Von einem Alien-Humanoid, der auf der Erde festsitzt. Kurz vor seinem Tod wurde »Lazarus« von David Bowie in New York uraufgeführt. Nun wird das Musical unter der Regie von Miloš Lolić im Volkstheater gespielt.
Die eigentliche Mission von Thomas Jerome Newton ist es, seinen von Dürre bedrohten Heimatplaneten und seine Familie zu retten. Auf unserer Erde angekommen, bringt es Newton mit fortgeschrittener Alien-Technologie zu Reichtum und Berühmtheit; beste Voraussetzungen um ein Raumschiff zu bauen und mit Wasser den Heimweg anzutreten. Sobald er jedoch als nicht-menschliches Wesen enttarnt worden ist, sperrt man ihn ein und stellt mit seinem Körper Versuche an. Noch schwerer wiegen jedoch die Hindernisse, die aus ihm selbst heraus kommen: Auch nach Beendigung seiner isolierten Verwahrung gelingt ihm keine Flucht von der Erde. Er ist längst Gefangener seiner eigenen Dekadenz geworden, abhängig von Alkohol und dem Fernsehen. Newton bleibt als gebrochener Mann auf der Erde zurück.
Die Handlung des Science-Fiction Klassikers »The Man Who Fell to Earth« ist eine Geschichte vom Scheitern. Verkörpert wird der Alien-Humanoid in der britischen Filmadaption vom jungen, rothaarigen, zwei-augenfarbigen David Bowie. Es ist seine erste Spielfilmrolle, in der er sich, nach eigener Aussage, mehr oder weniger selbst gespielt habe. Zeit seines Lebens schien ihn die Figur des Außerirdischen nie wirklich losgelassen zu haben. Knapp 40 Jahre nach Erscheinen des Films widmete Bowie der Figur eine letzte Fortsetzung und erfüllte sich damit den Lebenstraum ein Musical geschrieben zu haben: »Lazarus«. Nach erfolgreichen Aufführungen in New York, London und Düsseldorf, hat Miloš Lolić das Stück nun für das Volkstheater Wien inszeniert.
Gefangen auf der Erde, gefangen im eigenen Kopf
Auch in der Gegenwart scheint es die Welt nicht gut mit Newton zu meinen. Stark alkoholisiert lebt er zurückgezogen in seiner Manhattaner Stadtwohnung. Der einzige Kontakt zur Außenwelt ist eine angestellte Assistentin. Menschenleer geht es auf der Bühne trotzdem nicht zu; es tummeln sich eine ganze Reihe an Figuren, die der Fantasie von Newton entsprungen zu sein scheinen. Für ZuschauerInnen werden dabei bewusst die Grenzen verwischt, wann es sich um »reale« Ereignisse handelt und welche Geschehnisse bloß in Newtons Kopf stattfinden – falls man das Musical nicht sowieso komplett als Traum versteht.
In Lolićs Inszenierung ist es bereits das Bühnenbild von Wolfgang Menardi, das auf eine Traumhaftigkeit verweist. Griff man bei den Aufführungen in New York und London auf leere Räume, die durch Videoeinblendungen erweitert wurden, zurück, verzichtet man im Volkstheater auf die digitale Komponente. Die Fernsehabhängigkeit von Newton kommt dadurch zwar nicht so stark heraus, die in »The Man Who Fell to Earth« thematisierte Medienkritik ist jedoch ohnehin so oberflächlich, dass dies keinen großen Verlust darstellt. In den bisherigen Inszenierungen des Stücks erschien die Thematisierung dieser Sucht unter Einsatz von Videoelementen eher als Mittel zum Zweck, um die Aufführung filmischer zu gestalten. In Wien beschränkt sich das Bühnenbild hingegen auf ein mehrstöckiges Gerüst, das auf der Hinterbühne aufgebaut ist. Farblich grell-getöntes Glas trennt hier einzelne Raumelemente voneinander; in neonfarbenen Vitrinen sind ausgestopfte Tiere ausgestellt. Die Figuren tragen durchsichtige Plastikroben, neonfarbene Strümpfe und lichtreflexives Latex. Dass dieser Anblick von der Einrichtung bis zu den Kostümen nicht an die naturalistische Darstellung eines New Yorker Apartments und ihrer BewohnerInnen erinnert, sondern wie ein artifizieller Nicht-Raum wirkt, tut sein Übriges, um die Worte Newtons (»Ihr seid nur in meinem Kopf«) zu unterstreichen.
Die Unzerstörbarkeit von Bowies Musik
Die Rahmenhandlung von »Lazarus«, das Bowie zusammen mit dem irischen Dramatiker Enda Walsh geschrieben hat, ist recht dünn. Ein auftauchendes »Mädchen« will Newton helfen, doch noch nach Hause zurückzukehren und steht dafür symbolisch für Newtons kleinen Rest an Hoffnung. Zeitgleich treibt ein Massenmörder mit dem Namen »Valentine« sein Unwesen und kommt Newton zusehends näher. Drei »Teenage Girls« fungieren auf der Bühne vor allem als Backgroundsängerinnen.
Die Songtexte der eingearbeiteten Musik sind zumeist weniger wichtig für den Stückinhalt, als die Atmosphäre, die sie erzeugen. Das kommt der Inszenierung im Volkstheater insofern zugute, da Lieder für das allgemeine Verständnis nicht eingedeutscht werden mussten. Letztlich sind es vor allem diese Songs, die den Abend zusammenhalten. Dabei werden nicht nur einige Klassiker, wie »This is not America«, »Absolute Beginners« und »Changes« performt, sondern auch Songs aus Bowies Spätwerk, unter anderem »Valentine’s Day«, »Where are We Now?« und das titelgebende »Lazarus«. Drei Tracks, die eigens für das Musical geschrieben wurden, sind letztes Jahr als »No Plan EP« posthum veröffentlicht worden.
Einerseits ist es natürlich Gewöhnungssache, Songs, die man von einer einzelnen unverkennbaren Stimme – in dem Fall der von David Bowie – gewohnt ist, in anderer Interpretation zu hören. Eine verlangsamte Version von »Heroes« kommt zum Beispiel mit deutlich weniger Pathos daher; »Life on Mars?« wird von »Mädchen« – also von einer jungen weiblichen Stimme – gesungen. Andererseits sind die Musicalversionen aber auch Zeugnis von einer Unzerstörbarkeit die Bowies Musik mit sich bringt. Die Hookline »If our love song / Could fly over mountains« aus dem Refrain von »Absolute Beginners« funktioniert einfach – auch als Musicalversion. Verstärkt wird das musikalische Erleben zudem, lässt man während der Aufführung den Blick hin und wieder Richtung Orchestergraben schweifen. Dabei offenbart sich, mit welcher Begeisterung und welchem Elan David Bowies Songs hier gespielt werden.
Das letzte Kapitel
Wenn »The Man Who Fell to Earth« eine Geschichte vom Scheitern ist, dann ist »Lazarus« eine Geschichte von jemandem, der Erlösung vom irdischen Dasein ersehnt. Newton altert nicht, er steckt fest an einem Ort, an dem er nicht sein möchte.
Die Häufigkeit, mit der David Bowie den Weltraum und das Sternenfirmament als Metapher referenziert hat ist sicherlich in der Popkultur einzigartig. Angefangen von Major Tom, Astronaut aus einem seiner berühmtesten Musikstücke »Space Oddity«, über zahlreiche Songtitel (u.a. »Starman«, »The Stars (Are Out Tonight)« und »Life on Mars?«), bis hin zum extraterrestrischen Alter-Ego »Ziggy Stardust«. Sein letzter Studioalbum »Blackstar« (in stilisierter Schreibweise »★«), dass zwei Tage vor seinem Tod erschienen ist, bildet da keine Ausnahme. Entstanden ist es im Angesicht der eigenen Krebserkrankung und dem bevorstehenden Tod. Das wird in fast allen Songs spürbar und ist von Bowie als Thema sehr bewusst gesetzt worden. Im Musikvideo der Leadsingle »Blackstar« vergönnt er Major Tom seinen Abgang, wenn dessen Leichnam auf einem Planeten gefunden wird. Er selbst folgt im Video zur zweiten Singleauskoppelung »Lazarus«, die ihn auf einem Totenbett mit verbundenen Augen zeigt. Mit dem Musical schickt er auch Thomas Jerome Newton auf finale Reise.
Wenn zum Schluss das Motiv von Tod in »Lazarus« überhand gewinnt, wird die Erlösung als eine Hinauffahrt gen Himmel angedeutet. »Glaubst du wir können uns in den Sternen verlieren?« – »Sprich weiter und wir werden weiterreisen.« Die Lücke zu Bowies Leben schließt sich und die eröffnenden Worte des »Lazarus« Title-Tracks werden gespiegelt: »Look up here / I’m in Heaven«.
»Lazarus« hat gestern Abend im Volkstheater Österreichpremiere gefeiert. Weitere Aufführungen finden zwischen 12. Mai – 15. Juni statt. Nähere Infos zum Stück und zur Verfügbarkeit der begehrten Tickets gibt es hier.