All Days Are Nights: Songs For Lulu

Das Klavier als Beschützer
Keiner schreibt opernhaftere Popsongs, lange war Popmusik nicht mehr so intelligent. Der 36-jährige US-Kanadier Rufus Wainwright nutzt seine Virtuosität am Piano für eine instrumentale als auch stimmliche Höchstleistung.

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Als Rufus Wainwright im April die Lieder seines aktuellen Albums in der intimen New Yorker Rose Bar erstmals live vorstellte, hatten nur handverlesene Gäste zu der bis zuletzt geheim gehaltenen Veranstaltung Zutritt. Im mit Prominenz gespickten Premierenpublikum konnte man Hollywood-Stars wie Susan Sarandon, Drew Barrymore, Scarlett Johansson und Lucy Liu sowie Rocklegende Lou Reed entdecken. Und sie alle hingen sichtbar gebannt an Wainwrights Lippen, als dieser, nur von sich selbst am Flügel begleitet, seine tief emotionalen neuen Songs vortrug.

Im Gegensatz zum opulent-barocken „Release The Stars“ (2007) gibt es auf dem aktuellen Werk bloß ein Klavier als Begleitung zur Stimme. Erinnerungen an Franz Schubert werden wach, und das ist gewollt. Mit beinahe schon schmerzvoll persönlichen Liedern, in denen er den Tod seiner Mutter und Zwistigkeiten mit seiner Schwester Martha thematisiert oder über die Liebe und die Natur grübelt, erinnert „All Days Are Nights: Songs For Lulu“ an die großen Liederzyklen des 19. Jahrhunderts. Mit jedem Song verbreitet sich ein Stück mehr Melancholie und Nachdenklichkeit. Und mit jedem Piano-Akkord hat man das Gefühl, dem Inneren Wainwrights näher zu kommen.

„Die meisten meiner Platten haben ein durchgehendes Motiv“, erklärt Wainwright. „Auf ‚Want One‘ und ‚Want Two‘ ging es um meine Gesundheit und Mannwerdung. Auf dem Judy-Garland-Album ging es um meine Stimme. In meinem neuen Werk geht es um meine Familie und den Tod meiner Mutter. Dafür erfüllte ich mir den schon lange gehegten Wunsch, mich meiner Vergangenheit als gescheiterter Konzertpianist wieder anzunähern. Mit dem Klavier verbindet mich eine seltsame Geschichte: In meiner Jugend war es wie ein Kokon, ich habe unzählige Stunden genommen, aber nicht genug geübt und nie ein bestimmtes Level überstiegen. Diesen Dämon musste ich packen und meine Gefühle auf diesem Instrument ausdrücken."

Abgerundet wird das Repertoire durch die Schluss-Arie seiner letztes Jahr uraufgeführten Oper „Prima Donna“ und drei der Shakespeare-Sonette, die Wainwright gemeinsam mit Robert Wilson im Vorjahr am Berliner Ensemble präsentierte. Eine spannende Mischung, die vielleicht bei dem einen oder anderen einige Durchläufe braucht, dann aber für alles entschädigt.

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