Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im Mai 2023

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald. Die wichtigsten deutschsprachigen Neuerscheinungen im Mai 2023. Mit Die Zimmermänner, Feine Sahne Fischfilet, Crucchi Gang, Marathonmann, Swiss & die andern und mehr.

© Elliot Blunck — Die Zimmermänner

Feine Sahne Fischfilet – »Alles glänzt«

Feine Sahne Fischfilet © Erik Weiss
Feine Sahne Fischfilet © Erik Weiss

Nur der Vollständigkeit halber: Im Vorjahr gingen die Wogen rund um die Bläser-Punks Feine Sahne Fischfilet und vor allem um deren Sänger Monchi ziemlich hoch. Sexistisches Verhalten und das Ausnutzen von Machtpositionen gegenüber Frauen – ziemlich schwerwiegende Vorwürfe, aber gute Reaktion der Band. Bis ein Gericht schlussendlich entschied: gar nicht wahr, alles Verleumdung. Nach fünf Jahren ohne Album macht die Gruppe aus Mecklenburg-Vorpommern nun auch wieder musikalisch von sich hören, 2018 war »Sturm & Dreck« auf das Treppchen der deutschen Charts geklettert – und blickt man auf Entwicklung und Erweiterung der Bekanntheit, darf man auch 2023 wieder von ordentlich Airplay und Streams ausgehen. Durchaus zurecht, weil natürlich schon Relatability en masse, Texte zwischen juhu und buh. Aber auch musikalisch wirkt die Sache ein klein wenig kompatibler. Mittlerweile klingt das doch ziemlich – Achtung, nicht hauen – nach Kraftklub. Vor allem der Album-Hit »Diese eine Liebe«, der speziell live gut funktionieren dürfte: auf und ab springen! Eine Sieben auf der Richterskala. 

»Alles glänzt« von Feine Sahne Fischfilet erscheint am 12. Mai 2023 bei Plattenweg Tonträger. Konzerttermine für Österreich: 19. Mai, Wien, Arena — 9. Juni, Nickelsdorf, Nova Rock Festival. Hier kaufen.

Die Zimmermänner – »Die Zimmermänner spielen Skafighter«

Die Zimmermänner © Elliot Blunck
Die Zimmermänner © Elliot Blunck

Die Zimmermänner, die Grandseigneurs des deutschen Pop, melden sich zurück. Nachdem unlängst das – natürlich – sehr gute Best-of »Goldene Stunde« seinen Weg in die Plattenregale der Republiken fand, erscheint nun erstmals seit 2017 (damals: »Ein Hund namens Arbeit«) neues Material. Wobei: Ob es wirklich ganz neu ist, darüber lässt sich streiten. Bereits 1980 erarbeitete die Gruppe ein Ska-Programm, ließ es aber für eine deutlichere Pop-Orientierung links liegen, nur um es Jahrzehnte später wieder auszugraben. Aber nichts mit ollen Kamellen. Die Zimmermänner – nun als Trio – haben zwar zuerst das Originalmaterial mit modernen Mitteln in die Aufnahmegeräte gejazzt, nur um die Stücke dann doch mit dem Hier und Jetzt und den in der Zwischenzeit gewachsenen Persönlichkeiten in Einklang zu bringen. Und das klingt, das kann man durchaus so sagen, durchwegs äußerst solide. Dem Sujet entsprechend gibt’s natürlich reichlich Off-Beat, Bläser und zur Gruppe passend auch textliche Feinheiten. Tanzbar, nachdenklich und dann doch wieder Pop. Das kriegst du eben nicht raus.

»Die Zimmermänner spielen Skafighter« von Die Zimmermänner erscheint am 26. Mai 2023 bei Tapete Records. Aktuell keine Konzerttermine für Österreich. Hier kaufen.

Crucchi Gang – »Fellini«

Crucchi Gang © Crucchi Gang
Crucchi Gang © Crucchi Gang

Bevor Sie sich jetzt wundern: Hier gibt es keine Regeln ohne Ausnahmen. Natürlich singt die Crucchi Gang in italiano, aber erstens sind sie ziemlich alman (oder auf italienisch: Crucchi, wörtlich: Krauts) und zweitens – das ist der springende Punkt – covert die Gruppe rund um Franceso Wilking (Die Höchste Eisenbahn und – viel besser – Tele) mit Freude ziemlich gute deutschsprachige (Indie-)Popsongs, gerne auch gemeinsam mit den Sänger*innen der Originale. Auf dem viel beachteten ersten Album waren das etwa Isolation Berlin, Element of Crime, Steiner & Madlaina und Von Wegen Lisbeth. Aber vor allem »Il mio bungalow« von Bilderbuch verbessert deren Version molto. Auf dem zweiten Album geht es nun ein wenig weiter Richtung klassisches Liedgut: Reinhard Mey, Joachim Witt – als er noch gut war –, aber auch jüngere Artists wie die Popper Jeremias sind auf »Fellini« vertreten. Übrigens: Wussten Sie, dass der junge Eros Ramazzotti (das optische Vorbild des Autors) als Statist bei Federico Fellinis »Amarcord« mitwirkte? Und, weil es an dieser Stelle passt: eine Million Empfehlungen für das Buch »Azzurro« von Erich Pfeil. Das Album der Crucchi Gang: auch ziemlich gut.

»Fellini« von Crucchi Gang erscheint am 26. Mai 2023 bei Vertigo. Aktuell keine Konzerttermine für Österreich. Hier kaufen.

Marathonmann – »Maniac«

Marathonmann © Bernhard Schinn
Marathonmann © Bernhard Schinn

»Die Deutschen« lieben »Maniac«. Ob Alexander Klaws mit seiner »Flashdance«-Routine in der ersten Staffel von »DSDS« oder nun die ehemaligen Post-Hardcorler Marathonmann: Irgendwas Interessantes hat dieser Wahnsinn an sich. Manche werden jetzt beim direkten Vergleich schnappatmen oder auch beim Wörtchen »ehemalig« aufhorchen, aber, ja, es ist wahr. Marathonmann sagen den eigentlichen härteren Klängen Lebewohl und baden nun im Synthie-Sound der 80er-Jahre. Natürlich hört man ab und an noch Gitarren, aber eher in einem »Push it to the limit«-Sinne, wenn du verstehst. Ansonsten gibt es etwa sexy Saxophon-Soli, viel Elektronik und Neue Deutsche Welle. Das ist definitiv anders als das, was man – und auch die Fanbase in Youtube-Kommentaren – bislang von Marathonmann gehört hat. Veränderung wird aus Mut gemacht und den beweisen Marathonmann auf »Maniac« definitiv. Ob dieser Mut vom verdienten – aus rein sachlicher Sicht, weil es klingt natürlich trotzdem gut; aber wie sachlich sind schon Fans von Punkbands? – Erfolg gekrönt wird, bleibt abzuwarten. Arg!

»Maniac« von Marathonmann erscheint am 19. Mai 2023 bei Redfield Records. Aktuell keine Konzerttermine für Österreich. Hier kaufen.

Swiss & die andern – »Erstmal zu Penny«

Swiss & die andern © Lee Maas
Swiss & die andern © Lee Maas

Die deutsche Musiklandschaft hat Swiss so einiges zu verdanken. So hat der Hamburger Musiker spätestens mit seinen Solo-Bangern »Linksradikaler Schlager« und »Antifa« auch brachial-linke Themen mit Kirmesschlager verbunden. In den Kommentarspalten freuen sich manche auf Bierzeltschlägereien. Auch mit seiner eigentlichen Kapelle – die andern –, die musikalisch eher dem Punk verpflichtet ist, nimmt Swiss keine Gefangenen; zuletzt mit dem 2021er-Album »Orphan«, das bis auf Platz zwei der deutschen Charts gestiegen ist. Auch auf dem bereits siebten Langspieler ist selbstredend Message King – wie etwa im Stampfer »Nicht für mein Land« mit Broilers-Sänger Sammy Amara oder in der Anti-Selbstausbeutungshymne »Gekündigt« (tolle Zeile: »Vater, vergib’ mir, denn ich habe gekündigt«); wenngleich auch introspektives Storytelling nicht fehlen darf (»Urlaub bei Omi«). Ist schon ein Guter, dieser Swiss.

»Erstmal zu Penny« von Swiss & die andern erscheint am 19. Mai 2023 bei Missglückte Welt. Die Band tritt am 10. Juni am Nova Rock Festival in Nickelsdorf auf. Hier kaufen.


Außerdem erwähnenswert:

Bipolar Feminin – »Ein fragiles System«
(VÖ: 19. Mai 2023)

Es dürfte sich rumgesprochen haben: Die Wiener Gruppe Bipolar Feminin, die ihr Debütalbum auf Buback (!) veröffentlicht, ist ziemlich gut. Gleichermaßen ekstatische und eskapistische Live-Auftritte sind das eine, aber auch auf Langspielplatte überzeugt der – überraschend poppige – Sound. Es ist größtenteils eine sehr gelungene Text-Musik-Schere. Inhaltlich ist natürlich alles auf Kritik gebürstet. Wer sich weiter informieren möchte, der*dem sei die aktuelle Ausgabe von The Gap ans Herz gelegt. Wer schon überzeugt ist, kann hier kaufen.

Felix Kramer – »Oh wie schön das Leben ist«
(VÖ: 26. Mai 2023)

Die schönste Musik ist jene, die die Gefühle der Hörenden verstärkt. Ohne diesen Grundsatz auch keine melancholische Musik. Das bereits dritte Album von Felix Kramer ist zwar stellenweise schon traurig, natürlich, motiviert aber nicht zum Ritzen, sondern vor allem zum totalen Exzess, zum Schmiersuff, zum frühmorgendlichen Kebab und zum Reparaturseidl am nächsten Tag. Doch vermutlich – an dieser Stelle kann man davon ausgehen – haben Sie darüber schon mehr in der aktuellen Ausgabe von The Gap gelesen. Hier kaufen.

Holli – »Der erste gute Tag«
(VÖ: 26. Mai 2023)

Tobias Paal, dem man seit dem Zivildienst »Holli« nennt, wandert so im Privaten zwischen Wien und Linz, ist aber musikalisch und textlich vor allem in allen Zuständen der Zweierbeziehung zu Hause und bei all dem Zeug, was da dazugehört. Positives und natürlich vor allem Negatives. Zwischen stampfender Indiedisco und Klavierballade ist da einiges drinnen. Vor allem textlich weiß Holli zu überzeugen. Mehr dazu – erraten – in der aktuellen Ausgabe von The Gap. Hier kaufen.

Die bisherigen Veröffentlichungen aus Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.

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