Mit Kettcar zwischen den Runden

Juliane Fischer hat sich mit dem Kettcar-Bassisten Reimer zwischen die Runden begeben. Es wurde Bilanz gezogen und narrative Elemente entlarvt. Zu Oberschenkeltattoos gabs nichts zu sagen. Hauptsache (Glauben): We gonna live forever

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Die Grundstimmung der vierten Kettcar-Platte wirkt nostalgisch, rückblickend und reflektierend. Ist das die Intention in etwa?

Reimer: Das trifft es eigentlich ganz gut, ja! Besser könnte man es nicht erkennen. Das wollen wir auch mit dem Albumtitel „Zwischen den Runden“ ausdrücken: Reflektieren und Durchatmen. Nostalgie ist sicher auch damit verwoben und Sehnsucht, aber immer mit diesem Ausblick nach vorne. Die Message, das es immer weitergeht. Das gilt für Kettcar schon seit dem ersten Album als Leitsatz.

Ändern sich im Laufe eurer musikalischen Laufbahn die Ansprüche und die Motivation hinter der Musik?

Unabhängig von diesen ganzen materiellen Faktoren: Eigentlich bin ich Musiker. Und das ist mein Beruf. Und dann sehe ich mich auch als Künstler und die Kunst entsteht aus uns heraus, daneben zählt das Materielle nicht. Darum glaube ich fühlt man sich nie an dem Punkt wo man sich denkt: Jetzt habe ich alles erreicht. Was soll ich denn noch machen?

Wie geht man also in so einer Situation mit Wiederholungen im kreativen Prozess um?

Man muss sich neu erfinden und neue Wege finden sich auszudrücken. Die Themen über die wir singen sind ausgeleiert. Wir sind nicht die ersten die über Liebe und über Tod singen oder Politik und Gesellschaftskritik mit einbeziehen. Der Weg dahin muss ein anderer sein und das ist für uns die Möglichkeit, eine Geschichte anders zu erzählen. Nehmen wir beispielsweise das Lied „Rettung“ her, wo es darum geht, dass es eine Beziehung nicht immer nur diese großen romantischen Momente hat, sondern dass es auch darum geht den besoffenen Partner nach Hause zu tragen. Die Idee dahinter will letztlich sagen: Das ist auch Liebe. Das gehört auch dazu. Es so zu sagen und das zu vermitteln, macht es für uns immer spannend da auf neue Idee zu kommen, solche Gefühle zu beschreiben.

Wie sehr verbindet man dabei sein eigenes Leben mit der Musik?

Was wir singen, ist ja nicht das, was wir erleben. Das sind Geschichten, die wir uns ausdenken. Natürlich sind das Erfahrungen, die man auch macht. Nehmen wir beispielsweise „Zurück aus Ohlsdorf“, das das Begräbnis eines Freundes, der schon lange gar kein Freund mehr war, beschreibt. Das hab ich nicht erlebt. Das habe ich mir alles ausgedacht. Ich finde es nicht wichtig, ob man das worüber man singt selber erlebt hat, sondern dass es einem abgekauft wird.

Das ist wie Gute-Nacht-Geschichten erzählen, narrative Musik.

Ja, ja, genau! Es ist im Grunde wie fiktive Literatur. Wir wollen Geschichten erzählen und wenn du sie glaubst, wenn Markus sie singt, dann finde ich das eigentlich ganz gut. Fakt ist: Die meisten Sachen haben wir nicht erlebt, aber wir haben natürlich auch unsere Wünsche und Vorstellungen von Beziehungen und Leben. Das fließt natürlich mit ein, man kann ja nicht objektiv sein.

Habt ihr beim Entstehungsprozess „Endbenutzer“ im Kopf oder spielt das keine Rolle wer eure Musik zu hören bekommt?

Es ist auf jeden Fall nicht egal und ich mache mir schon meine Gedanken, ob etwas nicht falsch verstanden oder interpretiert werden kann.

Man könnte auch meinen, Kettcar träfe den Geschmack von 45-jährigen Bohemians, die sich am Rolling Stone Weekender herumtreiben, schon zu alt sind für Bon Iver, aber nicht zu alt um Dylan nachzutrauern. Wer bildet tatsächlich die Fanmasse und was sagst du zu Comfort Festivals wie dem Rolling Stone Weekender?

Gestern beispielsweise haben wir in Erlangen gespielt und da waren viele im Publikum, die mit uns den ganzen musikalischen Weg gegangen sind. Zum Glück auch neue junge Leute dazu, was selbstverständlich ganz wichtig ist. Wir haben auch einen hohen Anteil Studenten im Publikum. Das Rolling Stone Weekender ist ja ein Festival für Leute, die nicht gern zelten. Ich empfinde genauso. Ich hab auch keinen Bock mehr am Southside oder auf dem Hurrican im Schlamm zu pennen. Ich finde es gut, dass es das Rolling Stone Weekender gibt, aber du hast Recht, es zieht keine jungen Leute an.


Von wem stammen die Lieder auf „Zwischen den Runden“?

Ich habe fünf Lieder davon geschrieben, von Markus kam der Rest. Wir korrigieren uns auch gegenseitig, diskutieren darüber und dann hat man auch noch die Möglichkeit gemeinsam noch daran zu feilen.

In einem der neuen Lieder kommt ein apokalyptischer Reiter vor und weil die Apokalypse dieser Tage ein vielbesprochenes Thema ist: Was würdest du tun, wenn du wüsstest deine Zeit wäre befristet?

Ich glaube schon, dass ich dann anders leben würde. Es ist sicherlich auch eine Mentalitätsfrage. Angenommen ich wüsste, mir würde in einer Woche ein Bein abgenommen, stellt sich die Frage: Tanze ich die restlich verbleibende Zeit, oder laufe ich oder setze ich mich aufs Sofa und weine? Ich hoffe und glaube, ich würde das Leben noch einmal in allen Zügen genießen wollen. Andererseits könnte ich mir vorstellen, dass ich dazwischen auch Momente habe, wo ich verzweifelt wäre und Züge von Resignation zeigen würde.

Wo würdest du deine letzte Zeit dann verbringen wollen?

Sicherlich bei der Familie, auf jeden Fall zuhause und das wäre in Hamburg und Umgebung.

Selbst wenn die Welt untergeht, Kettcar singt ja ohnehin „We’re gonna live forever“. Wie kam es überhaupt zu dieser Zeile und dem Oberschenkeltattoo davon?

Keine Ahnung. Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß auch nicht, wie das mit dem Oberschenkel kommt. Der Sänger von Jupiter Jones hat sich das ja tatsächlich auf den Oberschenkel tätowieren lassen.

Wenn wir schon bei den Nachfolgern sind: Laut Pressemeldung habt ihr den Status Quo deutschsprachiger Musik umgekrempelt und das Feld bestellt, von dem viele andere Künstler ernten. Seht ihr euch selber in der Vorläuferrolle oder gibt es Leute von denen ihr sagen würdet, sie seien in eurer Reihe?

Das klingt schnell immer eitel. Wir sind natürlich selber beeinflusst von Bands wie Blumfeld zum Beispiel, die die deutsche Sprache ganz anders vertonen konnten, als ich das jemals vorher gehört hab. Wir sind stark beeinflusst auch aus der Punk-Szene, viel aber natürlich auch aus dem amerikanischen und generell englischsprachigen Raum. Ich kann nicht sagen, wen wir beeinflusst haben.

Der Thees (Uhlmann) hat letztens Casper erwähnt …

… der doch selber auch sagt, dass wir ihn beeinflusst haben. Ich weiß nicht, ob er NOCH Fan ist. Es ist ja so, dass wir mit dem ersten Album, also 2002 etwas gemacht haben, was so vorher noch nicht da war und damit glaube ich auch, dass es ein paar Bands beeinflusst, ja! Das müssen diejenigen aber schon selber sagen, genauso wie ich sage, dass Tocotronic für mich eine wichtige Band war, überhaupt diese ganze Hamburger Schule, aber auch Punkbands wie Slime.


Bleiben wir kurz bei der Hamburger Schule: Wie kann sich Kunst so von einem Ort abhängig machen?

Das ist ja sicherlich etwas ironisch, das ist eigentlich Quatsch. Alle Bands die da dazugezählt werden – wir werden ja hin und wieder selber dort eingeordnet und empfinden uns aber nicht so – die meisten Bands sagen, dass sie damit nichts am Hut haben.

Weniger den Begriff „Hamburger Schule“ als die Tatsache, dass man einfach so oft denken kann – und das im positiven Sinne: Ah, schon wieder Musik aus Norddeutschland…

Das ist ein kleines Phänomen, gerade zu der Zeit. Das hängt damit zusammen, dass sich Bands untereinander beeinflussen und dass Hamburg a) eine große Stadt ist b) die meisten in Wirklichkeit zugereist sind.

Wie eng ist in Hamburg da die Verknüpfung, das Zusammenspiel zwischen Bands?

Man hängt in den selben Läden ab, das wird ja in Wien genauso sein. Ich hab zum Beispiel auch bei Kreisky oder Ja, Panik das Gefühl, die hängen zusammen ab und kennen sich auch untereinander, sei es durch Proberaumsuche oder Supportact. Es ist so ein Netzwerk, das sich da bildet, was toll ist. Als Außenstehender hat man auch ein ganz anders Bild von der Musikszene einer Stadt.

Mit Ja, Panik ist es vielleicht nicht ganz so, denn die nach Berlin gezogen.

Guck mal, das wusste ich gar nicht ich. Ganz klar ist es schwieriger für österreichische Bands, das stimmt. Da ist vielleicht Berlin auch ein Vorteil. Ich weiß schon, dass es für eine Band in Österreich viel schwerer ist, als für eine Band in Deutschland und Ja, Panik werden ihre Gründe gehabt haben.

Der Refrain von „Schrilles buntes Hamburg“ lautet: Es muss immer alles komplett verwertet werden, wenn es komplett verwertet werden kann. Worauf bezieht sich das, was muss komplett verwertet werden?

Ja, die Kunst immer, nicht wahr, oder eigentlich Kultur insgesamt? Das ist so das Ärgerliche. Man hat nicht mehr die Möglichkeit ohne sich Gedanken um die Kunst zu machen ohne die Wirtschaft mitzudenken. Eigentlich geht es um die Förderung von Kunst, es werden besonders in Hamburg und wahrscheinlich in allen großen Städten in Deutschland nur noch so Vorzeigeprojekte unterstützt werden. Es geht immer nur darum, ob man da auch +/- 0 fährt oder vielleicht Gewinn macht oder ob man Touristen in die Stadt zieht. Es geht in dem Song also um Musikwirtschaft und dem Grad zwischen Kunst und Geld für Kunst.

Weswegen ist das Video dann mit einer ganz anderen Thematik bespielt und lenkt von dieser spannenden Thematik ab auf ein halbwegs seichte, aber zumindest durchschnittliches Beziehungsszenen?

Ich gebe zu, dass es da tatsächlich sehr irreführend ist, weil man da so ein Beziehungsdings dahinter vermutet. Nein, das hat im Grunde gar nichts miteinander zu tun. Ich habe das überhaupt noch nie so gesehen. Es war einfach ein Spaß dieses Video zu inszenieren. Wir haben uns einfach ein paar Leute gesucht, Regisseure und Filmer und so entstehen diese kleinen Filme im Moment. Wir haben uns vorgenommen zu allen 12 Liedern unserer Platte einen Film machen und eigentlich sind wir Freunde davon, wenn der Text nicht eins zu eins wiedergegeben wird im Bild.

Wer hatte die Idee zum Mitmachvideo für „Im Club“ bei dem Fans Fotos einschicken konnten, die in den Clip eingebaut wurden?

Die Idee des Hauptvideo zur Single „Im Club“ kommt vom Regisseur Dietrich Brüggemann aus Berlin. Er hatte schon in Bezugnahme auf den Text die Idee, die ausdrücken soll, dass man sich mit allem Leid nicht alleine fühlen soll auf der Welt. Eine Milliarde Leute da draußen gibt, die dasselbe erfahren und deswegen zeigt es so viele – in etwa 500 Fotos – verschiedene ernste Gesichter geprägt von Liebeskummer und Jobverlust. Es ist ein Beobachten und soll zum Trost sagen: Du bist nicht alleine damit. Geteiltes Leid ist halbes Leid.

Mit diesen Worten traten wir zur Menge in den Regen hinaus.

Fotos vom FM4 Fest, bei dem Kettcar nachher auftraten, gibt es hier.

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