Planningtorock hat aus dem Album »Powerhouse« eine Bühnenfassung gemacht. Wie man es schafft, etwas derart intimes und komplexes wie Familiendynamik rüber zu bringen und welches Pride Festival einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat.
Jam Rostron wird sich diesen Sommer öfter in Wien aufhalten. Kurz nach unserem Interview findet die Pressekonferenz des Impulstanz Vienna statt. Der Workshop, den Jam zusammen mit Ian Kaler beim Festival halten wird, und die Österreich-Premiere der Bühnen-Show zu »Powerhouse« werden die nächsten Anlässe für Transportmittel gen Wien sein. Jam scheint sich auf Quality Time in der Stadt zu freuen – gleich zur Begrüßung werden wir gemahnt, nicht auf heißes Wetter zu schimpfen, in London wäre man froh drum. Doch Planningtorock vertritt viel mehr als die Heimat Großbritannien in der Wahlheimat Berlin – unter anderem nämlich auch die Gewerkschaft der überaus entspannten und freundlichen Interview-PartnerInnen. Mit Ende vierzig macht Rostron seit Jahrzehnten Musik, allerspätestens seit dem Album »W« im Radar internationaler Musik-Medien und Fanschaften. Mit »Powerhouse« hat sich Planningtorock an ein extrem persönliches Album gesetzt. Die Live Show zum Album nimmt die Geschichten rund um die Rostron Family – vor allem Jams Mutter und Schwester Beulah – auf ein noch intimeres Level. Jam erzählt im Interview, was das Teilen ganz privater Stories mit einem macht, warum ein wachsendes Pride Movement trotz Kommerzialisierung wichtig ist, und warum Soap&Skin so toll ist.
Wir haben uns kurz gesehen bei der Premiere von »Powerhouse« in Berlin. Zwischen den Songs hast du den genderneutralen Stimmeffekt ausgeschaltet, der eigentlich sehr prägend ist für deine Musik seit »W«. Wie hat es sich angefühlt, diese Alternierung live auf der Bühne nicht zu haben?
Ich finde, ich habe viele Stimmen. Für mich ist das Pitchen der Stimme sehr mit meiner Gender Identity verbunden – das repräsentiere ich aber auch, wenn ich ohne den Pitch rede. Was du so aber auch hörst, und das ist der Grund, warum ich das gemacht habe, ist mein Dialekt. Du fühlst, woher ich bin. Und das ist sehr stark verbunden mit meiner Klasse. Ich bin in der ArbeiterInnenklasse aufgewachsen, was bedeutet, dass ich einen Dialekt habe. Und das ist eine weitere Stimme, eine sehr wichtige. Sie koexistieren alle und sie alle machen Jam aus.
Du hast einmal in einem Interview gemeint, dass du dich nervös und verletzlich gefühlt hast, bevor »Powerhouse« als Album rausgekommen ist, aber als die Reaktionen dann so überwältigend waren, hast du dich geliebt und verstanden gefühlt. Bist du auch bei der Live Show nochmals durch diesen Prozess gegangen?
Dass ich gewusst habe, dass die Leute das Album schon gefeiert haben, hat das Vorhaben der Live Show – die definitiv nochmal weiter geht in dem, was das Album bearbeitet – weniger nervenaufreibend gemacht. Und ich habe mich definitiv nicht verletzlich gefühlt. Was ich erreichen wollte mit der Live Show war, dass ich mit allen im Publikum kommunizieren wollte auf eine Art, die ihnen das Gefühl gibt, dass das Ganze zugänglich ist. Und eher nicht-theatralisch, nur wie ein Geschichtenerzählen. Für mich persönlich ist das etwas, das ich noch nie auf einer Bühne gemacht habe. Es war so toll, weil ich das Gefühl hatte, das Publikum war sehr mit mir und ich war sehr mit ihnen – die Momente, wo sie lachten, als es lustig war und als sie berührt waren in den Momenten, die berührend waren. Das war auch für mich berührend, als ich sie mit ihnen teilte. Also, keine Verletzlichkeit, aber vielleicht ein bisschen Nervosität. Ich wollte einfach erreichen, was ich wirklich erreichen wollte.
Es ist interessant, dass du sagst, du hast noch nie vorher Storytelling gemacht. Ich habe mich nämlich die ganze Show hinweg gefragt, was improvisiert und was choreographiert war. In welchem Detail hast du die Live Show geplant?
Ich glaube, wenn es um das Storytelling geht, habe ich mir irgendwie ausgearbeitet, was es ist, das ich teilen möchte und welche Teile meiner Biografie, meiner Beziehung zu meiner Mutter, meiner Schwester, meiner Familie. Denn offensichtlich gibt es tausende. Welche wären die besten, um sie zu kommunizieren und damit zu connecten? Je mehr ich rede, je mehr ich teile, umso mehr lerne ich selbst darüber, was diese Geschichten, diese Anekdoten für mich sind. Also ich würde sagen, das Skelett dieser Story ist da, aber eigentlich verändert es sich konstant. Jedes Publikum ist anders. Und ich glaube, dass jede/r KünstlerIn fühlt, dass das Publikum einen wirklich beeinflusst. Wie sie präsent sind und wie sie reagieren und was sie dir auf der Bühne zurück geben, beeinflusst dich nicht nur in deiner Performance, sondern auch darin, wie du dich fühlst über das, was du teilst. Berghain (dort fand die Premiere der »Powerhouse« Live Show statt, Anm. d. Red.) zum Beispiel waren zwei Shows und beide Publika waren unglaublich und sehr unterschiedlich. Also ich würde sagen, jedes Mal wenn du vor einer anderen Gruppe Menschen stehst, wird es immer anders sein. Das andere an diesem Geschichtenerzählen ist, dass ich mich während ich sie erzähle, mehr daran erinnere. Das macht wirklich Spaß, auch für mich. Details und Dinge, die noch mehr Spaß machen, sie zu teilen, und die dazu gehören. Das ist schön.
Das kennt man sonst nur von der Psychotherapie, dass man einfach weiterredet und redet und einem immer mehr Dinge dazu einfallen.
Ganz genau! Naja, es gibt Geschichten in Geschichten, oder? Da ist eine Story, eine Erfahrung – es gibt eine Art, wie du dich daran erinnerst und es gibt eine Art, wie du dich daran erinnern willst.
An einer Stelle in der Live Show redest du darüber, wie deine Mutter und deine Schwester etwas schockiert waren, dass das Video zu »Beulah Loves Dancing« so viele Views hat. Redet ihr in deiner Familie viel darüber, dass du Kunst über sie machst?
Das ist lustig, weil sie etwas abgeschnitten sind. Sie haben kein Internet, keine Handys. Und wir arbeiten daran, sie wollen das alles wirklich, aber sie sind ein bisschen in einem Kokon. Dieser Kokon hat auch seine Gründe, ist Teil der Fürsorge meiner Mutter für meine Schwester und auch Überlebensstrategie auf eine Art. Sie haben jetzt beide eine Behinderung, also einfach durch den Tag zu kommen ist schon viel. Das, was sie tun, ist einfach so viel, wie sie tun können. Sie sehen mich als Jam und Jam ist immer überall und macht ganz viele Dinge, sie lieben die Musik und sie sind sehr stolz und unterstützend. Gestern waren wir in London, weil dort eine Ausstellung eröffnet wurde in der Hayward Gallery. Eine Ausstellung über queer Performance seit den 50ern. Dort waren ungefähr 30 Performance-KünstlerInnen, inklusive mir. Sie haben einen Lyric von »Transome« als Titel verwendet: Kiss my genders. Ich war super, super stolz darauf. Also sind meine Mutter und meine Schwester runtergefahren und zur Show gekommen. Das war sehr schön für mich, weil sie ein bisschen mehr von mir gesehen haben.
Mit dem Video, in dem sie beide zu sehen sind, das war eine sehr interessante Erfahrung, bei der sie beide sehr aufgeregt waren, es wirklich gern machen wollten, und gleichzeitig überwältigt waren. Und ich meinte: »Wenn ihr nicht ok damit seid, nehm ich es runter, wir müssen nichts damit machen, es kann auch nur für uns sein.« Aber sie mochten es auch irgendwie. Der Grund, warum ich das tue, ist, weil ich wollte, dass die Welt weiß, wie wundervoll sie sind. Und auch deren selbstgelernte Art zu überleben und füreinander zu sorgen. Ich denke, Liebe ist eines der wichtigsten Dinge auf der Welt, aber Fürsorge kommt gleich danach, auf jeden Fall. Da draußen sind Millionen von FürsorgerInnen auf der Welt und niemand feiert sie.
Beim Impulstanz Festival wirst du zusammen mit Ian Kaler einen Workshop leiten, bei dem es um Choreographie und Musikproduktion geht – unter der Idee der Körper- und Raumerfahrung. Was ist dir wichtig in der Rolle einer/eines Lehrenden? Worauf fokussierst du dich da?
Zuallererst, ich liebe es zu lehren. Ich habe es noch nicht so oft gemacht, aber jedes Mal gibt es mir sehr viel. Weil ich glaube, das ist, wie wir alle lernen, wie ich lerne: von Menschen, die so großzügig sind, dass sie ihr Wissen und ihr Können teilen. (deutet auf den das Gespräch aufzeichnenden Laptop) So habe ich gelernt Sound Softwares zu benutzen. Durch Kevin Blechdom, eine der besten Electronic Music Produzentinnen überhaupt, die mir gezeigt hat, wie man Logic benutzt. Du würdest ihre Musik l i e b e n . Das ist über zehn oder 15 Jahre her und ich bin gerade nach Berlin gezogen, sie hat damals schon Musik gemacht und sie hat mir viel gezeigt und beigebracht. Also ja, teilen ist sehr wichtig. Und ich freue mich sehr darauf. Für diesen Workshop: Ich bin sehr interessiert an Stimmen momentan. »Powerhouse«, die Show, ist all about voices. Ich glaube, jede/r hat eine Stimme – offensichtlicher Weise – und jede/r kann singen und tun, was auch immer er/sie damit tun will. Es ist eine sehr körperliche Erfahrung. Das ist der Startpunkt für mich in diesem Workshop. Ich will, dass die Leute Dinge über sich selbst finden, die sie vorher nicht gefunden haben und außerdem eine wirklich gute Zeit dabei haben. Und es ist so aufregend, das mit Ian zu tun, weil wir schon so viel zusammenarbeiten und wir sehr synchron sind mit unseren kreativen Ideen und wie wir unsere Queerness und queere Ideen innerhalb unserer Kreativität ausdrücken. Also es wird Spaß machen, denke ich.
Gerade im Pride Month wird viel darüber diskutieret, dass ein größer werdendes Pride Movement mehr Awareness, aber auch mehr Kommerzialisierung und Appropriation fördert. Du bist das Gesicht der Spotify Pride Playlist und du spielst auf der Malmö Pride.
Ich komme auch gerade von der Triest Pride in Italien, das war die erste Pride dort. Da würde ich gerne drüber reden. Aber mach erst weiter.
Was denkst du über diese Ambivalenz »mehr Awareness vs. mehr Appropriation«?
Ich meine, wir leben in einer kapitalistischen Welt. Also laufen diese Dinge unglücklicherweise parallel. Ich finde die Appropriation und das Zu-Eigen-Machen von heteronormativem Kapitalismus sehr problematisch. Und gleichzeitig ist es trotzdem sehr wichtig. Ich habe so viele FreundInnen in Ländern, wo Homosexualität illegal ist. Und sie kommen nach Berlin und brauchen Wochen, bis sie das Gefühl haben, sie können körperliche Zuneigung mit ihren PartnerInnen in der Öffentlichkeit zeigen. Früher habe ich in teilen Russlands gespielt, kleine Städte, wo du queere Kids hast, die verzweifelt sind, verängstigt, und sie schauen zu KünstlerInnen, die offen sind und das gibt wirklich Hoffnung. Triest ist ein gutes Beispiel. Es war so toll, weil alle, die die Pride dort auf die Beine gestellt haben, haben es unbezahlt gemacht. Es waren alle Volunteers, das ganze Festival. Kannst du dir das vorstellen? Niemand ist bezahlt worden. Eigentlich war es angedacht, es im Stadtzentrum stattfinden zu lassen. In Triest gibt es zwei Bürgermeister. Der Haupt-Bürgermeister, der super faschistisch ist, hat versucht, es zu verbieten und im Endeffekt haben sie es geschafft, es aus der Stadt zu kriegen und es fast 40 Minuten außerhalb auf einen verlassenen Parkplatz zu verschieben. Sie haben alles versucht, es zu sabotieren. Auch in Malmö. Die haben nicht viele Ressourcen und es geht um Sichtbarkeit. Wo auch immer ich kann, und wann immer ich kann, spiele ich. Und ich versuche, mir dem bewusst zu machen, wenn diese Appropriation passiert und damit umzugehen. Es muss alles irgendwie koexistieren und du musst mit allem irgendwie umgehen. Ich glaube nicht, dass Pride gestoppt werden muss oder sowas, weil es sehr wichtig ist, mit allem gleichzeitig umzugehen. Wenn du ein Ally bist, und es geht nicht um dich, kannst du unterstützend sein und Plattformen teilen. Es ist definitiv etwas, das man lernen muss.
Dein letzter Release ist ein Remix von Soap&Skin’s »Surrounded«. Nur am Rande: Ich liebe es und hör es mir privat echt die ganze Zeit an.
Ich auch. (lacht) Es hat wirklich Spaß gemacht, das zu machen. Ich liebe Anjas Musik und gleichzeitig hat ihre Musik eine Melancholie und Düsterheit, die mich persönlich nicht interessiert. Ich gehe in eine ganz andere Richtung. Aber es hat so viel Spaß gemacht. Ich finde vieles ihrer Musik hat ein Verlangen inne, oder löst ein Verlangen aus. Da sind diese Vocals – ich habe sie genommen und gesagt, ich mache daraus einen Halsey-artigen Track, der aber dieses Verlangen hat, weil ich das sehr gern mag an ihrer Musik.
Aber hast du irgendeine Verbindung zur österreichischen Musikszene? Oder war das nur Zufall mit Anja?
Nein, wir haben uns getroffen. Es war sehr lustig, weil wir sehr lange schon einander bewusst waren. Als die Premiere eines Stücks, das Ian und ich für Cullbergbaletten gemacht haben, in Wien war (»On the Cusp (An der Schwelle)«, Anm. d. Red.), haben wir Anja eingeladen. Das war das erste Mal, dass wir uns getroffen haben. Da habe ich erst erfahren, dass sie ein Fan von Planningtorock ist. Ich bin immer überrascht, wenn Leute, deren Musik meiner so gar nicht ähnelt, sagen »Ich mag deine Sachen echt gern« – was dumm ist, weil ich auch jede Art Musik mag. Also es war sehr schön, sie zu treffen und sie hat gefragt, ob ich einen Remix mache.
Aber mit der Musik Szene generell, das kommt drauf an und schwankt hin und her. Ich glaube, als ich angefangen habe, Musik zu machen, habe ich mehr getourt und mehr DIY-Gigs gemacht. Ich habe früher mehr Shows in Wien gemacht, die mehr Punk und definitiv Queer-DIY-Shows waren und da habe ich viel mehr MusikerInnen getroffen.
Meine letzte Frage ist super basic, MusikjournalistInnen fragen das andauernd und es ist furchtbar. Aber ich habe nichts dazu gefunden und Planningtorock ist wirklich ein unüblicher Name für einen Solo-Act…
Du willst wissen, wo der Name herkommt. (lacht) Es ist voll ok, dass du das fragst. Das ist lange her. Als ich circa 20 war habe ich mit einem/einer FreundIn Musik gemacht. Wir haben überlegt, wie wir uns nennen könnten und weil wir jeden Tag zusammen gearbeitet und aufgenommen haben und es sehr privat war, niemand davon wusste, ist mir »Planningtorock« eingefallen, weil wir eben geplant haben, irgendwann zu rocken. Mein_e FreundIn meinte »Little Wing«, da das aus einem Jimi Hendrix Song ist. Wir haben aufgehört, zusammen Musik zu machen. Dann habe ich eine Zeit lang gar keine gemacht. Als ich dann zurück zur Musik gegangen bin, aber solo, hat mir der Name immer noch gut gefallen. Es ist ein bisschen naiv von mir, weil ich nie an Rock gedacht habe. Für mich steht Planningtorock eher für »rock out«, »get out«. Ich mochte den Namen immer noch und bin dabei geblieben. Es gab Zeiten, in denen ich mir überlegt habe, den Namen zu ändern, weil Leute meinten: »Du machst ja gar keinen Rock«. Aber jetzt hören die Leute Planningtorock und denken an mich. Also ich habs total…. (überlegt)
Geowned?
(lacht) Ich habe Planningtorock geowned, ja!
»Powerhouse« premiert am 2. August im Rahmen des Impulstanz Festivals. Der Workshop »Shared Practice« mit Jam Rostron und Ian Kaler findet am 27. und 28. Juli statt.