Manfred Rumpl zeigt in diesem Erzählzyklus mit eleganter Leichtigkeit, wie aus selbstkritischer Haltung und klarer Sprache große Literatur selbst aus dem größten Thema der Menschheitsgeschichte entstehen kann.
Anatol Hofer – aus den Romanen »Anatol Hofers Trotz« (1995) und »Murphys Gesetz« (2003) bekanntes, halbfiktives Alter Ego des Autors – blickt mit 50 Jahren zurück auf seine Bildungs-, Arbeits- und vor allem seine wichtigsten Liebesetappen.
Er beginnt mit der ersten Liebe, die den 15-jährigen Pendler vom Dorf in seiner Grazer Schule durchzuckt. Wollte sich bis dahin eine erotische Lust aus Unkenntnis, was mit ihr anzufangen ist, nur selten einstellen, erwachen nun beide aus ihrem Leben und köpfeln ins Erleben, in dem das Herz reines Sinnesorgan ist. Dieses erbebt dann im Schock, als Sonja einer Übersiedelung wegen sich trennt – und Anatol erwacht aus dem Schock anders, als er gewesen war. Und tatsächlich tritt uns in der nächsten Story ein der Wirklichkeit stärker vertrauender Anatol entgegen: Aus der gemeinsamen Wohnung mit Katharina in eine WG gezogen, erhält der Taxi fahrende 28-jährige Literat und Philosophiestudent einen Anruf von Vera. Ihr war es gelungen, seinen besten Freund Toni zu domestizieren und nach Innsbruck wegzuholen, nun will sie den vergrämten Anatol in Graz besuchen.
Rumpl erzählt in spannendem Wechselspiel aus Aufblende einer Wiederbegegnung mit Toni nach dem Zerwürfnis und seelenintimer Beschreibung des Grundes für das Freundschaftsende – das Fremdgehen von Vera mit Anatol. Sie lieben sich intensiv, ehe die Amour fou auffliegt. Er zieht nach Wien, studiert dort weiter und jobbt u.a. als Bühnenarbeiter, sie besucht ihn nicht mehr. Verantwortungslos sei er, wirft sie – die hedonistische Netzwerkerin – ihm vor, ehe sie ihn telefonisch terrorisiert und aus seiner Wohnung Katharinas Briefe als Erpressungsmittel stiehlt. Aus dem sinnlichen Wahnsinn der Liebe ist unsinnliche Besitzsucht geworden … Mit dieser sind es Storys aus der letzten Bohéme-Ära, als Künstler und Philosophen – gerade autodidaktische Außenseiter konnten solche sein – noch kollektiv lotterten in Lokalen wie der Grazer Likörstube oder dem Alt-Wien als Diskursknoten – also lange vor Bobostan samt Zweitheimzentrale Waldviertel. Hofer ist nicht die Personifizierung der Bohème, dazu ist er zu introvertiert und benötigt Rückzug, aber auch das absolute Sich-Fallen-Lassen in Beziehungen. Eine Affäre gefährlicher Art erlebt er mit einer 16-jährigen Nachhilfeschülerin, Virginie, die psychologisch präziseste dieser sechs Storys: Die Macht des weiblichen Elements trifft auf die Brüchigkeit des männlichen.
Rumpl, der Anti-Larmoyante unter Österreichs Literaten, tariert das Resümee seines Alter Ego weise aus zwischen philosophierender Selbstreflexion und sinnesbetörender Beschreibung impulsiver Gefühle. Der Erfahrung aus Leben – etwa in der sexvibrierenden Geschichte »Rochenflügel mit Risotto« – und Lesen verdankt Rumpl sein über Jahrzehnte perfektioniertes Können, lebensechte Literatur zu verfassen. Eine Literatur der Hingabe an ein ganzheitliches Menschsein – einer Hingabe, die Grenzen auslotet, um Harmonie zu suchen in sich: Mensch und Literatur.