Nach der Empörung

"Nach der Empörung" setzt das neue Buch von Klaus Werner-Lobo an.Einst prominenter Querein-, nun Aussteiger bei den Wiener Grünen rät er, den Konflikt mit den Mächtigen nicht zu scheuen. Im Interview erklärt er, warum er bei der Präsidentschaftswahl nicht wählen wird und warum er Richard Lugner nicht für einen Clown hält.

Die Wienwoche ist eines der gewagtesten, definitiv eines der spannendsten Festivals in Wien. Es wird allerdings noch kaum wahrgenommen. Wie schätzt du ihre Zukunft ein?

Klaus Werner-Lobo: Dass so was ein paar Jahre braucht, um richtig wahrgenommen zu werden, ist normal, denke ich. Als Projekt ist es aus der Stadt nicht mehr wegzudenken. Heute wird auch aus Hamburg, München oder Berlin mit Interesse beobachtet, was da in Wien an Vernetzung zwischen Aktivismus, Kunst und Kultur gelungen ist. Und das hat auch Folgen, die weit über die reine Kulturveranstaltung hinausgehen. Man braucht sich nur ansehen, woher in den vergangenen Monaten die Impulse für die Solidarität mit Flüchtlingen kamen, wie die Hunderten, die illegal aus Ungarn Refugees geholt haben, bewegt wurden. All das setzt auf eine professionalisierte zivilgesellschaftliche Community auf, die zu einem großen Teil aus der Kulturszene kommt. Viel davon aus dem Umfeld von Wienwoche. Da wurde eine Szene, die es immer schwer gehabt hat, erstmals mit Ressourcen ausgestattet, die ihr auch erlaubt haben, sich zu professionalisieren. Das ist überhaupt eine der Conclusios meines Buches: Es braucht eine Professionalisierung sozialer Bewegungen und der Zivilgesellschaft. Allein kannst du sonst wenig bewegen. Auch wenn immer wieder das Gegenteil behauptet wird: Es geht nicht darum, dass die Mehrheit gewonnen werden muss. Die Kronen Zeitung werden wir nie auf unserer Seite haben, das wird nie passieren. Aber wenn man sich professionell organisiert und gut informiert, kann man einiges bewegen. Wenn wir uns die erfolgreichen sozialen Bewegungen in der Geschichte ansehen: Die Arbeiterbewegung, die Frauenbewegung, die Schwulen- und Lesbenbewegung, auch die Umweltbewegung – das waren nie Mehrheiten, sondern kämpferische Menschen, die sich gemeinsam engagiert haben, auch gegen Mächtige und Mehrheiten. Wenn es einen Missstand gibt, muss ich zuerst schauen, wer davon profitiert. Mit dem muss ich dann in Konflikt treten. Das fehlt leider der Parteipolitik mittlerweile total.

Ein anderes Projekt – SHIFT – wurde Blogger Thomas Trenkler zufolge zuletzt von der Stadt Wien ausgesetzt. Hast du eine Erklärung, warum?

Klaus Werner-Lobo: Ich warte auf die Ausschreibung. Es gibt einen gültigen Gemeinderatsbeschluss auf drei Jahre, der auch ein Commitment gegenüber der Freien Szene ist. Wenn das nicht kommt gehe ich davon aus, dass es eine Rebellion gibt. Das ist Geld, das der Freien Szene gehört.

Kommen wir zu deinem neuen Buch: Für wen hast du denn "Nach der Empörung" geschrieben?

Klaus Werner-Lobo: Letztlich vor allem für Leute, die sich über Hypo Alpe Adria oder darüber empören, wie unmenschlich die EU mit Menschen umgeht, die aus Krieg und Elend zu uns flüchten. Für Leute, die solchen Ungerechtigkeiten etwas entgegensetzen wollen, sich aber angesichts von Korruption und Stillstand machtlos fühlen. Nehmen wir als Beispiel die Initiative Train of Hope am Hauptbahnhof. Da kamen spontan Tausende um Refugees zu unterstützen, und sie taten das höchst professionell! Man sieht also: Es gibt ein irrsinniges Potenzial, wenn die Leute wo andocken können. Ich möchte zeigen, dass es abseits von Wahlen irrsinnig viele Möglichkeiten gibt selbst politisch aktiv zu werden.

Hattest du beim Schreiben eine konkrete Leserin oder einen konkreten Leser im Kopf?

Klaus Werner-Lobo: Die 16-Jährige oder auch den 25-Jährigen, der so was wie ein Gerechtigkeitsempfinden hat, also Solidarität und Empathie spürt, und der das Gefühl hat, dass Wahlen nicht wirklich was verändern. Ich richte mich nicht an Egoisten, die sich an ihre Privilegien klammern: Mit denen muss man in Konflikt treten, die kann man nicht überzeugen. Eher an Leute, die nicht mehr wissen, ob sie überhaupt noch wählen gehen sollen, oder doch noch mal Grüne oder SPÖ, irgendwas Linkes oder vielleicht sogar die Neos, weil die so freundlich tun. Ich möchte mich an die 16-jährige Aktivistin, die den Kapitalismus abschaffen möchte und sich mit Refugees solidarisiert, genauso wenden wie an ihre prekär lebende Mutter, die sich von der Politik alleingelassen fühlt.

Dein Buch beginnt "nach der Empörung", deine Vita steht gerade "nach der Parteipolitik". Worauf wirst du deine Energie in den nächsten Jahren fokussieren? Ich habe gehört, du arbeitest gerade an einem Buch über Clowns …

Klaus Werner-Lobo: Das stimmt. Es widmet sich der gesellschaftlichen Funktion des Clowns in unterschiedlichen Kulturen und Zeiten. Es geht dabei um einen Archetypen, der keine Angst vor dem Scheitern hat, der sich nicht für seine Lächerlichkeit und seinen Mangel an Perfektion geniert. Es gibt vom Hofnarren im Mittelalter bis zu indigenen Völkern in allen Kulturen Clownfiguren, die Machthabern gefährlich werden, weil sie Konventionen und Machtstrukturen brechen. Clowns können Menschen eine der größten Ängste nehmen, die Angst vorm Scheitern und vorm Verlust sozialer Anerkennung – und wer keine Angst hat, der wird unbeherrschbar.

Du bist selbst ausgebildeter Clown …

Klaus Werner-Lobo: Ja, und ich arbeite weiter an mir. Ich hatte gerade erst im Jänner einen fünfwöchigen Kurs in Toronto bei Sue Morrison, die mit Methoden indigener Clowns arbeitet. Mithilfe ritueller Masken bringt diese Methode Seiten zum Vorschein, die ein Mensch normalerweise verbirgt, weil er sich dafür schämt. Ein befreiender Akt, bei dem man keine Techniken, sondern sich selbst kennen lernt. Politik ist da leider das genaue Gegenteil: Da wird dauernd vorgegeben, dass jemand stark, unverletzlich, überlegen ist. Dabei braucht es im Miteinander mehr Empathie, Großzügigkeit, Verletzlichkeit und das Anerkennen von Nicht-Perfektion!

Ich muss das jetzt fragen: Ist Richard Lugner ein Clown?

Klaus Werner-Lobo: In meiner Definition nicht. Ein Clown ist jemand, der uns alle Ebenen der Menschlichkeit zeigt. Das geht nur, indem man sich mit dem eigenen Ego auseinandersetzt. Lugner hingegen scheint so wie viele Politiker eher von seinem Ego dominiert zu sein. Dieses Ego braucht permanente Zufuhr von Nahrung in Form von Aufmerksamkeit, weshalb die gesamte Energie vieler Politiker in den Machterhalt fließt: weil sie von dieser Aufmerksamkeit abhängig sind wie von einer Droge. Ein echter Clown hingegen ist ausschließlich daran interessiert, mit Menschen in Beziehung zu treten – und das geht nur, indem man sein Ego loslässt und Verletzlichkeit zeigt.

"Nach der Empörung. Was tun, wenn wählen nicht mehr reicht" von Klaus Werner-Lobo ist im Deuticke Verlag (Wien 2016) erschienen.

Bild(er) © www.paulsturm.at
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