Maurice Ernst im großen Interview: „Wie schaffst du einen Austropop, der nach heute, der nach uns klingt?“

Bilderbuch lassen uns ab nächster Woche an ihrem „Magic Life“ teilhaben. Vorab hat uns Maurice Ernst erzählt, welcher Generationen-Gedanke hinter dem neuen Album steckt, warum „Barry Manilow“ die erste österreichische Cloud-Rap-Nummer ist und warum er Voodoo Jürgens mit Vorsicht genießt.

Apropos nostalgische Gefühle: Wie geht es dir, wenn du die früheren Bilderbuch-Songs hörst? Denkst du eher, dass es eh ein guter Anfangssound war, aus dem sich was entwickelt hat, oder cringest du da schon an manchen Stellen?

Es ist beides, tauscht sich ab. Natürlich bin ich gewissermaßen stolz, dass man schon so viel gemacht hat. Und dass man es unter dem einen Namen gemacht hat. Ich finde, das ist auch nur ehrlich, weil jeder, der lange Musik macht, halt einfach Sachen macht, aus denen er herauswächst. Und wir heißen halt solange Bilderbuch. Der andere hat halt drei Mal die Band gewechselt oder den Namen geändert, weil er eine bessere Idee hat. Dafür kann man uns kacke finden, aber ich glaube, die meisten Leute finden das sogar bewundernswert, diese Härte, diese Sturheit, dass man drüber steht. Wenn wir in einer Setlist rein theoretisch ein Lied von „Nelken & Schillinge“ spielen bei der „Magic Life“-Tour, erzählst du mit einem Lied eine Geschichte. Und nicht der Song selbst erzählt die Geschichte, in dem was er sagt. Sondern indem du ihn mittendrin spielst, zeigst du eigentlich, dass du von wo herkommst und dass es eine ganz, ganz lange Geschichte hat. Das ist schon spannend, was du damit dramaturgisch machen kannst, wenn du länger existiert hast.

Und dass es trotzdem eine Fanbase ist. Leute, die mit „Schick Schock“ auf euch aufmerksam wurden, können ja teilweise auch „Joghurt auf der Bluse“ auswendig.

Genau, ja. Noch dazu „Joghurt auf der Bluse“. Ich denk mir manchmal, wir waren vielleicht ein bisschen zu jung, aber „Joghurt auf der Bluse“ ist immer noch ein richtig geiler Song. Den Dada hat es damals nicht wirklich gegeben und es war einfach da. Und jetzt ist das fast schon Usus geworden, dass man Nonsens und Dada bringen kann in der Richtung. Von der Instrumentierung, von der Aufnahme her ist es natürlich eher so „wäh“. Aber eigentlich könnte es auch ein Talking-Heads-Song sein, wenn wir es jetzt noch mal aufnehmen würden.

Bei aktuellen Acts wird oft eine Wastedness zelebriert. Die eigene Kaputtheit. Ihr macht quasi das Gegenteil. Findet ihr das cool, wenn das andere machen, oder eher nicht so leiwand?

Nein, das ist voll okay. Das ist eine gewisse Grunge-/Punk-Haltung. Das ist immer so mit Punk und Grunge: Der hat eine Idee, ein Gefühl und dann fängt er an, sich extrem zu wiederholen. Weil es eh auf einer Jugendidee aufbaut, die künstlerisch genau nur diesen einen Wert hat, dass sie überhaupt existiert. Und da merkt man, es wiederholt sich ja krassest. Es ist überhaupt keine Abwechslung innerhalb dieses Genres da. Und jetzt muss man einfach schauen, was da passiert mit dieser Bewegung. Das Spannendste an dem ganzen ist die Wastedness. An Grunge, an Cloud Rap, an Sex-Pistols-Punk. Das ist eine Erscheinung, die ein Gegenpart ist zu dem, was lebendig ist. Zu Funk. Zu dem, dass Musik auch Bauchgefühl, Instinkt bedient. Das braucht es unbedingt.

Ich glaube auch, dass wir das gewissermaßen einfließen haben lassen. Aber auf unsere Art und Weise. Diese Wastedness, die spürst du ja irgendwie. Du hast ja das Gefühl, dieses Hilflose. Das soziale Zucken und in sich Reinzucken. Die denken halt, es ist sowieso alles too much, „ich bin lost“. Und bei uns ist es ein Spiel mit dem Gedanken. Jeden zuckt es ein bisschen zurück in die Häuslichkeit, in die Sicherheit. Egal, wie offen du bist. Keiner kann so wirklich sagen: „Das machen wir schon“. Keiner hat so wirklich eine Lösung. Dieses Zucken, das ist der Bungalow. Das ist das Mama-kocht-für-alle-Feeling. Eh noch immer cool, aber man spielt mit dem Gefühl, dass es eigentlich früher besser war. Dass man eigentlich eh gern von der Mama bekocht wurde und dass man sich das erhalten will. Man hat das Gefühl, es läuft einem davon, es wird einem weggenommen. Ich find das interessant und das spürst du ein paar Mal auf dem Album. Es wird dem Gefühl aber auch sehr viel Schild geboten. Wir versuchen uns nicht nur als Opfer zu sehen von diesem Momentum, sondern auch dagegenzuhalten. Das „I <3 Stress“ hochzustilisieren und zu sagen: „Oida, das ist es ja eigentlich. Wir müssen uns nur auseinandersetzen damit.“

Ihr verarbeitet das eigene Kaputtsein und das Kaputte der Welt also einfach auf eine andere Art.

Bei uns ist es halt nicht negativ. „Magic Life“ will ja trotzdem positiv klingen. Obwohl es ein Trugbild ist. Da kannst du sagen: „Ist der Künstler echt, ist er unecht?“ Du kannst Internet reinpacken. Transparenz – wo fängt die Echtheit an? Du kannst es genauso auf Österreich beziehen, auf Europa, du kannst es auf die westliche Welt beziehen, dieses „Magic Life“. Da fängt es an interessant zu werden. Und das ist nur eine Möglichkeit. Ich weiß, dass Bilderbuch kein Manifest aus einem Album macht. Wir sind nicht Ja, Panik, die von vorn bis hinten alles durchplanen oder zumindest den Eindruck erwecken, alles durchgeplant zu haben. Wir arbeiten trotzdem mit dem Bauch. Aber mir ist immer der Schirm, unter dem das Album stattfinden darf, ganz wichtig. Der muss schon sitzen. Das muss schon eine Metapher oder irgendwas sein, das Sinn macht.

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