Oida Wow

Crack Ignaz schießt plötzlich Tapes und Alben raus, als hätte er Zeilen für 17 Leben. Zwischen Wien, Salzburg und Köln ist rundherum eine echte Szene entstanden, die gerade jetzt Turnup feiert.

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Diese Schlange hat man vor dem Wiener Fluc lange nicht mehr gesehen. 80 Meter geht sie zurück bis zu den Dönerständen. Alle stehen an, sind nett zueinander, an einem wirklich kalten Tag, zehn Uhr abends und null Gedränge. Ab eins springt drinnen die gesamte Location und singt die Refrains von Crack Ignaz und LGoony mit. Wandl mischt die Beats. Die Bässe scheppern. So geht das Gegenteil von Rap-Konzerten, auf denen man Kennerschaft mit kaum wahrnehmbarem Kopfnicken beweist. Für solche Momente wurde das Wort »Turnup« erfunden. In Köln tritt vor ihnen Juicy Gay auf, der erste offen schwule Rapper in Deutschland, bei dem es egal ist, ob er wirklich schwul ist. Crack Ignaz hat innerhalb von nur einem halben Jahr gleich drei Alben in die Welt geschossen. “Kirsch”, “Geld Leben” mit Wandl und “Aurora” mit LGoony. Manche nennen das dumm. Weil man das im Game nicht macht. So bleibt man nicht im Gespräch. Manche nennen das geil. Und Ignaz K den König der Alpen.

Zwölf Arten nach Elvis weiter zu machen

So klar war nicht, dass jetzt alles so schnell kommen sollte. Lange gab es von Ignaz offiziell nur ein Tape, eine Single – »Elvis« war vom britischen Fact Mag zu einem der Top Tracks des Juni 2013 gekürt worden. »Kirsch« war eigentlich schon lange fertig. Vor über 15 Monaten hatten wir uns zum Vorhören getroffen. Beim Interview hatte Ignaz keinen echten Plan, ob er nun blöde, witzige oder ernste Antworten geben soll. Es gab danach Gespräche mit Chimperator, dem Label, das seit dem irren Erfolg von Cro alle Kontakte und alles Geld hat, um aus dem süßen Jüngling aus Salzburg einen Star zu machen. Aber nein. Monate verstrichen. Wir hatten scherzhalber schon einen Artikel geplant: Zwölf Arten, wie du deine Musikkarriere vergeigen kannst mit Crack Ignaz. Mit Kollegen diskutierte man, ob das noch etwas wird. Ob Crack das Gespür für gute Beats hat und die richtigen Business-Entscheidungen treffen kann. Das kann man heute so offen erzählen, weil Crack Ignaz eben die richtigen Entscheidungen getroffen hat.

Den Mercedes für das Fotoshooting hatten wir schon. Wir lieben die Fotos in der Karlskirche, in denen das Duo eher so aussieht, als würden sie 90s Dancefloor machen, auch heiß. Der Terminkalender war schlicht schon zu voll. Plötzlich läuft es. Es haben die richtigen paar Leute zueinander gefunden und sich die richtigen Fremdwörter an den Kopf geworfen. Allen voran waren das Wandl und LGoony. »Kirsch« war noch aus der Hand von ganz unterschiedlichen Produzenten, Ignaz K solo, keine Features, zurückgelehnt, entspannt, witzig, die Beats meistens wie im Zeitlupenrausch. Casper feierte es. Die besten Beats kamen da aber schon von Wandl. »Geld Leben« war deutlich zwingender und schlüssiger. Die Hi-Hats souverän gesetzt, die Produktion nicht immer crisp, aber die Bässe massiv und alle Samples mit viel Liebe ausgegraben.

Und LGoony war plötzlich da. Ernsthafte Antworten wann und warum sich beide gefunden haben, bekommt man nicht. Muss auch nicht sein. Beide gleichen sich perfekt aus. Goony mit dem Nerdgesicht und einer Stimme, die so aggro klingt wie ein Chihuahua auf Badesalz. Singen kann er auch, wenn der Vocoder an ist.»Lambo Gallardo« hat LGoony schon mit einem anderen Österreicher aufgenommen, genau, Money Boy. Das Tape mit Crack Ignaz wurde erst Stunden vorher angekündigt. Darauf werfen sich beide die Pointen zu, die der andere weiter spinnt. Goony mehr dada, dumme Witze und hervorragende Wortspiele. Von Ignaz kommen die Melodien, der Dialekt, der Schmäh. Es zählt am Ende eben doch Beat, Flow, Gwantheit und wie man sich eine Posse züchtet.

Milchgesicht

Wandl hatte letztens ein Tattoo im Gesicht. Ein Milchpackerl, um genau zu sein. Wie um zu beweisen, das alles nicht nur eine Mode oder ein Gag ist, die er und 10.000 andere mit Anfang 20 gerade durchmachen. Das Tattoo war ein Tage später wieder weg. Ernst ist es trotzdem. Wenn weiße Kids so tun, als würden sie die ganze Zeit Stoff verticken, Hustensaft sippen und die Bitches wegcocken. Sie sagen sheesh, sie sagen burrr! Im Netz wird das tausendfach wiederholt. Immer wieder, immer wieder, weil gönn dir, gehör dazu, sei auch 1 turnup am haven, richtig verwöhnerisch. So speaken Eingeweihte. Früher hätte man das cool genannt, Bescheid wissen um die Codes, die richtigen Witze, die dummen Konventionen der anderen, die man selbst ignoriert. Niemand nennt das heute cool. Eher swah. Swah ist nach dem Swag. Swah, das ist Post-Swag.

Post-Swag sind wir eigentlich alle, ohne dass wir das wissen. Alles wollen, auf Instagram damit posieren und nicht wirklich die Kohle dafür haben. Es ist auffällig, wie viele Kids am Konzert in Wien waren, die in gute Gymnasien gehen und später einmal Werber, Grafiker oder auch Anwalt und Marketingleiter werden. Sie tragen Bucket-Hats, Kette, zumindest ein paar, sie faven Money Boy, Hustensaft Jüngling und LGoony auf Twitter. Shout Out an die Glo Up Dinero Gang. Shout Out an Hanusch Platz Flow. Shout Out an Live From Earth.

Zwischen Salzburg, Köln, Wien und Berlin hat sich mit ein paar wenigen Figuren und einigen Kollaborationen eine richtige Szene herausgebildet. Klar, mit ganz unterschiedlichen Charakteren, wie sollte es auch sonst sein. Ignaz K weiß zum Beispiel im Gegensatz zu Yung Hurn, was sexistischer Scheiß ist. Es gibt aber noch mehr Gemeinsamkeiten. Sie geben keine Interviews und wenn, dann deppate Antworten. Die Erde ist eine Scheibe, klar. Sie schieben sich den Kolben auch mal gegenseitig rein. Leute im Internet verarschen, klar. Ist das Postironie? Najo. Mal nicht übertreiben. Postmoderne? Sicher. Lies mal den Text von Gabriel Roland über Money Boy. Da ist das alles aufgeschlüsselt. Und den Text, den Lukas Matzinger für den Falter von ihm abgeschrieben hat. Joke. Shout Out an Matzinger. Guter Brudi, lel.

Bricht die Knie

Auf Diskussionen, was das denn jetzt für ein Genre ist, reagieren aber alle im besten Fall ausweichend. Versuch ja nicht, das festzunageln. Die Zeiten, als Rap vor allem das Medium von unterprivilegierten Minderheiten war, das schwarze CNN, sind vorbei – wenn es sie jemals gab. Souljah Boy, Young Thug, Lil B sind Vorbilder aus den USA, die dort schon von den Wächtern des heiligen HipHop-Grals attackiert wurden. Das würde Rap kaputt machen, war aber allen egal. Was Rap sein soll? Viel zu diffus, diese Bezeichnung, meint LGoony im Interview mit Noisey. Er macht Cloud. So lassen sich auch schnell Fragen nach Anspruch, Botschaften und Inhalten die Knie brechen. All das gibt es natürlich irgendwie. Aber erklären muss sich das nicht. Schon gar nicht im Feuilleton. Du musst mit dem Scheiß rollen. Crack Ignaz tut das gerade in der ersten Liga. Er ist lit. Neuerdings singt er sogar, richtig schön. Und »Oida«, dieses Wort, das gleichzeitig »Bester«, »Was soll das« und »Ich weiß« heißen kann, ist jetzt bereit, sich im gesamten deutschen Sprachraum etablieren.

»Aurora« von Crack Ignaz und LGoony und »Geld Leben« von Crack Ignaz und Wandl sind soeben erschienen.

Bild(er) © Marlene Mautner
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