Maurice Ernst im großen Interview: „Wie schaffst du einen Austropop, der nach heute, der nach uns klingt?“

Bilderbuch lassen uns ab nächster Woche an ihrem „Magic Life“ teilhaben. Vorab hat uns Maurice Ernst erzählt, welcher Generationen-Gedanke hinter dem neuen Album steckt, warum „Barry Manilow“ die erste österreichische Cloud-Rap-Nummer ist und warum er Voodoo Jürgens mit Vorsicht genießt.

Musikalisch hört man bei „Magic Life“ vor allem den Cloud-Rap-Einfluss raus, neben Songs, die eher Oldschool-Funk-Pop sind …

(unterbricht) Hast du dir schon mal überlegt, dass „Barry Manilow“ die erste Cloud-Rap-Nummer war, die es je gegeben hat in Österreich? Wenn das Cloud Rap ist, was wir machen, müsste „Barry Manilow“ die erste Nummer sein. Der erste erfolgreiche Cloud-Rap-Song, sagen wir’s mal so. Man merkt schon, dass wir vielleicht eine Notwendigkeit waren in diesem Land, um da ein Momentum zu erzeugen. Das ist halt lustig. Weil „Barry Manilow“ hör ich mir an und denk mir, das ist ungefähr das. Glaub ich.

Auf „Schick Schock“ habt ihr immer gesagt, dass ihr beim Songwriting viel Kanyes „Beautiful Dark Twisted Fantasy“ gehört habt. Gab es bei „Magic Life“ ein Album oder einen Sound, den ihr gehört habt währenddessen?

Eher weniger. Die „Schick Schock“ war noch geprägt von direkten Idolen. Man verarbeitet Kanye, man verarbeitet Prince auf seine Art und Weise. Ich hab das Gefühl, bei „Magic Life“ war das gar nicht so das Thema. Das Thema war Musik zu machen nach so langer Zeit Bandgeschichte und zu schauen: Wo kommen wir denn hin, wenn wir uns über das nicht konkret Gedanken machen? Ja, klar, Travis Scott fließt dann rein und dann ZZ Top und so weiter. Also du hast natürlich einen kompletten Mischmasch, eine komplette Katastrophe an Influences. Und eigentlich war das der Grund, warum wir auf uns vertraut und einfach mal Musik gemacht haben. Deswegen fällt es mir schwer, ein Idol oder einen Leitfaden auszumachen. Das Album ist viel näher bei einem selbst. Man hat Sachen zugelassen und Sachen probiert.

Aber natürlich gibt es beides. So was wie „Superfunkypartytime“, was aus einem rauskommt, aus Liebe zur Musik. Das ist natürlich, wie du sagst, ein Funk-Pop/P-Funk/Prince-Verständnis, das dann übergeht in Bilderbuch. Aber dann gibt’s so was wie „I <3 Stress“, da haben wir probiert Sachen wie Radiohead und Kendrick Lamar zueinander zu bringen. Aber das macht man nicht bewusst, sondern im Nachhinein, indem man probiert etwas zu machen, was für einen selber noch nicht da war. Ich glaube, das ist wichtig und das ist auch das, was mich langweilt an dem Cloud Rap, den wir alle hier als neu ansehen. Das ist eine Kopie aus Amerika. Eins zu eins, hundert Prozent. Nur nicht so gut. Und „I <3 Stress“ ist ein Versuch, eine Eigeninterpretation davon zu machen. Wirklich nämlich. Von dem, was gerade auf der Welt passiert. Und dass das nicht immer tausend Prozent gelingen kann, auch das ist okay. Da muss man dann einfach ehrlich sein und kämpfen für den Shit.

Maurice Ernst © Elizaveta Porodina
Maurice Ernst © Elizaveta Porodina

„Ich will eigentlich mit keinem nationalen Gedanken meine Musik, mein Geld machen. Ich will kein österreichisches Klischee per se nach Deutschland verkaufen.“ – Maurice Ernst

 

Ihr habt für den österreichischen Pop eh schon einiges getan. Gibt es Acts, für die ihr den Weg geebnet habt, die ihr selbst auch feiert?

Das muss ich kurz revidieren. Das klingt im Moment noch ziemlich arrogant und weit hergeholt, dass man den Weg für konkrete Sachen geebnet hat. Ich glaub, konkret kann man das gar nicht benennen. Ich glaube, es ist eher ein Grundgefühl und eine Selbstverständlichkeit, wo wir ziemlich am Anfang gestanden sind, wo das einfach nicht da war, neu war. Das war ein extrem anstrengender Akt sich überhaupt mal dahin zu bringen. Wie sehr sich das dann ausgewirkt hat auf die Szene, die es nicht gibt – also eher diese Pendant-Szene aus Wien, der eine macht das, der andere macht das – weiß ich nicht genau. Ich kann mir nur vorstellen, dass wir zumindest mit gutem Beispiel vorangegangen sind. Im Endeffekt dürfen wir das gar nicht zu sehr beurteilen, auch wenn ich es mir öfter mal denke, will ich es nicht aussprechen. Das sollen die Leute in zehn, zwanzig Jahren beurteilen, wie wichtig das war. Nicht ich. Und wenn dann alle sagen, Wanda waren die ersten, dann haben sie halt falsch recherchiert.

Aber gibt’s grundsätzlich Musik aus Österreich, die ihr gemeinsam gut findet und hört?

Grundsätzlich immer wieder mal. Also früher ist das gar nicht gegangen. Da waren wir so wilde jugendliche Boys, die halt alles scheiße gefunden haben, was rein theoretisch nicht wir waren. Außer es kam aus Amerika und England, das war okay, das war geil. Da können wir mittlerweile auch schon ein bisschen drüberstehen. Man schaut auf sich sehr kritisch. Man kann aber sehr wohl gute Momente von Kollegen, die einen umgeben, schon auch genießen und respektieren. Und genau das tun wir, ohne da konkret einem anderen Künstler einen Schrein oder einen Altar zu bauen und zu sagen, das ist die Wahrheit und die kommt aus Österreich. Nein, da ist man schon eher bei sich am Suchen, bei sich am Arbeiten.

Obwohl super Momente dabei sind. Mir und der ganzen Band gefällt auf jeden fall mehr diese Cloud-Rap-Bewegung als dieser opportune Austropop, der da jetzt die letzten Monate entstanden ist. Der so tut, als sei das alles nur ein Versehen, dass auf einmal alles auf Dialekt gesungen wird. Zum Beispiel Voodoo Jürgens, der mit Retro arbeitet, wie ich es das letzte Mal 2004 gesehen hab. Eh cool, eh hip, eh leiwande Hemden. Aber: Come on! Ich kann dem nichts abgewinnen. Im Gegenteil. Je mehr Wochen vergehen, umso kritischer werde ich. Weil ich finde, die Jungs triggern eine Nostalgie, sie wärmen eine Suppe auf. Und das in einer Zeit, in der dieser soziale Zucker zur Häuslichkeit bedeutet, dass Leute sich wohlfühlen, wenn sie etwas Vertrautes wieder hören. Sprich: Ich will eigentlich mit keinem nationalen Gedanken meine Musik, mein Geld machen. Ich will kein österreichisches Klischee per se nach Deutschland verkaufen. Ich will Österreicher sein, ja. Aber ich will nicht um die Häuser ziehen und irgendwas verkaufen, was mit diesem Land eins zu eins zusammengeht. Das liegt mir nicht nah. Die Kunst muss größer sein als dieses kleine Land. Das stört mich auch so ein bissl. Und dann so tun, als wär das alles nur Zufall, ein Gag. Aber das ist kein guter Gag in diesen Zeiten. Ernst Molden gibt’s schon ewig und kein Hund brunzt herum wegen dem Typen. Und dann kommt Voodoo Jürgens und erlaubt sich einen studentischen Gag, der modisch geschuldet ist. Das macht für mich keinen Lack. Auch wenn das für sich gesehen eine Qualität hat. Da kann man den Wanda-Jungs noch am wenigsten vorwerfen, weil die da dieses Ding ein bisschen unschuldig ausgelöst haben. Seiler & Speer und Pizzera & Jaus ist alles Wanda. Die Drei muss man in einer Linie nennen. Man muss aufpassen mit Retro. Man muss aufpassen mit diesem österreichischen Trigger à la Austropop, Fendrich, Ambros, weil man damit was bei den Österreichern auslöst, was wenig mit Musik zu tun hat. Sie glauben nämlich, das sei Musik, klopfen sich auf die Schultern und sagen „Endlich wieder!“. Sie meinen was zu kaufen, nur weil es aus Österreich ist und weil es endlich wieder mal rockt. Das sind alles so Gedanken, die sind so komisch. Damit kann ich mich überhaupt nicht identifizieren. Im Gegenteil. „Magic Life“ ist genauso auch eine Distanzierung davon.

Maurice Ernst © Elizaveta Porodina
Maurice Ernst © Elizaveta Porodina

Auch wenn „Baba“ noch lustigerweise ein Momentum war, das wir zugelassen haben. Das war der erste Song nach „Schick Schock“. Da haben wir gewusst, okay, das ist uns jetzt passiert, das war da. Eigentlich wollten wir so bissl was in Richtung Roxy Music machen, haben probiert mit Demos. Und sind dann hingekommen zu dem Song. Er ist cool und er ist krass aneinander geschnitten, was dann wieder Kanye-West-mäßig ist, wenn das Solo kommt. Wieder diese Härte, das Moderne, dieses Sampling. Nicht der Fluss, sondern der Bruch macht die Musik. Und trotzdem ist es für mich ein Höhepunkt des Austropop in unserer Zeit jetzt – wenn man schon von Austropop spricht –, weil es nach heute klingt und weil es nicht nach damals klingt.

Und weil es mit verschiedenen Sachen spielt, nicht nur mit sich selbst?

Genau! Und es hat eben auch Autotune drin, es hat diese harten Solos drin. Wie schaffst du einen Austropop, der nicht nach vermeintlich Qualtinger oder diese Richtung klingt? Wie schaffst du einen Austropop, der nach heute, der nach uns klingt? Und das finde ich interessant bei „Baba“ und gleichzeitig ist der Song auch für mich ein Abgesang, das Thema ist erledigt. Das ist unser Beitrag dazu. Ich bin gespannt, wie diese Nummer lebt, wenn sie dann releast ist. Was sie machen darf die nächsten Jahre. Wie die Leute sie wahrnehmen.

„Magic Life“ von Bilderbuch erscheint am 17. Februar 2017 bei Maschin Records. Im Rahmen der Tour zum Album ist die Band an folgenden Terminen in Österreich zu sehen: 5. und 6. Mai, Graz, Kasematten — 17. und 18. Mai, Wien, Arena Open Air — 26. August, Linz, Tabakfabrik.

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