Charli XCX weiß, wie man ein Album für die Fans ankündigt. Für JournalistInnen bleibt nach sieben Vorab-Singles nur noch wenig Musikalisches zu rezensieren. Warum ihr trotzdem weiterlesen solltet? It’s Charli Baby.
Ähnlich wie einst Hannah Montana bedient Charli XCX zwei verschiedene Crowds, die verschiedene Dinge von ihr wollen. Als Aushängeschild und – neben SOPHIE – bekanntester Alumni-Act des ikonischen Londoner Labels PC Music wird Charli von den Fans der Subkultur Bubble-Gum-Soundcloud einst verehrt und immer streng beäugt. Nach ihren beiden 2017er Mixtapes »Number 1 Angel« und »Pop 2«, die nahezu ausschließlich von AkteurInnen aus dem PC-Music-Kernteam produziert wurden, baute Charli ihr suggestives Moodboard der Zukunft: ein Charts-Star sein zu wollen. Eine klassische Pop-Ikone, die sich in ihrem Selbstverständnis etwas vom radikalen Postinternet-Kredo und der hyperkapitalistischen Kapitalismuskritik weg bewegt. Es folgten diverse Kollaborationen mit Diplo, eine Tour als Taylor Swift Support und eine neu gefundene Freundschaft mit dem australischen Superstar Troye Sivan, die angeblich auf einer Hausparty begann.
Nun gibt es also »Vroom Vroom«-Charli und »Spicy«-Charli – und Fans, die beide gut finden, gibt es so gut wie keine. Welche selftitled »Charli« das lange angekündigte fünfte Album also zeigen wird, galt bis zum Release als strittig. Charli nahm den beiden Fan-Lagern allerdings etwas Wind aus den Kommentarspalten-Segeln, indem sie das halbe Album stückchenweise vorab releaste. »Blame It On Your Love«, die erste Auskopplung, gab dabei schon eine Richtung vor: Der iconic »Pop 2«-Abschlussepos »Track 10«, seine Sounds abgewandelt mit weniger krachigen Höhen und Tiefen, mehr chartigen Mitten, und extra Street-Cred vom Vers des Artist der Stunde namens Lizzo. Es war klar: »Charli« soll ein Kompromiss sein. Laut eigenen Aussagen auf Charlis Instagram sollte das Album allerdings vor allem das Persönlichste sein, das sie bisher veröffentlichte – auch weil sie vieles davon selbst schrieb.
Ein interessanter Ansatz, wenn es um Hyper-Persönliches geht: sage und schreibe 14 Featuring-Acts. Dabei hat Charli aber gerade für diese ein unnachahmliches Gespür. »Warm« ist ein Haim-Song, auch wenn Haim nicht dabei wären. »Click« mit Kim Petras und Tommy Cash ist für Charli-Fans jeden Lagers wohl die Art Mega-Kollaboration, die einst »Monster« auf Kanye Wests Jahrhundertalbum »My Beautiful Dark Twisted Fantasy« darstellte. Musikalisch die beste Entscheidungen bezüglich der Featurings fielen wohl auf »Shake It«. Mit Big Freedia holte sich Charli eine Persona der frühen 2010er ins Studio, die der Welt mit ihrem Anteil an »Peanut Butter« bereits ein großes Geschenk gemacht hat; mit Cupcakke einer der wichtigsten Rapperinnen der letzten Jahre; und mit Pabllo Vittar den wohl größten Drag-Star, der nicht bei RuPauls Drag Race teilnahm. Doch hier zeichnet sich schon ein weiterer Vorwurf ab, dem sich Charli kürzlich stellen musste: Queerbaiting. Wo liegt die Grenze zwischen Charlis Bondage-Musikvideo mit Christine & The Queens zu »Gone«, und andererseits Taylor Swifts shitstorm-versorgten »You Need To Calm Down«, für das sich Swift so ziemlich alle bekannten Drag Artists und Queer-AktivistInnen der US-Popkultur eingekauft hat, um sich selbst als gute »Straight Ally« zu besingen?
Um doch noch zum Musikalischen zu sprechen zu kommen: Die übrigen sechs Songs auf »Charli«, die ohne Featurings verbleiben, sind eine Baustelle. Während »Official« an Teenage-Liebes-Klingklang wie anno dazumal Owls Citys »Fireflies« erinnert, wäre »White Mercedes« ohne die zugegeben anständige Produktion ein 1A 08/15-Schlager geworden. Was von Charli solo im Herzen bleibt: »Silver Cross« und seine dringliche Hook mit ordentlich Vroom. Vielleicht ein Song, bei dem Charli ganz alleine alle ihre Fans auf sich vereinigen kann.
Charli XCX hat heute via Atlantic (Warner) ihr Album »Charli« veröffentlicht. In Kürze wird sie damit auf Welttour gehen – kein Österreich-Stop, aber für die Shows in Berlin, Hamburg und Prag gibt es noch Karten. Mehr Infos findet ihr hier.