Lost In Music #16: Public Enemy

Heute vor 25 Jahren schlug ein Album im US-Hip Hop ein, der Sprengkraft für Jahre und Jahre bot. Stefan Niederwiesers "Lost In Music"-Kolumnen-Fundstück rekapituliert das Megatonnen-Album "It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back".

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Besitzt man nur ein einziges HipHop Album, dann sollte es dieses sein. Alle sagen das. Wirklich alle. Diese Musik besitzt eine unglaubliche Sprengkraft – politische und sonische Megatonnen. Alles an dieser Gruppe ist revolutionär: ihre Militanz, ihr Selbstbewusstsein, ihre Dringlichkeit, ihre Präsenz. Musik und Texte sprechen Ausnahmezustand. Einer ihrer ständig auf den Lippen geführten Slogans ist „by any means necessary“. Dass nämlich der Unterdrückung von Minderheiten in den USA ein Ende gesetzt werden muss. Niemand sonst ist Ende der Achtziger gleichzeitig so offen politisch, geht so radikal gegen Musikkonventionen vor und schafft es in die Ohren und Köpfe von so vielen Menschen wie Public Enemy. Ein Jahr zuvor schlägt ihr Debüt ein, dieses Album aber bringt die Gruppe zum Punkt.

Das Produzententeam The Bomb Squad legt für Public Enemy den Minenteppich aus Samples, Lärm und Bass. Ein klares, harmonisches Gerüst entsteht nur dort, wo es wieder zum Einsturz gebracht werden kann. Sirenen, Scratches, schrille Pfeifen, Free-Jazz-Splitter, rhythmisch gesetzte Sprachfetzen und verschütteter Deep-Funk dominieren stattdessen den Sound und reproduzieren den verheißungsvollen Krach der de-industrialisierten Metropolen. Wie in einer Collage sind die Schnitte zwischen Samples und Songbauteilen noch hervorgehoben, wodurch die Atmosphäre mitunter schlagartig umklappt. Die Musik imitiert beschleunigte Bilderschnittfolgen, zappt sich metaphorisch durch unübersichtliche TV-Landschaften.

Chuck D liefert die Stimme, die mit klaren Aussagen durch das wuchernde Chaos führt. Er spricht von der Notwendigkeit eine Gegenöffentlichkeit zu bieten, ein schwarzes CNN, eine eigene Version der Geschichte. Bei ihm fließen dringende Forderungen, Analysen, Erzählungen und Anklagen nahtlos ineinander. Er ist oberster Berichterstatter von der Rassismusfront. Ihm zur Seite sitzt Flavor Flav, eine echte Übersteigerung des Vorurteils vom triebhaften, überdrehten Schwarzen. Er schlüpft häufig in die Rolle eines Hofnarren und lockert die verbissene Agitation Public Enemys mit seinen Trickster-Doppelbödigkeiten auf, ohne wirklich eine andere Position als Chuck D zu beziehen. In den Nebenrollen agieren DJ Terminator X, Professor Griff und die fiktive schwarze Sicherheitseinheit Security Of The First World (The S1W). Letztere stellen mit ihren Uzi-Replicas und Baretten eine Verbeugung vor der Tradition militanten schwarzen Widerstands in den USA dar. Die Themen der Black Panthers und Nation Of Islam übersetzen Public Enemy ins Jahr 1988, auch wenn sie einzelne Positionen, etwa die Forderung nach Segregation vom weißen Teufel, abschwächen.

Perspektivenlosigkeit, anhaltende Polizeiwillkür, mediale Ausbeutung und die Notwendigkeit all das abzuschaffen werden bei ihnen zu den Top-Stories der Saison, die sich in den Sound der Zeit einprägen. Seither dient HipHop verstärkt als Werkzeug der Unterprivilegierten und als Fieberthermometer der Gesellschaft. Public Enemy haben das auf „It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back“ lediglich epochaler und radikaler als alle anderen formuliert.

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