Magic

Der Boss lässt den Rockmuskel spielen – und den Sehnsuchtsmuskel gleich dazu. „Radio Nowhere“ heißt der Song und eröffnet „Magic“, das neue Album des 58 – jährigen Springsteen, für das er nach dem Post-9/11-Werk „The Rising“ (2002) wieder mit der E-Street Band zur Sache kommt. „I want a thousand guitars / I want pounding drums […]

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Der Boss lässt den Rockmuskel spielen – und den Sehnsuchtsmuskel gleich dazu. „Radio Nowhere“ heißt der Song und eröffnet „Magic“, das neue Album des 58 – jährigen Springsteen, für das er nach dem Post-9/11-Werk „The Rising“ (2002) wieder mit der E-Street Band zur Sache kommt. „I want a thousand guitars / I want pounding drums / I want a million different voices speaking in tongues“ singt er zu einem kompakten, klassischen Rocker, den nicht einmal das parodistisch anmutende Saxophon von Clarence Clemons (ein großer Problembär von „Magic“) kaputt kriegt. „Radio Nowhere“ ist musikalisch nur bedingt, inhaltlich aber durch und durch programmatisch für das Album.

So wie der Song beklagt, dass das Radio als mythischer Rock-’n’-Roll-Ort des Trosts, der Erlösung, der Hoffnung und Kommunikation nicht mehr existiert, weil es in der Wirklichkeit der USA (und nicht nur dort) längst zur kaum verkappten Manipulationsmaschine und verlängerten Zensurbehörde des, nun, wahrhaft Bösen verkommen ist, kann man „Magic“ als ein letztes Beschwören zerschlagener klassischer amerikanischer Träume lesen (die angestammte Kunst des Bruce Springsteen). Träume, die in der Realität der heutigen USA nicht mehr funktionieren, weil ihnen die Träumer abhanden gekommen sind.

Der Vergleich mit „Born in the USA“, dem oft missverstandenen Megaseller aus den 80ern, als die USA (und die Welt) mit Reagan fast so schlimm bedient waren wie heute mit Bush, hat etwas. War aber damals Aufbegehren wie „No Surrender“ möglich, bleibt heute neben Stücken wie „Girls in Their Sommer Clothes“ (und selbst die ziehen an dem Protagonisten des Songs vorüber) oder „Gypsy Biker“ (der nach Hause muss) eigentlich nur mehr Resignation, Wut und Untergang – von „You’ll Be Coming Down“ über „Your Own Worst Enemy“, „Last to Die“ oder „I’ll Work for Your Love“ (weil im Turbo-Kapitalismus ist Liebe Lohnarbeit) bis hin zum Titelstück: „Now there’s a fire down below / But it’s coming up here / So leave everything you know / And carry only what you fear / On the road the sun is sinkin’ low / There’s bodies hanging in the trees / this is what will be, this is what will be.“ Am deutlichsten sagt es Springsteen in „Long Walk Home“: „You know that flag flying over the courthouse / Means certain things are set in stone / Who we are / What we’ll do / And what we won’t“.

Das grundlegende Problem (außer dem Sax) von „Magic“ ist, dass Springsteen und die E-Street Band keine musikalische Sprache finden, die diese mitunter bitteren Wahrheiten und Momentaufnahmen in Musik übersetzen kann. Wo ein Stadionrock für zerbröckelnde, desolate Stadien voller abgerissener, desillusionierter Menschen gefragt wäre, bleiben sie bei ihren angestammten (und meisterlich beherrschten) Leisten. Der großen Kunst des Bruce Springsteen (so man grundsätzlich etwas mit ihm anfangen kann) ist es gedankt, dass man „Magic“ trotz dieser offensichtlichen Widersprüchlichkeit viel hören wird. „Just searchin’ for a world with some soul“.

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