Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.
Yokohomo – »Narben«
Das Unfaire am Pop ist das Fehlen jeglichen Konjunktivs: Was die Gruppe Yokohomo ohne ihren leider unsäglichen Namen alles zu schaffen – also so im populären Sinne der Bekanntheit – im Stande gewesen wäre, bleibt daher nur Spekulation. Aber abhalten lassen sollte man sich vom Namen eigentlich nicht. So schlecht ist es nämlich nicht, was der Wiener Sechser auf seinem Debütalbum »Narben« vorzutragen hat: Ekstatischer Indierock, der neben krachenden Rock’n’Roll auch immer wieder Richtung Punk schielt und stets den unabdingbaren Drang zum Tanzbaren hat, manchmal stürmisch pogend, manchmal romantisch im Engtanz, manchmal gedankenverloren für sich selbst. Das klingt nach Wanda – alte Geschichte, aber: Manuel Poppe scheint laut Medienberichten der Initiator zu sein –, aber auch nach Trümmer oder – und vor allem – nach Milliarden, insbesondere im stimmlichen Bereich. Große Vergleiche, aber die Songs geben es her: Etwa die Singles »Pop« und »Josefine« oder die rockigen Stücke »Haus aus Gold« und »Bring mich um«. Stark!
»Narben« von Yokohomo erscheint am 30. Oktober 2021 via Las Vegas Records. Termine: 30.10., Album Release Konzert, Club 1019 Wien.
Isolation Berlin – »Geheimnis«
Die an sich nicht unsympathische Gruppe Isolation Berlin hat sich in der Vergangenheit immer als ein klein wenig schwierig herausgestellt: Jeder, der sich an die EP-Zusammenstellung »Protopop/Berliner Schule« erinnert, schwelgt unweigerlich in den schönen Momenten von »Alles Grau«, »Lisa« oder »Isolation Berlin« (dem Song). Das gleichzeitig erscheinende eigentliche Debüt-Album »Und aus den Wolken tropft die Zeit« hatte immer noch ein paar gute Hits für das betrunkene Hören in der Badewanne (»Der Garten Deiner Seele« oder »Schlachtensee«), für das zweite Album »Vergifte dich« haben wir uns an Ort und Stelle sogar für einen Verriss hinreißen lassen, auch wenn es an anderen Stellen eh als okay besprochen wurde (zu unrecht!). Wenn jetzt mit »Geheimnis« fast dreieinhalb Jahre später das dritte Album erscheint, darf aufgeatmet werden. Isolation Berlin scheinen es ja doch noch irgendwie draufzuhaben, Bamborschke zeigt wieder seine Tricks: Weg mit den kakophonischen Feedback-Orgien – die gibt es nur mehr sehr vereinzelt –, ein bisschen mehr NDW-Sounds und -Anleihen (»(Ich will so sein wie) Nina Hagen«), ein bisschen nachvollziehbare Jugendprobleme (»Ich hasse Fußballspielen«), ein bisschen Balladen mit dem früheren Charme (»Am Ende zählst nur du«) und auch ein ganzes Bisschen Rockmusik (»Private Probleme«). Es tut definitiv gut, wieder gute Isolation Berlin zu haben.
»Geheimnis« von Isolation Berlin erscheint am 8. Oktober via Staatsakt. Noch keine Österreich-Termine.
Moritz Krämer – »Die traurigen Hummer«
Die Solo-Alben von Moritz Krämer verhalten sich bisweilen wie Ketchup-Flaschen: Zuerst kommt lange nix, dann alles auf einmal. Dem sagenhaften Debüt »Wir können nichts dafür« aus dem Jahr 2011 folgt erst 2019 das Doppel(!)-Album zum Thema Regularien(!) »Ich hab’ einen Vertrag unterschrieben 1&2« und jetzt schon »Die traurigen Hummer«. Dazwischen gab’s mit »Ich glaub’ dir alles« auch noch ein neues Album von Die Höchste Eisenbahn: Angeblich sollten die Lieder auf »Die traurigen Hummer« schon vor zwei Jahren erscheinen. Inhaltlich und auch musikalisch sind die zehn Stücke tatsächlich Anknüpfungspunkte an das Debütalbum und drehen sich wieder um das große Thema der Befindlichkeit mit melancholischem Unterton: Versagensängste, Depressionen und Stadtflucht, das einsame Leben in der Großstadt. Es sind Lieder für die entscheidende Momente, für den Umzug in eine fremde Stadt, das Hinter-sich-Lassen alter Gewohnheiten und Menschen, für das Auspacken verloren geglaubter Erinnerungen. Was Moritz Krämer seit jeher von den anderen unterscheidet, unterscheidet ihn auch auf »Die traurigen Hummer«: Man glaubt ihm jedes Wort. Große Klasse!
»Die traurigen Hummer« von Moritz Krämer erscheint am 1. Oktober 2021 via Tapete Records. Noch keine Österreich-Termine.
The Toten Crackhuren im Kofferraum – »Gefühle«
Living the Dream in Ostberlin: Zwei Jahre nach ihrem gut betitelten und gecharteten Album »Bitchlifecrisis« sind The TCHIK – empfohlene Schreibweise für schamhafte Charmebefreite – erneut auf Krawall gebürstet: Erstmals veröffentlichen die Vier um Sängering Luise Fuckface auf Bakraufarfita Records, inhaltlich schließen sie aber natürlich und gleichzeitig leider immer noch notwendigerweise an die letzten Veröffentlichungen an: Es geht um die Objektifizierung von weiblich gelesenen Personen, etwa in der ersten Single »Bewerte mich« mit schönem Bohemian-Rhapsody-Moment: »Ja ich weiß, ist nicht böse gemeint / doch meine Titten sind dir zu klein / danke, dass du dir trotzdem die Zeit nimmst / und mir sagst, ob ich fickbar bin«. Außerdem natürlich Thema: Fragliche Männlichkeitskonstrukte, die etwa im Song »Bau mir nen Schrank« eingedroschen werden wie Skrota der Manspreader. Dazu gibt’s krachenden Baller-Electroclash, der dem Sujet jederzeit gerecht wird. Sehr cool!
»Gefühle« von The Toten Crackhuren im Kofferraum erscheint am 15. Oktober 2021 via Bakraufarfita Records / Broken Silence. Keine Österreich-Termine.
Just for Fun – »Im Museum der eigenen Irrtümer«
Hinter dem tatsächlich recht generischen Namen Just for Fun verstecken sich zwei Kapazunder der deutschsprachigen Musiklandschaft: Namentlich Kevin Hamann, vor allem bekannt als Clickclickdecker, der so manchem wunderbarste Konzerterlebnisse geschenkt hat, und Johannes Rögner, den man als Rohrspatz der Electroclash-Legenden Frittenbude kennen muss. Mit ihrem zweiten Kollaborationsalbum – bereits 2015 gab es als Lama L.A. ein Album namens »Affemaria« – wandeln die beiden eher auf den Spuren von Hamanns Werken, beide spielen aber ihre Stärken und unverwechselbaren Trademarks für das große Ganze ein: So ergeben sich auf »Im Museum der eigenen Irrtümer« elf wunderbare Lo-Fi-Indie-Pop-Stücke, die auch bei größter Melancholie an den richtigen Stellen zu frickeln beginnen. Pointiert wird der unverwechselbare Sprechgesang Rögners eingesetzt, das es nur so eine Freude ist – passend zum Bandnamen eben. Es ist ein wahrhaft tolles Album geworden, das durch den Herbst begleitet wie eine traurige Liebe.
»Im Museum der eigenen Irrtümer« von Just for Fun erscheint am 15. Oktober 2021 via Tapete. Keine Termine.
AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT:
Paul Plut – »Ramsau am Dachstein nach der Apokalypse«
(VÖ: 22. Oktober 2021)
Wer Paul Plut nicht sehr super findet, hat noch nie geliebt. Auch sein zweites Album, das wieder schrittweise per Newsletter veröffentlicht wurde im Oktober als Ganzes erscheint, ist ein schroffer Monolith, welcher den Weg des Debüts konsequent weiterführt. Es ist zurecht das Album der Ausgabe im aktuellen The Gap, wo man mehr darüber erfahren kann.
Kahlenberg – »Wiener Zucker«
(VÖ: 1. Oktober 2021)
Bereits im 19er-Jahr hat die famose Supergroup die ironische Wiener Popwelt im Sturm erobert, am einfachen, aber unheimlich subversiven Konzept wird da auch für das zweite Album nichts geändert. Zusätzlich zum Schmäh gibt’s aber ganz unironisch ein paar Hits, denk an »Hahnenkamm« oder »Bösendorfer« – mehr gibt’s hier zu lesen, für Print-Freud*innen auch in der aktuellen Ausgabe von The Gap.
Granada – »Unter Umständen«
(VÖ: 8. Oktober 2021)
Der Grazer Gruppe Granada kann man in der Theorie so einiges vorwerfen, neidlos muss man in der Praxis aber dennoch den Erfolg anerkennen: Und auch das dritte Album bietet wieder – und quasi selbstverständlich – zielgruppenoptimierte Popmusik zwischen den Stühlen »Zu cool für Pizzera & Jaus« und »Zu uncool für die Distinktion«: Mehr dazu gibt es demnächst auf thegap.at.
Matthäus Bär – »Best of Bär«
(VÖ: 29.10.2021)
Es ist das einzig Ausbaufähige an den guten Dingen: Dass sie bisweilen zu Ende gehen. Auch der einzig lebende Rockstar Österreichs, Kinder-Chansonnier Matthäus Bär, hängt seine goldene Schuhe an den Nagel und veröffentlicht ein letztes Mal Lieder für Kinder: Sein Best-Of-Plus ist ein Abschiedsgeschenk für die kleinen und großen Fans. Mehr dazu finden Sie hier.
Various Artists – »Eins und Zwei und Drei und Vier – Deutsche Experimentelle Pop-Musik 1980-1986«
(VÖ: 1.10.2021)
Östro 430, Der Plan, Andreas Dorau, Palais Schaumburg, Xao Seffcheque oder Die Zimmermänner: Das sind die bekanntesten Namen auf dieser sehr interessanten Compilation, die das Wirken im deutschsprachigen Pop abseits der so genannten Neuen Deutsche Welle vom Anfang bis zur Mitte der Achtziger Jahre nacherzählt. Es ist eine Erzählung von künstlerische Freiheit, für deren Kampf sich eine neue Generation mit günstigen und unkonventionellen Instrumenten bewaffnete, die sie für einen Moment unbesiegbar machen sollte.