Vier Tage in Ostrava

Das Colours of Ostrava ist ein Festival in Tschechien. Ein sehr gutes, wie Fotos und Berichte zeigen.

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Tag Eins, Donnerstag.

Mit dem Glauben ist das ja immer schwierig, weil wissen kann man es ja fast nie. Weil wenn du glaubst, das Colours in Ostrava ist nicht gut organisiert, dann weißt du es echt nicht. Allein die Journalisten-Care, ein Traum. Da macht es auch nichts, dass du dich vorher im Zug ein bisschen wie Hans Wurst und Max Durst am Weg nach Drogomysl fühlst. Und wenn du dann mal dort bist, deine sieben Sachen beisammen hast, dann spielt zum Auftakt gleich mal Björk. Headliner am Anfang.

Auf der Bühne – das muss man jetzt schon mal sagen, weil Fotos darf man von ihr keine machen, man weiß aber eh wie die ausschaut – sind ganz viele Streicherinnen und Feuerwerke gibt’s auch noch obendrauf. Ooh und aah, machen die Leute dann, wie zu Silvester. Set war okay, ein paar Hits kennt man eben.

Überhaupt, die Orientierung ist eh relativ einfach, Festivals kennt man halt. Auf einem Gelände, das so groß ist wie von der FM4-Bühne zur U6 am Donauinselfest, sind dann ur viele Bühnen, manche versteckt, die Architektur wie aus einem Porno für Industrieanlagenbauer. Too Many Zooz – blöder Name, weil unrealistisch – klingen auch gut, der experimentelle Brass-House der New Yorker ist überraschend gefällig, viele tanzen, gut so.

Erstes echtes Highlight sind die polnischen Elektropopper Bokka, die zwar optisch auf supersecret machen, aber dann doch sehr dancy fancy sind und viele Sympathien gewinnen. Tageshighlight ist aber der englische IDM-Produzent Clark, seine feingesponnenen Klangeskapaden suchen seinesgleichen. Wobei, auch der letzte Act auf der größten Bühne – große gibt es viele – Caribou ist ja bekanntermaßen klanglich top, musikalisch natürlich auch. Wirkt schon sehr durchdacht, was Dan Snaith mit seinen drei Mitschreitern an Gitarre, Bass und Schlagzeug so darbietet. Die Meute, die schon ein bisschen ungeduldig war, nimmt es dankbar auf. Weißt eh, sowas kommt halt auch nicht alle Tage.

Zweiter Tag, Freitag.

Ohje, Wellness ist auch inklu. Aber mit anderen, ausschließlich männlichen Musikjournalisten einem Whirlpool sitzen. Naja. Was anderes: Weißt du, wer echt viele Hits hat? Viele, ja, stimmt. Aber auch Kasabian. Und auch wenn du sonst mit der Bands nix anfangen kannst, kennen tust dann doch fast alles und da macht es dann auch nichts, dass sie sonst die Obermods sind und zum schnieken Trenchcoat weiße Sneakers tragen. Die Hits spielen sie solide runter, den Leuten gefällts. Ist ja auch gut.

Fragwürdig hingegen ist es, zuerst Australier, die ihre – hüst – Haarpracht und ihr Gesicht mit den nationalen Fragen verunstalten – als Nationalisten anzuschnauzen, dann aber erst wieder Österreicherschauen gehen. Gut, gibt nur zwei. HVOB und Klangkarrussel, die alle heute spielen. HVOB machen live Liebe zu dritt, einer sitzt am Schlagzeug, zwei stehen an den elektronischen Geräten. Anna singt, die Drei erspielen sich ihr Publikum dann doch noch, Hits haben sie auch, spielen tun sie alle.

The Cinematic Orchestra machen dann ihren Namen alle Ehre und sind halt schon sehr filmmusikmäßig, haben jede Menge Brimborium dabei und später auch eine Sängerin, supersouly. Soul hat auch John J. Presley, der Brite mit dem schwedischen Aussehen macht sehr druckvollen Bluesrock, auch Folk Noir. Ist sehr gut. Sehr ist auch St. Vincent, die ihren Pop live deutlich rawkiger auslegt, ihn aber bisweilen doch etwas zu sehr feminin sexualisiert, ihre Hupen doch sehr durch die Gegend stolpert. Würde man das auch einem Mann vorwerfen? Hoffentlich.

Swans, zuvor als Highlight gehandelt, enttäuschen keinesfalls, das kann man laut sagen. Nach ein paar Minuten in den ersten Reihen muss man das auch, sonst versteht man gar nichts mehr. Wenn Sophisticated Doom ein Wappentier braucht, müssten es konserquenterweise Schwäne sein.

Zum Tagesfavoriten erklärt sich aber das australische Folkpunkrockmonstrum Cash Savage & The Last Days. Die namensgebende Frontfrau mit dem charismatischen, British-White-Trash-Look ist der angenehme Gegenentwurf zu St. Vincent. Booker Wiens, bitte aktiv werden, einen Besucher habt ihr dann mindestens schon mal sicher. Den Abschluss des Tages machen die Salzburger Klangkarrussel, die live von Schlagzeug und Gitarre unterstützt werden, Music for the Masses und bislang die besten Lichtspiele, mal blau, rot, grün, mal gelb oder weiß, passt ja zum Colours.

Tag drei, Samstag.

So verlockend das Fernsehangebot im Hotelzimmer auch ist, es hilft ja nix. Also, wieder zum Festivalgelände, wieder gut. Sturmwarnung war relativ umsonst, das Wetter ist auch am dritten Tag wie aus dem Prospekt, Kaiserwetter in Osttschechien sozusagen. Das Programm ist auch heute wieder ausgewählt. Nicht so wie das Kleid von Dillon, es war irgendwie nicht vorteilhaft, auch wenn man an den durchsichtigen Stellen eh sieht, dass das so gar nicht stimmt. Stimmlich ist sie wie immer top, die relativ kleine Bühne schon vor den ersten Klängen gut gefüllt. Wird aber noch mehr, sie kommt ja gut an.

Das tun auch die lokalen Helden von Kill The Dandies!, die man auch schon bei uns kennen könnte. Der psychedelische, breitbeinige Garagenrock weiß zu gefallen, der Bandname ist aber blöd, sich von einem Rockabilly mit kurzer Devillock und gemustertem Hemd lässt sich sicher kein anständiger Dandy um die Ecke bringen. Spitzenüberleitung, da um die Ecke schon die kleine Essenspause wartet, unterlegt mit französischem Dub-Reggae von Dub Inc. schmeckt die frischgemachte, große 4,70€-Pizza überraschend gut.

Auf der großen Bühne – alle sind nach Sponsoren benannt – swingen und r’n’ben sich derweil die Publikumslieblinge Rudimental zur Tagesbestband auf, ein Haufen Musiker, Sänger und Shouter – die Männer tragen Hiphop-Klamotten, die Frauen Neues aus der American-Apparel-90er-Abteilung. Wer zu so vielt ist, kann variieren und Rudimental machen das wirklich famos, nie sind auch nur ansatzweise so viele Menschen vor der Bühne. Headliner der Herzen, wird da jetzt einer sagen. Da wundern einem auch die Awards, die die Briten gewonnen haben, nicht mehr.

Schon viel länger dabei sind Gallon Drunk, die ihren bluesigen und alkoholischen Darkrockjazz auf einer wirklich eher kleinen Bühne darbieten. Sänger und Gitarrist James Johnson ganz virtuos, muss man schon sagen. Auf der zweiten Bühne bietet dann Danger seine elektronischen Eskapaden feil, wirft sich in feinste Maskierung, verbietet daher auch unautorisiertes Fotomaterial. Der Mann mit Kapuze und den Scheinwerferaugen strahlt visuelle Landschaften aus und zelebriert den Drop wie Kinder eine Packung Drops. Eh. Clean Bandit als eigentliche Headliner werden aufgrund von Desinteresse an klinischen Pseudo-Banditen gespritzt, leider auch Nathan Fake, krankheitsbedingt. Weil egal, wie viel du für die britische Elektronik des 21. Jahrhunderts auch getan hat, ein gesunder Schlaf und eine Pause von der Sause, tun dir genauso gut.

Tag vier, Sonntag.

Was auch nie verkehrt ist und für alles gelten sollte: Auch mal ruhig ausklingen lassen. Deshalb ist der letzte Tag auch dazu gedacht, noch einmal alles Revue passieren zu lassen, nochmal aufs Gelände zu gehen, die Architektur zu begutachten und sich bewusst werden, dass auch das Publikum aufs Angenehmste ist, das kann man ruhig auch mal positiv hervorheben. Kein Rumgeschreie, kein nerviges Gequatsche während den Konzerten, Alkoholleichen sieht man gar nicht – Jack-Daniels-Partyzone und Zwei-Euro-Bier zum Trotz. Styletechnisch fallen auch eher nur die Alten negativ auf, wenn du als Junger schon scheiße warst, solltest du nicht junggeblieben sein.

Musikalisch gibt’s aber natürlich auch noch einiges, als erste Festivalband überhaupt fallen aber Other Lives irgendwie ab. Keine Band für die Massen, aber halt schon schöne lange Haare, immerhin. Vök aus Island kennt man bei uns auch, waren schon mal in Wien. Ihr sanft vorgetragener elektronischer Pop, gesanglich fesch dargeboten, löst mitunter Stürme der Begeisterung aus, auch noch eine halbe Stunde nach dem Auftritt stehen Selfiesticks für Erinnerungsfotos mit Bandmitgliedern Schlange. Dazwischen regnet es auch mal kurz, den Pfützen nach, nicht zum ersten Mal an diesem Tag.

Die Highlightband des Abends und sowieso für Connaisseure von dunkelschwarzem Postpunk, beschließt auch das Colours, postironic sozusagen. Während die Teenager vorrangig am Wavebreaker von Mika hängen, umkühlen nämlich die eiskalten Oaklander The Soft Moon ein gesetzteres Publikum, aber auch das applaudiert dankbar.

Applaudieren sollte man auch dem Colours im Allgemeinen. Sehr gutes Festival. Organisatorisch alles superklasse, konzerttechnisch auch. Man kann auf jeden Fall hinfahren, sogar mehrmals. Nächstes Jahr etwa. Und das darauf auch.

colours.cz

Bild(er) © Dominik Oswald
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