»Man darf sich nicht verbiegen lassen« – David Kross im Interview zum Film »Simpel«

In der Romanverfilmung »Simpel« gibt David Kross den gleichnamigen Titelhelden. The Gap traf den Schauspieler zum Interview.

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© Constantin Film

Ein junger Mann geht durchs Wattenmeer, auf seinem Kopf trägt er eine Krone aus Karton. Mit seiner linken Hand zieht er einen Eimer hinter sich, in dem ein Stoffhase sitzt. Er ruft: »Land in Sicht!« Einmal, zweimal. Seine rechte Hand ist zu einem imaginierten Fernrohr geformt. Der junge Mann heißt Barnabas, von allen Simpel genannt, ein 22-Jähriger, der sich auf dem geistigen Stand eines Dreijährigen befindet. Gleich wird ihn sein älterer Bruder Ben (Frederik Lau) finden, gleich werden die beiden auf dem Wattenmeer zu tanzen beginnen. Simpel und Ben sind grundverschieden und nicht zu trennen, vor allem eint sie der Gedanke, für den jeweils anderen da sein zu müssen. Zu wollen. Als ihre Mutter stirbt, machen sie sich auf die Suche nach ihrem Vater (Devid Striesow). Sie fahren nach Hamburg, treffen auf neue Weggefährten und müssen sich beide die Frage stellen, wie es denn von nun an weitergeht, das (eigene) Leben.

David Kross, mitunter bekannt aus »Der Vorleser«, »Krabat« und »Same Same But Different«, spielt die Hauptrolle in der von Markus Goller inszenierten Verfilmung des gleichnamigen Jugendbuchs der französischen Schriftstellerin Marie-Aude Murail. Im Gespräch erzählt er davon, wie er sich die Figur Simpel erarbeitet hat, warum seine Hand beim Dreh fast verbrannt wurde und was ihn an seiner Arbeit besonders fasziniert.

Wie hast du dich auf die Rolle vorbereitet?

Bevor ich die Rolle angenommen hatte, hatte ich zu Beginn ein bisschen Schiss, dass es eben ins Alberne kippt, dass die Figur zu einer Karikatur verkommt. Daher war es mir sehr wichtig, dass ich mich intensiv vorbereite. Ich war in vielen Behindertenheimen und habe mit Psychologen gesprochen, um ein Gespür für dieses Thema zu bekommen, da ich sonst nicht viele Anhaltspunkte hatte. Eine Freundin meiner Mutter hat zwar einen geistig behinderten Sohn, mit dem ich ein paar Mal gespielt habe, aber das war’s dann auch schon. Ich wollte mich also anfangs viel mit dem Thema beschäftigen und irgendwann habe ich den Simpel gefunden, den ich darstellen wollte. Anschließend ging es darum, dass ich ihn wie eine zweite Haut annehme. Ich bin dann auch mit Frederik Lau, der meinen Bruder spielt, zum Beispiel durch Berlin gegangen und wir haben uns wie die Figuren aus dem Film verhalten, um zu sehen, wie das auch in der Öffentlichkeit ist.

»Simpel« © Constantin Film

Gab es da irgendwelche besonderen Momente?

Wir sind über die Kastanienallee gegangen, und dort laufen immer viele Schauspieler herum. Die Gegend dort wird ja auch »Casting-Allee« genannt. Wir sind also dem einen oder anderen begegnet, aber wir haben versucht, in den Rollen zu bleiben. Es war auf jeden Fall eine wichtige Erfahrung.

Ab wann wusstest du, dass du Teil des Projekts werden wolltest?

Es war keine bestimmte Szene, die beim Lesen des Drehbuchs für mich herausgestochen ist, sondern eher eine Essenz, die bei mir so angekommen ist: dass diese beiden Brüder sich eben unbedingt brauchen und jeder für sich denkt, er muss auf den anderen aufpassen. Jeder hat seine Macken, aber sie haben diese bedingungslose Brüderliebe für einander, und diese Essenz hat mich sehr berührt. Aus diesem Grund wollte ich den Film machen.

»Simpel« © Constantin Film

Dem Film gelingt es meiner Meinung nach, Simpels geistige Behinderung so darzustellen, dass sie natürlich sichtbar ist, aber dass er dennoch ein Charakter ist, dem eine gewisse Agency zugelassen wird. Er kann also – zumindest in einem gewissen Rahmen – Entscheidungen treffen und seine Wünsche werden – zumindest von seinem Bruder – auch ernst genommen. Er selbst wird als Figur ernst genommen. Wie schwierig war es, bei der Erarbeitung der Figur und beim Dreh sich in diese hineinzuversetzen und vor allem auch die passende Gratwanderung zu finden und nicht etwa in Klischees zu verfallen?

Das freut mich natürlich, dass du das gesagt hast, denn das war eben auch meine Intention, dass diese Figur zwar anders ist, aber sie dennoch die Leute an etwas erinnern kann – zum Beispiel an etwas aus ihrer Vergangenheit oder an Erlebnisse, die sie irgendwie ebenso kennen. Das habe ich auch in Behindertenheimen erlebt, dass man von diesen vieles lernen und für sich mitnehmen kann, dass sie in manchen Bereichen womöglich gar weiter sind, da sie oft weniger Vorurteile haben und offener sind. Daher war es eben unsere Intention, dass man Simpel auf Augenhöhe begegnet.

Welche Schlüsse konntest du für dich noch bei der Erarbeitung der Figur ziehen?

Es war mir wichtig, dass ich viel Input bekomme und dass ich so viel aufnehme, wie ich kann, um zu sehen, wie ich die Rolle selbst für mich umsetzen kann. Da ist mir aufgefallen, dass man so genau wie möglich sein muss und die Rolle nicht verraten darf. Man muss sich vorher klarmachen: Wie die Figur ist, so wird sie auch den ganzen Film über sein, denn nur so kann das Publikum einem die Figur glaubhaft abnehmen. Mir war es auch wichtig, dass man in der Geschichte selbst ist, dass man nicht nur sieht, dass da jemand einen geistig behinderten Menschen spielt, sondern es ist ja auch ein Film, eine Geschichte, die man verfolgen soll.

Auf der nächsten Seite: die Zusammenarbeit mit Frederik Lau, brenzlige Situationen und das Reizvollste an der Schauspielerei.

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