Nerdistischer Selbstexorzismus – »Masking Threshold« von Johannes Grenzfurthner

Johannes Grenzfurthner, Mitbe­gründer des Kunst- und Theorie­kollektivs Monochrom, wurde zuletzt für »Masking Threshold« inter­national auf diversen Genrefilm-Festivals gefeiert. Sein Protagonist macht sich darin wortreich und in immer unbarm­herzigeren Experi­menten auf die Suche nach einer Erklärung für den Tinnitus, der ihn – im wahrsten Sinne des Wortes – in den Wahnsinn treibt. Der wirklich außer­gewöhnliche Horror­film feiert bei der Diagonale seine Österreich­premiere.

Wie ist das dann genau abgelaufen mit den Tieren?

Da musste ich sehr viel recherchieren. Die Ameisen zum Beispiel, die waren nicht gerade billig. Es handelt sich um Floridianische Weber­ameisen, die haben 100 Euro gekostet. Sechs Stück! Ich hab sie bei myants.de bestellt und gedacht, die werden mir schon 30, 40 von diesen Ameisen schicken, da hab ich schon was, womit ich mich spielen kann. Aber nein, ich hab tatsächlich nur eine Königin und fünf Arbeiter gekriegt. Die waren dann noch dazu so wahn­sinnig … Ich hab ja mit Klebe­band dieses Gefängnis für sie gebaut und die haben ständig versucht, sich umzubringen, indem sie auf dieses Klebe­band gelaufen sind, damit die nächste Ameise über sie drüberklettern kann. Wir haben das dann alles innerhalb von zehn Minuten gedreht, weil ich mir gedacht hab, mir gehen die Ameisen aus.

Und erst die Nackt­schnecken! Eigentlich wollten wir Ende September drehen. Flo hat dann allerdings einen Job reingekriegt und wir mussten alles um zwei Monate verschieben. Ich hasse ja Nackt­schnecken. Es sind überhaupt so viele Sachen in dem Film, die ich persönlich ekelhaft finde … Na jedenfalls krieg ich diese Nackt­schnecken von einem Freund und will das eigentlich schnell drehen und dann wieder weg damit. Doch dann muss ich auf einmal zwei Monate auf die Nackt­schnecken aufpassen. In einem Terrarium. Innerhalb von drei Tagen haben die alle Namen gehabt. Ich hab ihnen die besten Erdbeeren gefüttert, Salat und so. Und nach ein, zwei Wochen hab ich sie dann schon frei herum­kraxeln lassen. Ich bin tatsächlich durch den Film meine Furcht vor Nackt­schnecken losgeworden.

Am Anfang hatte ich mir gedacht: Egal, ich streu einfach wirklich Salz auf sie. Bei meiner Großmutter in Nieder­österreich hab ich das schließlich oft genug gesehen. Das wollte ich dann aber nicht mehr. Also bin ich in eine Wiener Chemikalien-Handlung. Und ich hab gesagt, ich brauche etwas, das ausschaut wie Salz­kristalle, auch in der Vergrößerung, das sich aber nicht wie Salz­kristalle verhält, das sich auflöst, aber halt nicht reagiert, irgendwie so etwas. Und dann schaut mich die dort an und sagt: »Wofür brauchen’s denn das?« – »Naja, ich möchte das auf eine Nackt­schnecke draufgeben und die darf aber nicht sterben.« Und sie: »Ich hab genau das Richtige für Sie!« (lacht)

Als wir das dann auf die Nackt­schnecke draufgetan haben, hat die sich natürlich gewunden – wer mag es schon, wenn irgendwelche weirden Sachen auf einen draufge­schüttet werden? Aber dass sie sich zu bewegen aufhört, dafür haben wir einfach das Bild verlangsamt. Was die anderen Sachen betrifft: Ich hab rumtele­foniert und bin draufge­kommen, dass ich in meinem Bekannten­kreis tatsächlich ein paar Leute hab, die Tiere ausstopfen.

Makroaufnahmen des Grauens: »Masking Threshold« (Bild: Florian Hofer)

Und die Hand?

Das war auch der angenehmen Tatsache geschuldet, dass ich über die Jahre so viele Leute kennen­gelernt hab, die Special-Effects-Geschichten machen. Steve Tolin ist ein alter Freund von mir, er hat gesagt, dass er ungefähr 25 Hände hat und ich solle mir einfach die aussuchen, die am besten passt. Aber manche Sachen sind auch extra hergestellt worden, primäre Geschlechts­organe zum Beispiel – ohne jetzt zu spoilern. (lacht)

Auch Sounddesign und Score sind wichtige Elemente des Films.

Absolut! Lenja Gathmann hat das Sound­design gemacht. Sie ist echt unglaublich. Wir haben bei den Dreh­arbeiten kein einziges Mikrofon mitlaufen lassen. Das heißt, alles, was man sieht, etwa das Blubbern oder das Ins-Ei-Reinstechen, hat sie im Foley-Studio nachvertont. Zusätz­lich hat sie noch spooky Texturen gebastelt. Und all das hat sie dann großartig mit dem Score verwoben, den Tina 303 eingespielt hat. Tina hat sich den Film einfach angesehen und dazu am Korg MS-20 improvisiert. Das hat sie viermal gemacht und von diesen vier Takes haben wir dann jeweils einzelne Teile verwendet – je nachdem, wo gerade etwas Spannendes oder Hervor­stechendes passiert ist.

Zum Abschluss noch einmal zurück zu deinem Protagonisten. Er ist ein Nerd und hat im Film auch eine gute Definition dafür parat, was einen Nerd ausmacht: diese positive Besessenheit.

Genau, das finde ich auch. Im positiven Fall ist ein Nerd ein sehr von einem Thema einge­nommener, sich in dieses reintigernder, obsessiver Charakter. Und im negativen ist es so, dass diese Besessen­heit maßlos wird, auf eine Art, dass sie dann nicht mehr grenzenlos ist, sondern sich vielmehr verengt. Obwohl der Protagonist ein wissen­schaftlich gebildeter Mensch ist, überwältigen ihn seine dunklen, regressiven Ängste und seine Hybris. Er ist ein Besser­wisser, der in seinem improvi­sierten Labor, einer Art selt­samen Gebär­mutter, schimpft und tobt, und doch weiß er nichts.

Wie hat sich deiner Meinung nach die Rolle des Nerds in den letzten Jahr­zehnten verändert?

Die Welt wird heute von Nerds regiert. Schau dir die Top Ten Global Companies an, das sind alles Nerd-Operationen. Es ist eigentlich so eine Art Revenge of The Nerds: dass die Leute, die früher die Außen­seiter waren und nicht genau gewusst haben, was sie anfangen sollen mit ihrer Begeis­terung, auf einmal alle damit quälen. (lacht)

Oder die Welt retten …

Das glaub ich nicht so ganz. Die Obsession für ein Thema alleine bringt uns noch nirgendwohin. Nur weil Elon Musk ein Space-Nerd ist, der weiß, wie er ein Raumfahrt­programm aufstellen kann, heißt das noch lange nicht, dass er nicht irgend­welche Defizite hat oder damit eigentlich Schaden anrichtet. Ich glaube, dass Nerds nicht wirklich mitbe­kommen haben, dass sie Main­stream geworden sind und dass das alles Leute sind – man denke nur an QAnon oder Gamergate –, die eigentlich einen privilegierten Status haben, die sich Sachen leisten können, dabei aber glauben, sie würden unterdrückt. Dieser Teil des Selbstver­ständnisses von Nerds, dass wir gegen die Welt sind, hat sich verschoben. Das kann auch in eine Art Hass oder destruktives Verhalten umschlagen. Insofern bin ich eher ein guter alter Old-School-Nerd, der sich denkt, man muss sich diesen subversiven Kern­gedanken bewahren und damit etwas Positives tun.

Die Diagonale zeigt »Masking Threshold« am 7. sowie am 9. April. Am 12. April feiert der Film mit einer Vorstellung im Schikaneder in Wien seinen öster­reichischen Kinostart. Einen Überblick über unsere Beiträge zur Diagonale findet ihr hier.

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