Mäzene und das System Seidl

Michael Ostrowski und Manuel Rubey sind zwei der witzigsten, klügsten und interessantesten Schauspieler Österreichs. Aber echt, wen gibt es da sonst noch? Beweis gefällig? Wir haben uns beim Mittagessen zum Interview getroffen.

Findet ihr eigentlich b>Ulrich Seidl lustig?

Ostrowski: Er ist ein Grund, weshalb ich mich seit meiner Schulzeit für Film interessiere, weil ich seine Dokus im Fernsehen gesehen habe. Die habe ich wirklich sensationell gefunden, und ich finde ihn auch heute noch lustig. Ich freu mich, wenn er jetzt mal etwas anderes macht. Ich habe gehört, dass er nun einen Thriller plant.

Rubey: Also ich trenne den frühen und den jetzigen Seidl. Ich finde ihn ganz relevant und „Hundstage“ ist ein Film, der auch in mir wahnsinnig viel ausgelöst hat. Ich finde allerdings, dass das inzwischen überholt ist. Da mache ich mich vielleicht nicht wahnsinnig beliebt jetzt. Ich finde, dass das Privatfernsehen den Seidl ausgebremst hat. Das gefährliche am System Seidl ist immer mit diesen Laien zu arbeiten. Er kriegt den Vorwurf, die Menschen vorzuführen, nicht weg. Das sind eben keine Schauspieler, die bewusst entscheiden, auf was sie sich da einlassen, und das ist immer ein extremer Grenzgang. Seit diesen ganzen Formaten wie „Bauer sucht Frau“ denke ich mir immer, das ist dasselbe, was Ulrich Seidl mit Kunststempel macht. Das ist normal geworden und deshalb hat er leider extrem an Relevanz eingebüßt.

Ostrowski: Ich stimme dir nicht ganz zu. Seidl recherchiert monatelang oder teilweise jahrelang, und lernt diese Leute so kennen, dass sie sich von ihm nicht vorgeführt fühlen. Das ist das, was mir die Leute, die mit ihm gearbeitet haben, erzählen. Ich denke, die fühlen sich nicht verarscht. Ich glaube die erzählen die Geschichten gerne.

Rubey: Ich weiß ja nicht. Wieso muss man im neuen Seidl-Film fünf Minuten lang Kinder mit dem Down-Syndrom beim Autodrom-fahren zeigen? Was will er da? Ich denke, das ist auch ein Vorführen.

Ostrowski: Ich bin mir nicht sicher. Ich finde, das ist eine spannende Frage. Aber Christoph Schlingensief zum Beispiel hat auch viel mit Behinderten gearbeitet, und das habe ich meistens als positiv empfunden. Auch für die Leute ist das ja oft toll, sie blühen richtig auf, weil sie endlich jemand ernst nimmt. Ich habe den Ausschnitt vom Seidl jetzt allerdings nicht gesehen, da kann ich nichts sagen.

Rubey: Seidl-Filme kommen im Gegensatz zu Schlingensief trotzdem als Fiktion daher, und da wird es gefährlich. Bei Schlingensief ist es Doku. Da sieht man einfach den Mut von dem Typen. Vielleicht ist Seidl am Set aber auch sehr respektvoll. Da war ich nie…

Ostrowski: Ich freue mich immer, wenn es vom Seidl neue Filme gibt, weil ich habe das Format jetzt langsam auch schon verstanden (Lachen). International hat es so lange gebraucht, so viele Filme und Jahre, bis er weltweit mit seinem Format wahrgenommen wurde. Das braucht einen langen Atem. Wir haben das Ganze nun vielleicht auch schon zu oft gesehen. Der Haneke hat auch jahrelang Filme für 5000 Zuschauer gemacht, und nun hat er einen Oscar…

Rubey: Der Haneke wäre in einem anderen Fördersystem als dem hierzulande einfach lange kein Filmemacher mehr. Das muss man auch sagen.

Das spricht für das Fördersystem?

Rubey: Das kann man sehen wie man will. Ich glaube einfach, er hätte in anderen Ländern einfach keine Filme mehr gefördert bekommen, bei seinen Zuschauerzahlen. Man hat ihm eben die Zeit gelassen.

Ich habe den Eindruck, dass das österreichische Fördersystem, zu dem ja maßgeblich der ORF gehört, Leute über Jahre aufbaut, und irgendwann geht es dann auf, obwohl man vorher jahrelang kaum hinschauen kann.

Rubey: Ja, es gibt beim ORF eine Versorgermentalität. Das ist etwas sehr Österreichisches. Dieser Betrieb ist allerdings ein derartig heterogener Haufen, dass es wahnsinnig schwer ist, dort überhaupt wahrgenommen zu werden. Wenn man da irgendwie Fuß gefasst hat, dann wird man vielleicht wirklich länger beschäftigt, als es eigentlich gut wäre. Da stimme ich dir zu, falls du das so gemeint hast.

Ostrowski: Was ich schwierig finde am ORF ist, dass sich da eine gewisse Mäzenaten-Mentalität gebildet hat. Da gibt es dieses Bewusstsein: Wir haben das Geld. Jeder Kinofilm wird zu einem Drittel vom ORF bezahlt. Wenn du’s beim ORF verschissen hast, dann musst du dir das Geld für einen Film aus Deutschland oder sonst woher holen, was quasi unmöglich ist. Das heißt alle sind irgendwie abhängig. Und dann geben manche dieser entscheidenden Leute vom ORF einem auch noch das Gefühl, dass man ihnen persönlich dankbar sein müsste, wenn sie einem das Geld geben. Ich weiß auch nicht, wie man damit umgehen soll.

Rubey: Es ist immer die Frage, wo man hin will, würde ich sagen. Es ist ein bisschen wurst, ob man in die Musik geht, oder ins Theater. Man kommt immer an den Punkt, an dem man Geldgeber braucht. Vielleicht ist Kabarett das einzige Genre, dass ohne Subventionen auskommt. Du musst dich immer irgendwo andienen.

Was heißt es, sich anzudienen?

Ostrowski: Also ich versuche, das zu vermeiden. Es ist eher so, dass man Unterstützung für gute Projekte braucht. Bei „Demokratie die Show“ auf Puls4 hatte ich zum Beispiel die Anfrage, irgend etwas Politisches für den Sender zu machen. Denen habe ich gesagt: Wir haben im Theater im Bahnhof schon eine Show konzipiert, wieso machen wir nicht einfach die? Und deshalb haben wir dann völlig unbürokratisch und fast ohne irgendwelche redaktionelle Einmischung „Demokratie die Show“ gemacht. Wir hätten auch vier bis sieben Monate mit dem ORF darüber diskutieren können, ob es witzig ist oder nicht.

Was funktioniert im Öffentlich-Rechtlichen, was im Privaten? Oder muss man sich solche Gedanken nicht machen?

Ostrowski: Ich würde mir solche Gedanken nicht machen wollen. Das wäre ganz falsch für eine Show, zu überlegen, was man darf, und was nicht. Beim ORF sitzen natürlich viele in einer mittleren Entscheidungsebene, die Angst vor höheren Ebenen haben. Deshalb werden viele Inhalte auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zusammengekocht, damit sie hoffentlich durchgehen.

Rubey: Man kann im öffentlich rechtlichen Rundfunk nicht mehr wirklich etwas ausprobieren. Die argumentieren dann, für die Kultur hätten sie jetzt ORF III, aber das schaut halt keiner.

Hat ORF III denn überhaupt eine größere Reichweite, als sie sich jeder im Internet selbst schaffen kann? Wie wichtig ist Fernsehen da überhaupt noch?

Rubey: Als wir mit „Fauner Consulting“ um Mitternacht im ORF1 liefen, hatten wir konstant so um die 100.000 Zuseher. Im Internet waren es trotz riesigem Medienecho durchschnittlich 8.000 pro Folge. Das ist einfach nicht vergleichbar. Fernsehen ist noch immer extrem wichtig.

Ostrowski: Ich finde es wichtig, sich dafür einzusetzen, dass Nischenformate im ORF1 und 2 bleiben. Da wird uns immer erklärt, die Leute wollen das nicht sehen. Wie soll mir jemand erklären, was die Leute sehen wollen? Ich hatte mal eine Anfrage für ein Filmdrehbuch für 20.15 Uhr. Da hieß es dann: weißt eh, 20.15 Uhr.

Ihr seid also froh, dass es Privatfernsehen und Internet gibt, aber bei Reichweite und Finanzierungsmöglichkeiten kommt noch lange nichts an den ORF heran?

Rubey: Ganz genau. Außerdem kann man sich das meiste im privaten Fernsehen noch viel weniger anschauen. Das ist schon bitter.

Ostrowski: Aber es ist trotzdem wichtig, dass der ORF nicht mehr dieses Monopol hat. Von diesem Monopol-Denken haben sich viele Leute beim ORF noch nicht ganz erholt. Ich finde es zum Beispiel wichtig, dass nun auch Puls4 Romantic Comedies produziert, auch wenn ich persönlich mir sie nicht unbedingt ansehen müsste. Aber es ist ok, dass da was passiert.

Bild(er) © Matthias Hombauer, Ph.D.
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