Wien bringt eine Vielzahl an jungen Kreativen hervor – eine der erfolgreichsten ist Laura Karasinski. Ein Besuch auf dem 150 m2 großen Indoor-Spielplatz für Kreative, den sie ihr Atelier nennt.
Wird man von Medien als »junges Ausnahmetalent« und »Wunderkind« auf ein Podest gestellt, sind die Reaktionen auf die eigene Erfolgswelle nicht immer nur positiv. Im Gegenteil: »Als ich angefangen habe, wurde über mich hergezogen. Menschen, die mich gar nicht kennen, haben die unmöglichsten Dinge über mich gesagt«, erinnert sich Laura Karasinski. Im Nachhinein könne sie es ein bisschen nachvollziehen: »Wenn du eine so junge Selbstständige in den Medien siehst, denkst du dir, wie kann das sein? Die Leute dachten, meine Karriere wäre von einem reichen Elternhaus finanziert.« Die Lebensrealität der mittlerweile 26-jährigen Art-Direktorin sieht aber anders aus: Karasinski stammt aus einer polnischen Einwandererfamilie und wuchs in Floridsdorf auf. Schon als Teenager hatte sie immer ein Notizheft dabei und kritzelte erste Tattoo-Entwürfe für Freunde und Ideen für Flyer hinein. Nachdem sie die Skizzen regelmäßig auf ihrer Facebook-Seite »Housemaedchen« gepostet hatte, kam der erste große Auftrag – von Ströck Brot. Irgendwann nahmen die Anfragen so zu, dass sie aus steuerrechtlichen Gründen den Schritt in die Selbstständigkeit wagen musste. Mit 21 Jahren gründete sie das Atelier Karasinski. Eine 150 m2 große Altbauwohnung im achten Wiener Bezirk – voll von Retroschick, kuriosen Sammelstücken und Inspirationen. Sie ist Arbeits- und Lebensraum zugleich. Hier gestaltet die Kreativdenkerin seither alles, was es zu gestalten gibt. Inneneinrichtungen, Logos, Websites, Verpackungen. Erst kürzlich stattete sie beispielsweise das Restaurant Motto neu aus. Zu Kunden zählen außerdem Firmen wie Campari und Künstler wie Left Boy. Auf die Frage, ob sie als Alleinunternehmerin immer ernst genommen worden sei, antwortet Karasinski mit einem Lachen: »Schau mich an! Ich bin blond, klein und eine Frau. Natürlich nicht.«
Sexismus und Selbstinszenierung
Sie erzählt von einem Beispiel: Bei einer Veranstaltung, zu der Karasinski als Speakerin eingeladen war, konnte das Publikum mithilfe eines Apps anonyme Fragen stellen. Die erste lautete: Wieso sind deine Haare oben braun und unten blond? Die zweite: Wie viel verdienst du? Und die dritte Frage: Willst du mich heiraten? »Nicht nur, dass ich – im Gegensatz zu den vier männlichen Kollegen auf dem Podium – per Du angesprochen wurde: Wenn eine Frau aus der Wirtschaft auf dem Podium sitzt, wird sie sofort auf ihr Äußeres und auf ihren Beziehungsstatus reduziert. Niemand wäre auf die Idee gekommen, den CEO, der vor mir gesprochen hat, zu fragen, ob er jemanden heiraten will.« Beim Gespräch über patriarchale Weltanschauungen wird die Gestalterin – wie sie sich selbst gerne bezeichnet – merklich emotional.
„Ich habe ja nicht mich, sondern meine Arbeit vermarktet.“ – Laura Karasinski
Auf ihre Selfies angesprochen, meint Karasinski: »Ich habe seit einem halben Jahr damit aufgehört, Selfies auf Social-Media-Kanälen zu posten, weil ich nicht mehr auf mein Äußeres reduziert werden möchte.« Ein bisschen zu viel Selbstinszenierung? – ein Vorwurf, den man Karasinski auch ohne sexistischen Unterton machen könnte. »Nein, ich habe ja nicht mich, sondern meine Arbeit vermarktet«, ist Karasinski überzeugt.
Anna Fahrmaier von Typejockeys kennt Karasinski persönlich, ihre Arbeiten und auch ihre Social-Media-Kanäle. Ihr Erklärungsversuch: »Ich schätze Laura sehr. Was sie besonders gut kann, ist Trends zu erkennen und die richtigen Leute für ein Projekt zusammenzubringen. Und sie weiß eben auch, sich zu verkaufen. Darauf springen Medien an, das wird zum Selbstläufer. Und wenn etwas überproportional viel in der Öffentlichkeit auftaucht und die gesamte Szene auf ein, zwei Leute reduziert wird – das polarisiert.« Ein Blick auf den Instagram-Account zeigt viele Reisefotos: »Ich kann mir vorstellen, dass dies Neider hervorruft. Social Media ist gefährlich – gerade in Lauras Fall verschmilzt zudem die Privatperson mit dem Atelier Karasinski. Dass man viel Lifestyle und wenig fertige Arbeiten sieht, irritiert vielleicht. Aber dafür gibt es ja ihre Website.« Es gibt wenige Gestalter in Österreich, die sich etwas lauter präsentieren und positionieren. Eine Art Mentalitätsfrage also.
Wert von Kreativleistung
Ob der Konkurrenzdruck sehr hoch ist? »Ich weiß nicht, was andere Leute für ihre Arbeit verlangen. Wir haben uns in den letzten fünf Jahren langsam nach vorne gearbeitet und wissen mittlerweile, was unsere Arbeit wert ist«, antwortet Karasinski. Bis zum Jahr 2004 gab es noch Honorar-Richtlinien des Fachverbands Design Austria. Das wurde aber kartellrechtlich verboten und zurückgezogen. Karasinski kritisiert dies als »Scheuklappen-Verhalten«. Sie selbst hat schon gearbeitet, während sie Grafik und Werbung an der Universität für angewandte Kunst studierte. Im Studium werde einem nicht beigebracht, wie man in der Steuer- und Finanzwelt als Kreative überleben kann. »Es wird einem auch nicht gesagt, was die Arbeit wert ist, die man macht.« Sie schlägt daher neue Seminare vor. Design Austria teilte auf Anfrage mit, dass eine neue Publikation zur aktuellen Situation von Honoraren und Einkommen im Gestaltungsbereich in Planung ist: »Wir haben uns entschlossen, mit aller wettbewerbsrechtlicher Vorsicht eine Publikation zum Thema Designwert und Kalkulation herauszubringen und eine Erhebung über das Honorarniveau durchzuführen. Dazu bitten wir aktuell um Beantwortung von Fragen über Berechnung, Honorargestaltung und -höhen«, sagt Sprecherin Christina Pilk.
Sparten aufbrechen
Mit »wir« meint Laura Karasinski ein Kollektiv aus zehn selbstständigen Kreativen – darunter Fotografen, eine Make-up-Artistin, ein Kameramann, eine Grafikerin und ein Programmierer. Das werde die neue Form von Agentur sein, ist sie überzeugt. Auftragsbezogen wird zusammengearbeitet, ansonsten geht jeder seinen eigenen Weg. Das Berufsfeld an sich werde jedenfalls nie aussterben, denn »es wird immer Gestaltung brauchen«. Ein genauer Blick zeigt tatsächlich eine Tendenz hin zu verstärkter Vernetzung und Zusammenarbeit. Man könnte sagen, die Szene in der Bundeshauptstadt agiert interdisziplinär. Es passiert ein Verschwimmen und Ineinandergreifen der Design-Sparten: Grafik-Design wird immer öfter mit Leistungen wie Illustration, Web-Design oder auch Animation angeboten. Kreative Leistungsportfolios voneinander zu trennen und klar zu definieren wird deswegen immer schwieriger. So auch bei Karasinski. »Ich glaube, man kann Laura nicht zwingend in einen Bereich platzieren. Durch unser vielschichtiges Team können wir vieles abdecken«, sagt Sabine Reiter, Make-up Artist im Atelier Karasinski. Ein Verständnis für die Arbeit der anderen ist für das Funktionieren eines solchen Kollektivs unabdingbar. Und man dürfe nie aus den Augen verlieren, was der oder die einzelne für das Atelier beiträgt – sagt Video-Editor Daniel Gottschling. »Bei so einer engen Beziehung gab es natürlich auch Streit. Aber es wäre ja langweilig und vor allem fake, wenn man sich nie in die Haare kriegt – auch, wenn es nur um ein blödes Video geht. In solchen Momenten merkt man: Auf beiden Seiten gibt es eine Leidenschaft für das Endprodukt.« Aus hitzigen Diskussionen entstehen oft die besten Dinge.
Homebase
»Merken Sie nicht, wie Wien wieder Weltstadt wird?«, wird Helmut Qualtinger auf einem Plakat im Arbeitszimmer des Ateliers zitiert. Laut dem aktuellen Kreativwirtschaftsbericht der Wirtschaftskammer und dem Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft sind die Hälfte aller österreichischen Designschaffenden in Wien ansässig. Ob sie sich vorstellen kann, woanders zu leben? »Ich wollte vor drei Jahren nach New York ziehen aber eigentlich nur wegen dem Grant der Wiener.« Das hat nicht funktioniert. Mittlerweile hat sie Wien lieben gelernt: Die Architektur, die Theaterstätten, Musikvereine, die Gemütlichkeit. Ein Film im Gartenbaukino, Essen im Mochi, ein Drink in der Miranda Bar. Grantige Menschen nimmt sie dafür gerne in Kauf. Nur manchmal, da muss sie einfach weg. Das Reisen dient der psychischen Hygiene, gleichzeitig holt sich Karasinski neue Inspirationen.
Streben nach Liebe
Bei der Auswahl ihrer Projekte verlässt sie sich nur noch auf ihr Bauchgefühl: »Man soll sich auf eine gesunde egoistische Art immer selbst zuerst stellen, bevor einem der Job dann nur fertigmacht. Ich habe lange gebraucht das zu realisieren.« Am wichtigsten sei gegenseitiger Respekt, dann entstehe von selbst eine Art organischer Prozess. Eine Philosophie, die jedoch für andere Kreative nach schöner Utopie klingen mag. Dass sie sich in einer glücklichen Position befinde, sei ihr bewusst: „Es kommt immer auf den Charakter an. Natürlich kann man nicht davon ausgehen, dass jede und jeder Selbständige gleich ambitioniert ist. Wenn der Charakter stark genug ist, dann schafft man es auch zu Zeiten hoher Auslastung ein Ventil zu finden, beispielsweise durchs Reisen. Aber auch ich habe fünf Jahre gebraucht, um mir eine Auszeit zwischen Projekten zu erlauben.« Es gibt eben keine allgemeine »How to«-Anleitung für Werbeagenturen. Ihr Rezept für einen gelungenen Start in der Kreativbranche: Ambition und Bewusstsein für Qualität. Man soll sich darüber im Klaren sein, dass es nicht um das eigene Ego geht, sondern um eine Dienstleistung. Und: Liebe zu sich selbst und zu seiner Arbeit ist ausschlaggebend – diesem Thema widmete sie auch ihren Gastkommentar, als sie vom Forbes Magazin unter die 30 unter 30 in Österreich gewählt wurde.
Ob ihr frühere Arbeiten immer noch gefallen? »Im besten Fall nicht«, sagt sie. »Weil man dann weiß, dass man sich weiterentwickelt hat. Ich hasse nichts mehr als Stillstand.« Ihre Kreativität leitet sich von allem ab, was sie sieht, hört und anfasst. »Mein Gehirn ist wie ein Schwamm, es speichert sehr viel ab. Manchmal fühlt es sich an, als hätte ich zu viele Tabs offen.« Meistens entstehen die Ideen für Designs bereits während des ersten Meetings. Auch wissen Kunden oft schon, in welche Richtung es gehen soll und nennen Beispiele. Wie viel sie sich in ihren kreativen Schaffensprozess reinreden lässt? »Mittlerweile vertrauen die Kunden, dass das, was wir als Agentur liefern, wahrscheinlich ihren Wünschen entspricht. Klingt das jetzt eh nicht zu arrogant?« Nein, gar nicht.