Konfliktkultur

Zehn Jahre Museumsquartier – eine Institution, eine neue Ära, ein Grund zu feiern wie zu streiten.

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»Ich durfte das größte Kulturprojekt der Zweiten Republik umsetzen«, meinte Wolfgang Waldner unlängst in der Presse am Sonntag. Waldner, nunmehr Sekretär im Außenamt, war bis vor wenigen Wochen Chef des Wiener Museums-quartier (MQ), das er von der Konzeptionsphase bis unmittelbar zum Beginn der Zehnjahres-Feierlichkeiten verantwortete. Die Aussage des gelernten Diplomaten klingt aber ‒ ich durfte ‒ nur aufs Erste bescheiden. Tatsächlich steckt in ihr auch ein Hauch Größenwahn. Der ist zwar nichts Ungewöhnliches unter den monomanischen Museumsdirektoren des Landes. Er verdeutlicht aber, warum es ein ganzes Jahrzehnt lang immer wieder zu Streitigkeiten zwischen den im MQ angesiedelten ‒ unabhängigen ‒ Kultureinrichtungen und Waldner kommen musste.

Denn auch wenn sich die einstmals kaiserlichen Hofstallungen heute Flaneuren, Kulturtouristen und Restaurantbesuchern ganzheitlich als gastronomisch belebter, offener Kultur-Businesspark präsentieren: das Museumsquartier gibt es so nicht. Es handelt sich um eine Vielzahl kleiner Kulturinitiativen und einige wenige größere Museen einerseits und die Errichtungs- und Betriebsgesellschaft andererseits.

Letztere leitete Waldner bis zuletzt – und lag mit seinen »Mietern« de facto permanent im Clinch. Streitpunkt waren vor allem Rolle und Funktion der Betriebsgesellschaft, die über das Vermarkten und Verwalten hinaus auch selbst als Kulturveranstalter aktiv ist. Durchaus mit ansprechendem Programm – von exquisit kuratierten Medienkunst – und Modefestivals im Quartier 21 bis zum publikumswirksamen Literatur- und Lesefestival O-Töne.

Waldners Bilanz ist alles andere als schlecht. Obwohl die 3,8 Millionen Besucher, die 2010 an den Eingängen des Areals gezählt wurden, zur »Größe des Kulturprojekts« nicht zwingend beitragen und sich in Relation zum realen Besucheranklang des Kulturangebots ähnlich ausmachen dürften als käme man im Burgtheater auf die Idee, dem Theaterpublikum auch die Sonnenanbeter im sommerlichen Burggarten und die Promilleklientel am Christkindlmarkt zuzuzählen. Er hat das Areal zweifellos belebt und kommerziell urbar gemacht. Doch während sich die MQ-Einrichtungen im MQ-Chef auch heute noch einen besseren Hausmeister wünschen, der nebenbei Sponsoringgelder aufstellt, um »seine« Institutionen finanziell zu entlasten, verstand sich Waldner eben auch selbst als Kulturmacher, der in epochalen Maßstäben (»Zweite Republik«) und Quantifizierbarkeit dachte.

Derlei Auffassungsunterschiede sind nicht ungewöhnlich. Doch sie gehören genau jetzt, da der Posten vom Ministerium neu ausgeschrieben ist, für die Post-Waldner-Ära diskutiert, definiert und verbindlich fixiert. Das ist im Sinne aller Beteiligten. Diese sollten ihre Zeit und Energie sinnvoller nutzen können, als sich weitere zehn Jahre in derselben Sache in den Haaren zu liegen.

»Wiener Urban Lifestyle«

Interessant am MQ war zuletzt ‒ noch kurz bevor Wolfgang Waldner ins Außenamt wechselte ‒ vor allem, dass dessen Chef sich der Wiener Volkspartei als Vorsitzender einer Arbeitsgruppe zum Thema »Stadtleben ‒ Wiener Urban Lifestyle« zur Verfügung stellte. Das mag ein wenig auch den Verzweiflungsgrad der marginalisierten Stadtbürgerlichen verdeutlichen, die sich in einem Orientierungsprozess im Rahmen einer »Agenda Wien+« derzeit selbst zu finden trachten. Großartiges Gespür für moderne urbane Kultur und deren Mobilisierung hat man im MQ in den letzten Jahren nämlich gerade nicht gezeigt.

Punktuelle Ausnahmen gibt es zweifellos. Doch die »Electric Avenue« im MQ verbreitet an den allermeisten Tagen den Charme und die Besucherfrequenz einer U-Bahnpassage kurz nach Betriebsschluss. Und die Fehleinschätzung der eigenen Zielgruppe, als es um das Alkoholverbot auf dem Areal ging, und die Reaktionen auf deren Facebook-Protest sind als medialer Worst Case in die hiesige Social-Media-Geschichtsschreibung eingegangen.

Darüber hinaus ist 2011 ohnehin spannender als das Museumsquartier, was sich in Linz auf dem Gelände der ehemaligen Tabakfabrik oder in Wien-Favoriten auf dem Areal der Ankerbrotfabrik entwickelt. Da wie dort sollen Kultur- und Kreativzentren entstehen, die eben genau »nicht wie das Museumsquartier« werden wollen.

Das MQ selbst hat ‒ im positiven Sinne ‒ ein ähnliches Schicksal wie der öffentlich-rechtliche Jugendkultursender FM4 erlitten: Beide taugen als Reibebaum, sind heute aber Institution, auch weniger aufregend und haben an Bedeutung verloren. In beiden Fällen nicht unbedingt aus eigenem Verschulden, sondern weil das Angebot heute ungleich größer und vielfältiger ist als noch vor ein paar Jahren. Dennoch: Man kann und will sich ein Leben in dieser Stadt ohne sie nicht mehr vorstellen.

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