Eine Ausnahme im Rahmenprogramm rund um die Regenbogenparade, bilden die Regenbogenführungen durch die Universität Wien von Andreas Brunner, die vornehmlich auf Geschichtsvermittlung statt Unterhaltung setzen. Wir haben uns mit ihm über die Rolle der Wissenschaft im politischen Kampf und über die Kommerzialisierung der LGBTIQ*-Bewegung unterhalten.
Ein »Pride Concert« in der Orangerie Schönbrunn, eine »Pride Movie Night« und viele viele Partys. Als die Regenbogenparade erstmals unter dem Motto »Sichtbar ’96« veranstaltet wurde, ließ sich nicht erahnen, dass sie etwa 20 Jahre später als Höhepunkt einer zwei Wochen andauernden Veranstaltungsreihe konzipiert werden würde. Auffällig ist, dass das Rahmenprogramm der »Pride Weeks« vor allem auf Unterhaltung setzt. Ein Ausnahme bilden die vom Verein »QWien« initiierten Regenbogenführungen durch die Universität Wien. Historiker Andreas Brunner leitet in seiner Tour durch Wissenschaftsgeschichte und setzt sich mit der Rolle der Universität bei der Fragestellung, wie über queere Menschen in der Vergangenheit und Gegenwart gedacht wird, auseinander.
Diskursort Universität
Was die Universität als Ort für eine Führung prädestiniert, beantwortet Historiker Andreas Brunner damit, dass die Institution auch daran beteiligt ist zu bestimmen, wie ein Diskurs gesellschaftlich geführt wird. Der Universität wird allein deswegen eine wichtige Rolle zuteil, da sie grundsätzlich so etwas wie Leitinstitutionen gesellschaftlicher Ordnung ist. »Universitäten stehen in einem politischen Wechselspiel mit der Gesellschaft, schließlich werden hier Leitlinien der gesellschaftlichen Diskurse entwickelt, diskutiert, propagiert, verworfen und wieder neu aufgenommen.«
Während die Universität Wien dieser Tage vom 11. – 18. Juni am Hauptgebäude Regenbogenflaggen hisst, hat sie geschichtlich gesehen nicht immer emanzipatorischem Charakter für die LGBTIQ*-Bewegung gehabt. Vor allem im 19. Jahrhundert wird ihr Verantwortung zuteil, was die Verfolgung von Homosexuellen betrifft. Wichtige österreichische Persönlichkeiten und Denker, von Richard Krafft-Ebing bis Sigmund Freud, Eugen Steinach und Forensiker, wie Hans Gross, haben festgelegt, was Homosexualität ist, wer Homosexuelle sind, wie sie aussehen und wie sie ticken. Die Diskurse reichten von der Herleitung: dem Widerstreit, ob Homosexualität angeboren oder erlernt sei, was dies hinsichtlich einer möglichen Strafwürdigkeit bedeute, bis zur Frage, welche Heilungsmöglichkeit man sehe. Ein Beispiel in diesem Zusammenhang ist Eugen Steinach, ehemals Endokrinologe an der Wiener Universität, der mit der Transplantation von Hoden experimentierte. Ein gesunder, kräftiger, »heterosexuelle Hoden« sollte einem Schwulen implantiert werden, um einen schwachen, kranken »homosexuellen Hoden« auszugleichen.
Politik vs. Kommerz: Die Regenbogenparade
Die Regenbogenparade steht immer wieder in der Kritik mit den Jahren eine unpolitische Veranstaltung geworden zu sein, auf der lediglich das Feiern im Vordergrund stehe. Brunner, selber Mitbegründer der Regenbogenparade in Wien, kann dieser Kritik nicht vollständig zustimmen: »Der kleinste gemeinsame Nenner, auf den man die Regenbogenparade herunterbrechen kann, ist: Einmal im Jahr gehört die Ringstraße uns, Punkt. Das ist für mich bereits ein politischer Akt.« Zu diskutieren ist seiner Meinung nach aber in jedem Fall, wer teilnimmt. Denn fragwürdig findet er es auch, wenn das »Pride«-Label von Institutionen eingekauft werden kann, die queere Anliegen nur einmal im Jahr zu interessieren scheint. »Ich vermisse vor allem die Förderung von Veranstaltungsideen, die aus der Community kommen. Es fehlt da an Transparenz, wenn es immer nur heißt man solle sich selber um die Finanzierung kümmern, das Sponsorengeld sei für die große Parade da.«
Auch die Frage, ob eine Regenbogenparade ausschließen dürfe, ist für Brunner mit einem klaren »Ja« zu beantworten. Er fragt sich, wieso sollte man nicht jene ausschließen dürfen, die in ihrem Handeln selber das Ausgrenzen anderer Menschen propagieren. Dabei ist nicht ein kompletter Ausschluss von der Parade insofern gemeint, da es jedem Menschen offen stehe zur Parade zu kommen und mitzufeiern. Es geht Brunner in erster Linie darum, bestimmten Menschen nicht auch eine Bühne bieten zu müssen, wie zuletzt beim Life Ball geschehen, als dort FPÖ Gesundheits- und Sozialministerin Beate Hartinger-Klein in einem selbstbeweihräucherndem Auftritt Falschinformationen zu HIV-Testmöglichkeiten verbreitete. »Natürlich werden auch HIV-Positive die soziale Ausgrenzungspolitik dieser Regierung zu spüren bekommen. Den Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen, unter anderem, weil sie ‚positiv‘ sind, keinen Job bekommen, denen wird die Mindestsicherung genauso gestrichen werden. Einer FPÖ-Hardlinerin, wie Hartinger Klein eine Bühne zu geben empfinde ich deswegen als eine Farce.«
Selbstbewusstsein durch Wissen
Seit einigen Jahren gibt es die Gaymap Vienna, es gibt LGBTIQ* Reiseführer und im Internet allgemein zahlreiche Webseiten, die queere Hotspots in Wien auflisten. Was ist also der Mehrwert einer Führung von Andreas Brunner? »Bei mir ist die Information viel dichter. In Gaymaps, Gayguides gibt es sehr knappe, sehr oberflächliche Texte.« Brunner, der bereits selber Stadtreiseführer aus queerer Perspektive geschrieben hat, weiß um, wie Vorgaben vom Verlag und Platzbegrenzung Einfluss auf den Informationsgehalt haben. Eine Führung hingegen, habe immer auch den Vorteil individuell auf die Wissbegierde Teilnehmender einzugehen.
Neben allen politischen Implikationen, die in einem Gespräch über Wissenschaftsgeschichte und über die Schwulen- und Lesbenbewegung mitschwingt, hält Brunner die Weitergabe queerer Geschichte zu guter Letzt auch deswegen für wichtig, da dieses einen Beitrag zur Identitätsbildung leisten kann: »Es geht auch darum erfahrbar zu machen, wie sich Vorurteile und Ablehnung historisch entwickelt haben. Gleichzeitig kann das Wissen um die eigene Geschichte, meines Erachtens, auch zum eigenen Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen beitragen – zu wissen, wenn man sich ausgeschlossen fühlt, dass das nicht eine Situation ist, der man sich ausweglos ausgeliefert fühlen muss, sondern dass es eben auch schon früher Menschen gegeben hat, die gegen diese Ausgrenzung, gegen Verfolgung gekämpft haben und dass das eben auch etwas gebracht hat.«
Die Regenbogenführungen finden am 15.6. in englischer und am 16.6. in deutscher Sprache statt. Für Studierende und SchülerInnen ist die Teilnahme kostenfrei. Nähere Informationen und die Möglichkeit zur Online Anmeldung gibt es hier.
Über QWIEN
»QWien« gibt es offiziell seit 2007. Der Verein »Ecce Homo – Wien ist andersrum« kuratierte im Jahr 2005 eine Ausstellung mit dem Titel »geheimsache: leben. Schwule und Lesben im Wien des 20. Jahrhunderts«. Die erste Großausstellung über die queere Geschichte in Wien umfasste dabei über 700 Objekte. Mit dieser Menge an zusammengetragenen Material stellte sich anschließend die Frage, wie damit weiter umgegangen werden sollte. In Absprache mit dem Kulturamt der Stadt Wien, welches auch die Ausstellung gefördert hatte, kam man zur Übereinkunft, dass es sowas wie ein Schwulen- und Lesbenarchiv auch in Wien geben sollte. Das Zentrum ist seither Archiv und Sammelstelle für alles, was mit der Geschichte von LGBTIQ* zu tun hat – von Flyer, über Plakate, Fachliteratur, internationale Magazine, Belletristik, Pornographie, Kunst und Ausstellungskataloge. Die Materialien können als Basis für wissenschaftliche Arbeiten dienen und stehen vor Ort zur Verfügung. »QWien« ist zudem eine Forschungsinstitution. Ein groß angelegtes Projekt, die namentliche Erfassung aller Homosexuellen- und Transgenderopfer des Nationalsozialismus in Wien, steht kurz vor dem Abschluss. Als dritte Aufgabe widmet man sich bei »QWien« der Vermittlung, wie in diesem Fall den Stadtführungen zu queerer Geschichte.