Lucky Bastards of Young Rebels

„Young Rebel Set + Bier = Horrorinterview" – unter diesem Titel finde ich im Internet eine Leidensgenossin, die ebenso wie ich das Vergnügen hatte, mit Young Rebel Set ein Interview zu führen. Es gibt für alles ein erstes Mal. Auch für das schlimmste Interview im Leben einer Journalistin, meinte jene Schweizerin. In meinem Fall trafen beide Umstände zusammen.

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Der Gehalt an verstandenen Wörtern wurde durch die neuen 1,5 Liter Puntigamer Bierflaschen im Backstage-Bereich nicht unbedingt verbessert. Man glaubt nicht, wie sehr sich der beinahe schottische Akzent (weil eigentlich noch in Nordengland) und das Nuscheln, für das die Band ohnehin schon ihren Ruf hat, mit Bier in diesen rauen Mengen zu einem unverständlichen Kauderwelsch verknäueln kann.

Aus diesem Grund starte ich mit der Frage nach „Kings Speech“. Sie hatten den Film noch nicht gesehen, aber ahnten worauf ich hinaus wollte und versprachen „posh British“ zu sprechen. Deutlich wäre mir lieber gewesen. Und wenn sie sich daran gehalten hätten.

Nun von den Anfängen des Interviews zu den Anfängen der Band.

Matty Chipchase: Zuerst hab ich alleine begonnen. Eine Stilsuche und ein Folk-Ding. Das Songwriting ist für mich die wahre Leidenschaft. Das Spielen in der Band umrahmt das Ganze nur. Wir sind keine Experten, aber es macht uns viel Spaß und wir harmonieren alle gut miteinander. Unser Ziel ist nicht der kurzfristige Flash im Musikgeschäft. Wir wollen eine Karriere daraus machen.

Mittlerweile seid ihr zu siebt. Wie lief das konkret ab?

Das lief eigentlich alles sehr organisiert ab. Nach ein paar Soloshows war es an der Zeit, den Sound etwas auszubauen. Die zwei Brüderpaare machten vorher schon zusammen Musik und kamen als Rhythmusgruppe dazu. Dann haben wir noch einen Freund von uns aufgefordert, bei uns mitzuspielen. Er war der einzige ordentliche Mundharmonikaspieler, den wir kannten. Nach den ersten Aufnahmen wurde der Produzent schließlich unser Gitarrist. Von da an ging es nur noch darum, den richtigen Sound zu finden und als Band zusammenzuwachsen.

Ihr seid zu siebt, davon zwei mal zwei Geschwister – kommt ihr trotzdem friedlich aus?

Hin und wieder gab es schon ein paar Prügeleien. Ein erinnerungswürdiger Zwischenfall ereignete sich auf einem Oasis Konzert. Wir haben es irgendwie geschafft, in den Backstage-Bereich zu kommen und dort flossen klarerweise Unmengen an Alkohol. Zwei der Brüder waren irgendwann ziemlich betrunken und so angeheizt, dass sie auf dem Weg zum Van anfingen, sich zu raufen. Wir anderen gingen dazwischen und die ganze Sache artete in einen Sieben-Mann-Faustkampf mit gebrochenen Nasen und Knochen aus. Kein schönes Ende einer guten Show, aber am nächsten Tag wieder alles vergessen, größtenteils deswegen, weil sich niemand daran erinnern konnte, weswegen wir uns eigentlich gestritten hatten!

Heute hab ich nur 6 von euch gezählt. Wer fehlt da?

Unser Gitarrist Paddy Jordan. Tragisch, tragisch…Nein, er ist auch ein Produzent und er hat eine Familie, Frau und Kinder daheim. Er konnte nicht mitkommen auf Tour, aber er arbeitet noch an Songs. Und: er hat uns alle zusammengeführt.

Ich beziehe mich auf ein im Internet kursierendes Video, auf dem ihr alle zusammen Take That grölt. Seid ihr froh, dass sie „back for good“ sind?

Haha, ich bin froh! Ich mag Take That wirklich. Der Typ, der das gefilmt hat, ist unser Tontechniker. Er hat Take That einmal live in London gesehen und meinte, es wäre das beste Konzert seines Lebens gewesen.

Eurer Song “Drink Problem” behandelt wie schon der Titel vermuten lässt das Alkoholproblem. Inwiefern stimmt das typische Working Class-Klischee mit eurem kleinen Heimatort Stock-on-Tees überein?

Es gibt eine Menge große Trinker. Stock-on-Tees ist ein ruhiger Ort. Es gibt ja nicht viel anderes zu tun dort.

Aber immerhin habt ihr so eine Art historischen Dorfhelden! John Walker.

Yeah, Stockton war einst das Zuhause von John Walker, dem Erfinder des Streichholzes. Früher stand seine Statue auf dem John Walker Square, am Ende der High Street, dann ein Kreisverkehr, jetzt der Supermarkt Iceland. Irgendwie ironisch. Er erfand sozusagen das Feuer und sie stellen ihm Iceland drauf.

Habt ihr sowas wie das Idealbild eines Hörers. An wen ist eure Musik adressiert? Einen prototypischen Zuhörer?

Es ist nicht wirklich für jemand bestimmten gedacht. Unsere Musik kommt einfach. Die anderen Kanäle sind ausgeschalten und wir denken nicht über die Wirkung nach. Die Texte können natürlich jemanden bestimmten betreffen. Ich werde beeinflusst von allem was mich umgibt – Alkoholprobleme, schwierige Beziehungen zu Frauen. Es kommt schon aus einer persönlichen Erfahrung heraus, aber wie persönlich es jeder andere auffasst, liegt nicht in unserer Hand.

Wenn wir vom Mythos des jungen leidenden Menschen, der seinen Seelenschmerz in Musik ausbadet, ausgehen: Wie steht es dann einmal zukünftig um euch?

Auch wenn du 70 bist, hast du mal Liebeskummer gefühlt. Ich glaube das ist ein Grund warum wir so eine breite Masse ansprechen. Jung oder alt. Frau oder Mann. Das geht von den Skinny-Jeans-Typen auch zu Black-Hair-Gothics, die das unterschiedliches ansprechen mag. Diese Themen verbinden weltweit. Fast wie Facebook. Es ist alles eine Sache der zwischenmenschlichen Beziehungen und Distanzen werden kleiner. Wenn jeder von wo auch immer was damit anfangen kann, ist es gut.

Und denkt ihr nicht, dass ihr euch selber ändert mit der Zeit? Das ändert doch auch die Texte.

Das mag sein. Matty schreibt sehr assoziativ. Es ist meistens Liebe. Wenn er an einer steinigen Stelle in einer Beziehung ist, dann ergibt das mehr Lieder. Seine Emotionen werden dadurch ans Licht gebracht und verarbeitet. Das hört man in den Texten auch.

Das britische Magazin b>NME bezeichnete eure Musik als die Musik als lebensbejahenden Hemdsärmelrock und erfand eigens das neue Genre Graft-Rock. Seht ihr euch darin? Könnt ihr dem zustimmen?

Es ist schwer die eigene Musik zu beschreiben, denn sie ist eben, was sie ist. Einige Kritiker nannten sie „hymnische Songs, die die Liebe zu Folk und Punk vermischen“ oder „ein stürmisches Flickwerk aus grobem, urbanen Sound“. Was das NME mit Graft-Rock meinte, weiß ich nicht so genau. Der Bezug zur Arbeiterklasse passt schon zu unserer Heimat und man könnte uns schon als Musiker der Arbeiterklasse kategorisieren, aber das ist nicht wirklich die Bezeichnung, die wir selbst wählen würden.

Der Querverweis zu Bruce Springsteen und Bob Dylan ist auch naheliegend. Welche britischen Einflüsse finden sich in eurer Musik wieder?

Es gibt einige britische Einflüsse in unserer Musik. Angefangen bei Oasis, The Cribs über Dire Straits bis zu The Pogues. Irgendwo stecken die da alle drin. Musikalisch gesehen kommt es aber nicht darauf an, woher die Band oder der Künstler letztendlich kommt. Wir haben eigentlich alle Brit Pop gehört. Und jeder hat sich in seine Geschmacksrichtung dann weiterentwickelt

Aber bleiben wir kurz bei Bob Dylan. Heuer feiert er seinen siebzigsten Geburtstag. Würdet ihr euch wünschen so eine Karriere hinzulegen. Wo wollt ihr stehen, wenn ihr 70 seid?

Ich bin so ein großer Bob Dylan Fan und ich finde seine neuen Sachen genauso gut wie seine alten Songs, obwohl sich natürlich seine Bedingungen geändert haben und er nicht mehr dieselben Erfahrungen erlebt wie früher, man könnte sagen, obwohl sich seine Inspirationsquellen zu schreiben geändert machen. Es würde uns nichts machen so eine Karriere hinzulegen, aber wir sind keine solchen Karrieremenschen. Wir wollen nur machen, was wir machen und davon leben können. Das ist unser Hauptanliegen.

Und wenn ihr mit 70 noch gemeinsam musiziert, würdet ihr euch dann Old Rebel Set nennen?

Haha. Not So Young Rebel Set. Oder nur Rebel Set. Eigentlich sind wir nicht mal wirklich Rebellen. Also nur Set. It´s Set. Matty (betritt den Raum): Dead Rebel Set. 70? Da bin ich fucking thankful Rebel Set. Lucky Bastard of Young Rebel.

Nun vom 70. zum 5. Geburtstag, den unser Schwesternmagazin TBA heuer feiert. Wie war euer 5. Geburtstag in Stock-On-Tees?

Ich kann mich nicht erinnern, ich war zu betrunken.

Womit wir wieder am Anfang wären.

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