschaft erzeugt werden könne, sich mit der schwierigen Materie auseinanderzusetzen. »Kein Mampf« ist dabei mehr als nur ein Schmäh, sondern auch Aktivismus, um an die Machtergreifung Hitlers und die Gräueltaten der Nazis zu erinnern. Joska sieht darin eine aktuelle Notwendigkeit, kann man doch in verschiedenen Ländern beobachten, wie sich Demokratien zu Diktaturen entwickeln. Darauf hinzuweisen, dass es nicht selbstverständlich ist, in Frieden zu leben, ist ihm deswegen wichtig.
Knapp 20 Rezepte werden ab 8. Mai im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes im Alten Rathaus gezeigt. Wir haben den Künstler nach dem Entstehungsprozess, seiner Motivation und danach gefragt, wie er Liederbücher rechtsextremer Burschenschaften verarbeiten würde.
Im Projektvideo von »Kein Mampf« heißt es, dass Hitlers »Mein Kampf« 782 Seiten und 1,57 Millionen Buchstaben umfasst. Wie kann man sich den Arbeitsprozess vorstellen, daraus ein Kochbuch zu machen, und wie schaut ein normaler Arbeitstag von dir aus?
Ich schneide Zeile für Zeile von den Seiten ab und zerstückle sie dann in einzelne Buchstaben. Diese ordne ich in den Setzkasten. Da ich festangestellter Grafiker bin, komme ich meistens erst am Abend dazu, wenn unser Kind im Bett ist. Um die Zeit dafür zur Verfügung zu haben, habe ich aufgehört Computer zu spielen und fernzusehen. Netflix zählt nicht als Fernsehen.
Wie bist du allgemein zu diesem Projekt gekommen?
Da das Copyright von »Mein Kampf« Ende 2015 erlosch, war das Thema medial recht präsent. Dadurch reifte in mir der Wunsch, das Buch zu atomisieren – das »Unteilbare« in einem Buch ist der Buchstabe. Da wusste ich noch nicht, was ich dann mit den Buchstaben anfangen soll. Durch das Herumspielen mit dem Titel entstand »Kein Mampf«. Das war die zündende Idee, daraus ein Kochbuch zu machen.
Du hast kalkuliert, dass das weitere Zerschneiden von »Mein Kampf« um die 15 Jahre in Anspruch nehmen wird. Was motiviert dich, diese langwierige Arbeit auf dich zu nehmen?
Die Ausstellungen des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (DÖW), speziell die am Spiegelgrund, wo auch einige Einzelschicksale von Kindern, die zu Tode gequält wurden, behandelt werden, waren schon ein guter Grund. Was mich immer noch bewegt, ist zum Beispiel die Geschichte einer Vierjährigen, die nur aus dem Grund dort gelandet ist, weil ein Arzt befand, dass sie für ihr Alter zu klein wäre.
Was ich auch interessant finde ist, dass das Abtrennen und Verstauen eines Buchstaben in etwa so viel Zeit in Anspruch nimmt, wie ein Händedruck. Wenn ich jetzt an die 750.000 Buchstaben – die Hälfte fällt ja weg, weil jede Seite auf der Rückseite aufkaschiert ist – so bearbeite, habe ich noch nicht mal ein Hundertstel der Toten, die der Zweite Weltkrieg gefordert hat, »begrüßt«. Die Größenordnung des Ganzen wird dadurch recht gut greifbar.
Neun Rezepte gibt es bereits für UnterstützerInnen des Projekts online einsehbar. Nach welchen Kriterien wählst du die Rezepte für »Kein Mampf« aus?
Die Rezepte können alle einreichen, die ein Zeichen gegen den Nationalsozialismus setzen wollen. Die ersten 25 habe ich von Freunden bekommen, aber da ich vorhabe, irgendwann auch von diesem Projekt leben zu können, ist inzwischen die Voraussetzung dazugekommen, das Projekt auf patreon.com/keinmampf zu unterstützen. Denn wenn ich das Projekt Vollzeit verfolgen könnte, würden aus den noch veranschlagten 15 Jahren nur mehr zwei.
Im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes werden ab 8. Mai knapp 20 Rezepte ausgestellt. Wie kam es zu dieser Kooperation?
Ich dachte mir, dass das Projekt perfekt zu der Arbeit des DÖW passen würde, und habe auch deren Ausstellungen in der Wipplingerstraße und am Spiegelgrund besucht. Es ist ein guter Motivator, wenn man sieht, welche Grausamkeiten die Nazis damals verbrochen haben. Bei meinem Besuch am Spiegelgrund fragte ich nach einer Ansprechperson für mein Projekt. Ich schrieb sie an und wurde eingeladen mich vorzustellen. Es freut mich immens, dass ich nicht gleich kategorisch in die Spinnerschublade gewandert bin, sondern mir das DÖW die Chance gibt, das Projekt einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen.
Rassistisches Gedankengut und Lieder aus der NS-Zeit wurden zuletzt in den Liederbüchern der Burschenschaften Germania und Bruna Sudetia gefunden. Hättest du eine Idee, was man mit den beiden Textdokumenten machen könnte?
Ein Lagerfeuer für ein g’scheites Kesselgulasch wäre doch nett. Was ich dabei jedenfalls aber begrüße ist, dass der Fall an die Öffentlichkeit gebracht wurde und zeigt, was für Gestalten sich in diesen Vereinen und auch in unserem Parlament tummeln. Ich bin gespannt, ob es etwas bei den nächsten Wahlen bewirken wird, bin aber skeptisch.
Von 8. Mai bis 29. Juni werden knapp 20 Rezepte aus »Kein Mampf« im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes im Alten Rathaus in der Wipplingerstraße 6–8 in Wien gezeigt. Der Eintritt ist frei.