Neues Salz, alte Wunden: Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut

Österreich stellt 2024 wieder eine Kulturhauptstadt Europas – und erstmals trägt eine Region diesen Titel. Unter dem Motto »Kultur ist das neue Salz« sind 23 Gemeinden in Oberösterreich und der Steiermark mit von der Partie. Wir beantworten sechs Fragen rund um die Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut.

© Motoi Yamamoto »Saltscape«

Was hat es mit dem Format Kultur­hauptstadt Europas überhaupt auf sich?

Der Titel Kulturhauptstadt Europas (bzw. anfangs: Kulturstadt Europas) wird jährlich von der EU vergeben, seit 2004 an mindestens zwei Städte. Bewerbungen aus den jeweiligen EU-Mitglieds­ländern wie auch von Beitritts­kandidat*innen und Partner­ländern (EFTA, EWR) sind nach einem Rotations­prinzip möglich. Die Initiative soll, so die Europäische Kommission, die kulturelle Vielfalt und die Gemeinsam­keiten der europäischen Kulturen aufzeigen, das Gefühl der Zugehörigkeit zu einem gemein­samen Kulturraum fördern und der langfristigen Entwicklung der ausgewählten Städte dienen. Ihr Profil und ihr Image sollen aufgewertet und letztlich der Tourismus angekurbelt werden. Die Förderung durch die EU, die nur einen kleinen Teil des jeweiligen Gesamt­budgets ausmacht, erfolgt in Form eines Preisgeldes in der aktuellen Höhe von 1,5 Millionen Euro, dem Melina-Mercouri-Preis. Benannt ist dieser nach der griechischen Schau­spielerin und Kultur­ministerin, auf deren Betreiben die Kultur­haupt­stadt-Initiative 1985 ins Leben gerufen wurde.

Welche österreichischen Städte waren bereits Kulturhauptstadt Europas?

Zum einen Graz im Jahr 2003 und zum anderen Linz im Jahr 2009. Beide gelten als erfolgreiche Beispiele für Kultur­haupt­städte, denen damit eine nachhaltige Neu­positionierung gelang. Für Graz konnte der künstlerische Leiter Wolfgang Lorenz mit über 2,5 Millionen Besucher*innen bei einem Gesamt­budget von 58,6 Millionen Euro eine positive Bilanz ziehen. Ähnliches gilt für Martin Heller und Linz – mit 2,8 Millionen Besucher*innen bei 68,7 Millionen Euro Budget. Das jeweilige Programm wurde sowohl von der lokalen Bevölkerung als auch von Tourist*innen gut angenommen, zeigen die veröffentlichten Zahlen. Die Beherbergungs­betriebe beider Städte konnten sich über ein deutliches Nächtigungs­plus freuen. Im Stadtbild wirken die Kultur­haupt­stadt­jahre etwa mit dem »friendly alien« Kunsthaus oder der Murinsel bzw. mit dem neu gestalteten Ars Electronica Center und dem Südflügel des Linzer Schloss­museums nach. Negativ äußerten sich in Graz wie in Linz Teile der lokalen Kulturszenen, die sich nicht adäquat eingebunden sahen und die Kultur­haupt­stadt­aktivitäten wegen mangelnder Nach­haltigkeit kritisierten.

Elisabeth Schweeger, künstlerische Leiterin der Kulturhauptstadt (Foto: Die Arge Lola)

Mit welchem Konzept gelang es Bad Ischl bzw. dem Salz­kammer­gut, den Zuschlag für 2024 zu erhalten?

Bad Ischl und das Salzkammergut bewarben sich unter den Schlagworten »Salz und Wasser« und konnten sich bei der Entscheidung im Jahr 2019 gegen »Dornbirn plus« sowie St. Pölten durchsetzen. Man wolle den Tourismus mit Kultur ausbalancieren, hieß es damals. Bewusst wurde im Rahmen der Bewerbung das Thema Over­tourism angesprochen, man lud die Jury etwa auch nach Hallstatt ein. Darüber hinaus wurden Abwanderung sowie fehlende Arbeits­plätze und Bildungs­angebote als große Heraus­forderungen der Region thematisiert. Jury­vorsitzende Cristina Farinha meinte damals: »Es geht anhand des Themas Salz um Fragen der Post-Industrialisierung, es geht um Tourismus und Hyper­tourismus und darum, wie man mit Tradition, Kultur und alternativer Kultur umgeht. Diese Fragen sind die gleichen, die sich vielen Städten in Europa stellen.« Es war die erste Bewerbung einer inneralpinen Region um den Titel Kultur­haupt­stadt Europas. Neben Bad Ischl tragen diesen Titel 2024 auch Tartu in Estland und Bodø in Norwegen.

Wie verliefen die Vorbereitungen auf das Kultur­hauptstadtjahr?

Man muss sagen: eher holprig. So kam es zum Beispiel im März 2021 zur Ablöse des künstlerischen Leiters Stephan Rabl – nach gerade einmal sechs Monaten. »Wir standen vor der Entscheidung: Brechen uns die Künstler weg oder trennen wir uns von Rabl«, wird Alexander Scheutz, Obmann des Regional­entwicklungs­vereins Regis und Bürgermeister von Hallstatt in der Tages­zeitung Der Standard zitiert. Auch der Abgang des Industriellen Hannes Androsch aus dem Kulturkomitee des Haupt­stadt­jahres sorgte für Aufregung: In einem offenen Brief nannte er das Programm »global-exotisch«, es zeuge von wenig Verständnis für die Region. Überdies kritisierte er öffentlich einen Mangel an Information und Tempo. Mit Hubert Achleitner (Hubert von Goisern) stellte sich daraufhin ein anderes Komitee­mitglied wortstark hinter die neue künstlerische Leiterin Elisabeth Schweeger. Aber auch seitens manch regionaler Kultur­schaffender gab es Misstöne: Man werde zu wenig gehört, Kommunikation auf Augenhöhe finde nicht statt und inhaltlich würden die wirklich schmerzhaften Aspekte der (national­sozialistischen) Vergangen­heit eher ausgespart. Darüber hinaus begleiteten verbissene Streitig­keiten in der Bad Ischler Stadtpolitik die Vor­bereitungen auf das Kultur­hauptstadtjahr.

»Saltscape« von Motoi Yamamoto, zu sehen im Rahmen von »Kunst mit Salz & Wasser« 
im Sudhaus in Bad Ischl (Foto: Motoi Yamamoto)

Und wie sieht das Programm der Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut nun aus?

Mehr als 300 Veranstaltungen haben Elisabeth Schweeger und ihr Team in den 23 teil­nehmenden Gemeinden zusammengestellt – bei einem Gesamt­budget von etwa 30 Millionen Euro (27,5 Millionen kommen von Bund, den Ländern Oberösterreich und Steiermark, den Gemeinden und Tourismus­verbänden; 1,5 Millionen von der EU). Vier Schwer­punkte ziehen sich durch das Programm: »Macht und Tradition«, »Kultur im Fluss«, »Sharing Salzkammergut – Die Kunst des Reisens« und »Globalokal – Building the New«. Das heißt: Man wirft einen differenzierten Blick auf Geschichte und Traditionen, zeigt den steten Wandel von Kultur und kultureller Identität als positive Kraft, lotet die Zukunfts­fähigkeit des örtlichen Tourismus aus und untersucht, was es braucht, um die ländliche alpine Region als Lebensraum für Jung, aber auch Alt attraktiv zu gestalten. Mehr als 85 Prozent der Veranstaltungen werden von lokalen und regionalen Künstler*innen, Vereinen, Institutionen und Betrieben durchgeführt, ist in den Presse­informationen zu lesen. 85 Prozent des Programms finden bei freiem Eintritt statt.

Okay, das klingt sehr umfangreich – und auch etwas abstrakt. Was wären denn konkrete Highlights?

Im Rahmen der Academy of Ceramics Gmunden kommt es zum Austausch zwischen zeit­genössischen Künstler*innen und dem Traditions­unternehmen Gmundner Keramik. Mit dem Wirtshaus­labor Salz­kammergut sollen Impulse zur Wieder­belebung der ver­schwindenden Wirtshaus­kultur am Land gesetzt werden – unter Mitwirkung von Kochprofis und Auszubildenden. Das Sudhaus in Bad Ischl zeigt die zentrale Themen­ausstellung »Kunst mit Salz & Wasser«. Eine Reise durch 15 Hör- und Erlebnis­räume bietet das Projekt »Großer Welt-Raum-Weg«: »vom Bade­zimmer in die Pfarrkirche Bad Ischl, über Almen bis in die Steinwüste des Toten Gebirges und wieder zurück in den eigenen Alltag«. Unter dem Titel »Die Reise der Bilder« beschäftigen sich Ausstellungen im Lentos Kunstmuseum, einer Linzer Außenstelle der Kultur­haupt­stadt, in Bad Aussee und Lauffen mit »Hitlers Kulturpolitik, Kunsthandel und Einlagerungen in der NS-Zeit im Salz­kammergut«. In der Graphic Novel »Verborgen im Fels. Der Berg, das Salz & die Kunst« setzt sich der deutsche Comic-Künstler Simon Schwartz mit der wechsel­vollen Geschichte des Altausseer Salzbergs auseinander. Und die Veranstaltungs­reihe »New Salt« bietet – unter der künstlerischen Leitung der beiden ehemaligen The-Gap-Autor*innen Ursula Winterauer und Maximilian Zeller – experimentellen musikalischen Positionen und digitaler Kunst in unter­schiedlichen Formaten eine Bühne. Um nur einige wenige zu nennen …

Experimentelle musikalische Positionen und digitale Kunst bei »New Salt« (Foto: David Višnjič)

Das Kulturhauptstadtjahr wird am 19. Jänner 2024 durch Bundes­präsident Alexander Van der Bellen eröffnet. Im Rahmen der »Opening Ceremony« am 20. Jänner sind in Bad Ischl zu sehen bzw. hören: der »Chor der 1.000« unter der Leitung von Hubert von Goisern und Tom Neuwirth aka Conchita, die Operette »Eine Frau, die weiß, was sie will!« von Oscar Straus sowie ein Konzert von Camo & Krooked.

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