Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im Februar 2020

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

© Sebastian Fremder
© Sebastian Fremder

Die Sterne – »Die Sterne«

Die Sterne © Brigitta Jahn
© Brigitta Jahn

Alles neu im neuen Jahrzehnt: Die Gruppe Die Sterne ist nicht mehr das, was sie einst war. Die Gründungsmitglieder Thomas Wenzel und Christoph Leich – also die gesamte Rhythmus-Fraktion – haben nach der Tour zum sehr guten, weil doch anderen Best-Of »Mach’s besser« die Gruppe verlassen. Zusammengeschrumpft auf Frank Spilker und wechselnde Gastmusiker sind Die Sterne keine Band mehr, eher ein Spannungsfeld für Kooperation. Umso mehr Sinn macht der Album-Titel, die Selbstbetitelung als Zeichen des Neustarts. Apropos Kooperation: Die Namen, die auf den insgesamt zwölf Stücken ihr Schäuflein zum doch recht bandtypischen, aber tendenziell weniger kantigen und eher schwärmerischen Soundkleid beitragen, können sich hören lassen: Die Düsseldorf Düsterboys sind dabei, sexy Carsten »Erobique« Meyer, Leute von Urlaub in Polen und Von Spar, aber auch – immerhin – Dyan Valdes, seit Jahren Live-Keyboardin von Die Sterne. Zusammengefasst also: Ja, es gibt ein neues Album von Die Sterne. Es erinnert eher entfernt an Die Sterne. Aber ob das noch Die Sterne sind, muss man für sich selbst entscheiden. Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.

»Die Sterne« von Die Sterne erscheint am 28.02.2020 via PIAS. Österreich-Termine: 9.3. Postgarage Graz, 10.3. Grelle Forelle Wien.

Jakob Dobers – »Der Rest vom Licht«

© Sebastian Fremder
© Sebastian Fremder

Was für ein Album! Jakob Dobers, den die Tip-Top-AuskennerInnen eventuell noch von der klassischen Hamburger Schule Gruppe Zimtfisch oder von der Berliner Indie-Folk-Kapelle Sorry Gilberto kennen könnten, präsentiert mit seinem ersten Solo-Album »Der Rest vom Licht« ein Meisterwerk, eine Offenbarung gar! Es ist einer der eindringlichsten Empfehlungen, die an dieser Stelle ausgesprochen wurden: Für all jene, die sich musikalisch zwischen Erdmöbel und Die Regierung wohlfühlen und auf eine etwas verschrobene Poesie stehen – hier eher bei Gisbert zu Knyphausen denn bei Jochen Distelmeyer. Dreizehn Stücke, eines besser als das andere – das ist es zwar immer, aber hier auf höchstem Niveau –, eventuell stechen noch die beiden Vorab-Veröffentlichungen »Wir halten die Welt fest« oder »Rechte Philosophen« hervor – aber echt nur Hits! »Der Rest vom Licht«, das ist Musik für den ständigen Herbst in einem, für die ganzjährige Melancholie, für an Busfenster der Einsamkeit gedrückte Köpfe, für das kleine Bisschen Farbe in einer Welt voller Grau. Musik, die du in deinem Leben brauchst.

»Der Rest vom Licht« von Jakob Dobers erscheint am 14.02.2020 via Staatsakt. Keine Österreich-Termine. Ist ja mal wieder typisch.

Messer – »No Future Days«

© Moritz Hagedorn
© Moritz Hagedorn

Wie kaum eine andere Gruppe haben die ursprünglichen Münsteraner Messer den Wirrungen der deutschsprachigen alternativen Popmusik ihren Stempel aufgedrückt. Sämtliche bisherigen Alben – »Im Schwindel« (2012), »Die Unsichtbaren« (2013) und zuletzt »Jalousie« (2016) – sollten zur Standardausführung eines jeden Ottonormalverbraucher-Haushalts gehören wie ein Arsenal an Küchenhelfern. Das neue Album, das vierte, setzt dort an, wo Messer aufgehört haben, traut sich aber noch einen Schritt weiter. Zwischen den Zeiten bewegen sich die mittlerweile wieder vier, wenn man so will, zwischen den späten 70ern und frühen 80ern. Zurück zum Beton geht’s, zum Neonlicht, aber irgendwie verrückter, mehr Dub, mehr Reggae. Klar, noch immer Post Punk, aber mit anderen Mitteln. Musikalische Reduktion durch Genre-Expansion. Noch tighteres Songwriting, aber irgendwie tanzbarer, unerhöht ungehört, würde man gar zu sagen vermuten. Textlich zeigt Hendrik Otremba – dem ja schon des Öfteren an dieser Stelle gar Heiligenstatus zugedichtet wurde, wenn es bloß nicht so fantasiearm wäre – wieder und wieder, wieso er einer der allerbesten ist. Keine Referenz scheuend werden Beobachtungen klamüsert, Netze für die AuskennerInnen gespannt und allerhand Wissenswertes kommuniziert.

»No Future Days« von Messer erscheint am 14.2. via Trocadero. Live-Dates in Österreich: 25.3., Rhiz Wien.

Die Arbeit  – »Material«

Die Arbeit © Tine Jurtz
© Tine Jurtz

Wenn man kernigen Westösterreichern im Fernsehen knirschend beim Fluchen zuhört, kommt häufig ein Argument: Die Materialfrage. Beim umweltzerstörenden Freiluftsport und auch sonst im Leben ist die Wahl des richtigen Materials entscheidend. Und auch wenn die sehr gute Gruppe Die Arbeit aus Dresden ihr Debüt-Album – nach bereits einigen Supportshows und veröffentlichten Videos – schlicht nach dem Überbegriff nennt, lässt das Klangbild das präferiert Material des Vierers erkennen: Beton. Der noisige Wave-Punk klingt nach kalten Wänden, nach Obsession im Neonlicht, danach, wenn Zärtlichkeit in Stahlbeton ihr Recht verlangt. Düsterheit im musikalischen Schaffen als sinniger Gegenpol zur gesellschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland. Nicht nur damit erinnern Die Arbeit etwa an die Gruppe Belgrad. Songtitel – übrigens, alles Hits! – wie »Haut, Knochen und Gesicht«, »Leichen«, »Keine Zeit für Ironie«, »Gewalt« oder »Lonely Dance« geben die Richtung vor – hier ist keine Zeit für Freundlichkeit. Die immerzu spürbare und nie nachlassende Intensität und die Konsequenz in der Umsetzung machen »Material« zu einem Album, das bitte alle gehört haben sollten. Es wird ihr Leben bereichern.

»Material« von Die Arbeit erscheint am 21.2.2020 via Undressed. Noch keine Österreich-Termine.

Außerdem erwähnenswert:

Children – »Hype«

(VÖ: 31. Januar 2020)

Nachtrag vom Jänner. Stichwort: Future Retro Pop. Das Berliner Duo Children – romantisch verklärt aus zwei Kindergartenfreundinnen bestehend – holt amerikanischen Bedroom-Pop mit Retro-Synths und harmonischem Zwiegesang in die Berliner Realitäten: Deutsch-englischer Gesang mit großem Gespür für Pop-Melodien.

Strandhase – »Primetime«

(VÖ: 28. Februar 2020)

Musik für das Vorabendprogramm: Die Wiener Gruppe Strandhase wird aktuell durch die Konzerthallen des Landes gejagt und zeigt auch auf ihrem Album, warum es an Authentizität mangelt: Massives Overacting, ein Überdramatisierung der Banalitäten und schlicht zu erwartbar, ohne Ecken, Kanten. Bleiben Sie dran auf thegap.at, hierzu finden Sie demnächst etwas Ausführliches.

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