Der Rockstar als Regaleinräumer, Mavi Phoenix und das Risiko des Ruhms. Über Leben mit und von Musik.
„Gerade Leute mit künstlerischen Ambitionen gehen oft einen Kompromiss mit der Realität ein. Es ist nicht selten, dass Menschen den Wunsch nach Selbstverwirklichung verschieben bis zum Sterbebett. Bei mir wäre es so, dass das Leben, das ich führe, riskant für meinen Lebensabend ist und für meine Rente, aber nicht für meinen Tod. Ich werde mein Leben also nicht am Sterbebett bereuen, nur vielleicht vorher in der Pension.“ Diese ungeschönte Selbsteinschätzung von Frank Spilker, dem Sänger der Hamburger Band Die Sterne, wollte mir länger nicht aus dem Kopf gehen. Ein paar Tage nachdem ich das Interview mit Spilker im DATUM gelesen hatte, horchte ich beim Geschirrabwaschen auf – und schaltetet das Radio lauter: Der Berlin-Korrespondent von FM4 war zu Gast bei Christiane Rösinger, der „Grande Dame des hauptstädtischen Künstlerprekariats“, in ihrer Mietwohnung ohne Zentralheizung, in der sie seit 1985 wohnt. „Die hat mir die letzten 30 Jahre das Leben als Musikerin ermöglicht“, erzählt Rösinger, „wenn ich hier rausmuss, werde ich hier (in Berlin-Kreuzberg, Anmerkung) nie wieder eine Wohnung finden. Das ist schon ziemlich bedrohlich.“
Ja, nicht nur Hamburg, auch Berlin ist teuer geworden. Spilker, mittlerweile 51, und Rösinger, gerade 56 geworden, haben ihren künstlerischen Ambitionen zwar nicht abgeschworen, ahnen aber, dass das mit dem Rockstar womöglich nichts mehr wird. Szene-Fame ist beiden, zumindest bei denen, die mit einem älter werden, sicher. Regelmäßige Einnahmen bedeutet das aber längst noch keine.
Fail Like A Phoenix
Dass sich Marlene Nader über Pensionsansprüche gegenwärtig allzu viele Gedanken macht, ist eher unwahrscheinlich. Dennoch bekennt die 21-jährige Linzerin, ihren Stage Name auch deshalb gewählt zu haben, weil das Phoenix in Mavi Phoenix eben auch für das Verhängnisvolle stehe – falls die angestrebte Karriere doch nicht so aufgehe. „Das Wichtigste, was man über mich wissen muss, ist eigentlich, dass ich zu hunderttausend Prozent immer in meiner eigenen Welt war,“ sagt sie im Interview mit Nadine Obermüller über ihre Einflüsse. Was nicht danach klingt, als hätte die Musikerin großartig vor, Kompromisse mit der Realität einzugehen.
Womit Mavi Phoenix genau so agiert wie das Dominik Oswald – ebenfalls in unserer aktuellen Ausgabe – dem Entertainer und Liedermacher Matthäus Bär bescheinigt. Dessen Credo: Entweder gescheit oder gar nicht. Einkommen zum Auskommen braucht volle Aufmerksamkeit. Seinen Brotjob (in der Kulturabteilung des Landes Niederösterreich) hat Bär, 27 und Familienvater, geschmissen. Er will es wissen, Musik machen. Und viele Eltern und Kinder lieben ihn dafür.
Genau das – nämlich volle Aufmerksamkeit und Leidenschaft – fordern auch Major-Labels ein, wenn sie einen lokalen Act unter Vertrag nehmen. Schließlich investiert man eine Stange Geld in den Aufbau einer Karriere, da soll der Künstler abends nicht erschöpft vom Regaleinräumen beim Billa auf die Bühne wackeln. Dass Majors dabei – wie Sony-A&R Nuri Nurbachsch meint – immerhin das alleinige Risiko tragen, ist aber freilich nur eine Sicht der Dinge. Während die Konzerne immer auf mehrere Pferde setzen, haben die Künstler ihre Arbeitsleistung nur ein einziges Mal. Bleiben die erhofften Einnahmen aus, gibt es keinerlei Kompensation des Verdienstentgangs. Das ist der Deal, klar.
In größeren Zusammenhängen fehlt der Deal allerdings, oder ein bedingungsloses Grundeinkommen. Menschen, die Zig- oder Hunderttausenden Freude, eine schöne Zeit und Ohrwürmer beschert haben, sollten das in fortgeschrittenem Alter nicht bereuen müssen – nur weil ihnen keine Hits gelungen sind, die andere beim Regaleinräumen hören.
Thomas Weber, Herausgeber The Gap & Biorama, auf Twitter @th_weber