Der italienische Musiker Mahmood hat innerhalb eines Jahres einen bemerkenswerten Weg zurückgelegt: Er gewann das Sanremo Music Festival, wurde Zweiter beim Eurovision Song Contest und tourte durch Europa. Sein Debütalbum »Gioventù bruciata« belegte in Italien Platz eins der Charts und sein Hit »Soldi« wurde zum meistgestreamten Lied eines italienischen Künstlers in der Geschichte.
Das Interview wurde schon einige Wochen vor den aktuellen Geschehnissen geführt. Seitdem hat Mahmood u. a. das Stück »Eternantena« veröffentlicht, das von menschlichem Leid in Zeiten der Isolation handelt.
Du hattest 2019 ein unglaublich erfolgreiches, aber auch sehr forderndes Jahr. Was ist das Wichtigste, das du aus all den Erfahrungen mitnimmst?
Ich wollte immer performen und Lieder schreiben und tue dies seit einigen Jahren auf Italienisch. Ein Traum von mir schien jedoch bisher unvorstellbar: dass meine Musik auch Menschen außerhalb meines Landes erreichen könnte. Bei »Soldi« gibt es keine einzige englische Textzeile, daher war es für mich eher unrealistisch, dass das europäische Publikum es annehmen würde. Aber dank Eurovision wurde das Lied europaweit zum Erfolg und damit wurde dieser Traum zur Wirklichkeit. Das ist es, was ich mitnehme.
»Soldi« hat viele berührt, geht es in diesem Lied doch um eine schwierige Vater-Sohn-Beziehung …
Ja, vielleicht war es gerade deshalb so erfolgreich. Selbst wenn ich das Lied im Kontext meiner eigenen Jugend singe, bin ich mir der Tatsache bewusst, dass es um Erfahrungen geht, die auch andere gemacht haben, um echte menschliche Gefühle. Das Verhältnis zu meinem Vater ist aber seit längerer Zeit absolut in Ordnung, wir sehen uns und reden miteinander.
Dein Erfolg in Sanremo wurde überraschenderweise Teil einer politischen Debatte über »wahre« italienische Identität (Mahmoods Vater ist Ägypter; Anm. d. Red.). Lässt dich die Tatsache, dass du Italien kürzlich sogar im Europäischen Parlament vertreten hast, die Kommentare von damals vergessen?
Glücklicherweise dauerte diese Diskussion nicht allzu lange. Es war dann eine große Ehre, Italien im Europäischen Parlament zu vertreten – was hoffentlich einen positiven Effekt für das Land selbst hatte. Natürlich war es auch sehr gut für mich, denn ich versuche, meine Musik in ganz Europa bekannt zu machen. Heutzutage gibt es keine italienischen KünstlerInnen, die in Spanien oder Großbritannien besonders erfolgreich sind. Ich und andere KünstlerInnen versuchen, das zu ändern.
Bedeutet das, dass du auch in Zukunft bevorzugt auf Italienisch singen wirst?
Ja, das werde ich. Ich finde es cool, wenn ich italienische Musik auf diese Weise zum Erfolg führen kann. Ich denke, auf Englisch zu singen, wäre sogar der einfachere Weg für einen Nicht-Muttersprachler.
Dein Debütalbum »Gioventù bruciata« (auf Deutsch: verschwendete Jugend; Anm. d. Red.) ist eine Sammlung von tanzbaren Songs mit poetischer Kraft. Hatte die Wichtigkeit der Texte Einfluss auf den Schreibprozess?
Nun, es gab keine strenge Regel, aber bei diesem Album begannen wir normalerweise tatsächlich mit den Texten. Ich versuche, über Realitäten auf meine eigene Weise zu sprechen und dabei die Poesie im Alltäglichen zu entdecken. Diese Reihenfolge ändert sich jedoch gerade ein wenig. Immer mehr entdecke ich, dass es musikalisch mehr Raum zum Experimentieren gibt, wenn ich mit der Melodie beginne. Man ist weniger flexibel, wenn der Text bereits fertig ist. Die Arbeit am Album half mir, mein Songwriting zu verbessern, die Art und Weise, wie ich Melodien, Sounds und Produktion wähle. All diese Songs geschrieben zu haben und ihren Erfolg zu erkennen, erlaubt es mir jetzt, spontaner zu komponieren.
Deine Texte sind oft genderneutral geschrieben.
Ja, das mache ich bewusst. Diese Neutralität ermöglicht es mir, universelle menschliche Gefühle besser zu beschreiben.
Du nennst deinen Sound »Marocco Pop«. Er vereint moderne und traditionelle Musikelemente. Ist das die Klangwelt, die wir auch auf deinem zweiten Album erwarten dürfen?
Für mein zweites Album versuche ich auch, neue Producer und MusikerInnen einzubeziehen. Aber für mich ist es wichtig, weiterhin mit Dario »Dardust« Faini und Charlie Charles zusammenzuarbeiten, denn die beiden sind erstaunliche Künstler. Sie inspirieren mich und leisten einen wichtigen Beitrag zu meiner Musik.
Die Jugend war ein zentrales Thema auf deinem Debütalbum. Wird sich die neue Platte auch um ein übergeordnetes Thema drehen?
Ja, es wird wieder um ein bestimmtes Thema gehen. Aber was genau, kann ich dir noch nicht sagen … (lächelt rätselhaft)
Dein persönlicher Stil scheint ein wichtiger Teil deiner künstlerischen Sprache zu sein. Wie intensiv warst du bei den Visuals involviert?
Meine Videos beruhen auf Ideen von mir und meinem Freund Attilio Cusani, der viele von ihnen inszeniert hat. Wir beziehen auch Ideen aus Fotos, Büchern und Filmen, aber die größte Inspiration kommt von meinen Songs und den Texten.
Gilt das auch für das Albumcover? Weil es bis ins kleinste Detail durchdacht aussieht. Aber wofür steht die Milchflasche?
»Gioventù bruciata« ist der italienische Titel des James-Dean-Klassikers »Rebel Without A Cause«. Ich ließ mich von diesem Film inspirieren, insbesondere von der Szene, in der James Dean nach einem Kampf sein angeschlagenes Gesicht mit einer Milchflasche abkühlt. Ich beschloss, die Szene nachzustellen, aber die Milch dabei auszugießen. Ich wollte sagen, dass unsere »gioventù bruciata«, unsere Jugend, mit Ideen und Herz kämpfen will anstatt mit Fäusten.
Also, ein »Rebel With A Cause«?
Vielleicht … (lächelt)
Vor Kurzem hat Mahmood die Single »Eternantena« veröffentlicht. Sein neues Album dürfte noch heuer erscheinen.