Ein Teelöffel Land und Meer

Ein geschwätziger Debütroman über den postrevolutionären Gottesstaat und die lange Tradition der Lüge.

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1981. Zwei Jahre nach der islamischen Revolution, der Iran hat Kratzer und blutunterlaufene Flecken bekommen. Natürlich weiß man von Menschenrechtsverletzungen und absurden Verboten, aber wieviel fand von diesen heiklen Themen bisher Ansprache in der erzählenden Literatur? Dina Nayeri wurde in das Land geboren, das nach dem Sturz des Schahs zu einem islamischen Gottesstaates wurde, der die persischen Frauen in Fesseln legt. Die Autorin hat davon nicht viel mitbekommen, flüchtete sich doch schon als 10-Jährige mit ihrer Familie in die USA. Gerade deshalb schwirrte in ihrem Kopf das Was-wäre-Wenn. Sie begann sich zu fragen, wie ihr Leben im Iran ausgesehen hätte. Die Antwort sucht sie ganz typisch für Persien in einer Geschichte, oder eher einem Teppich aus vielen Geschichten.

Poetisch wie der Titel klingen auch die 517 weiteren Seiten über das Mädchen Saba, deren Erinnerungen an Mutter und Zwillingsschwester Mahtab mit dem todesnahen Schock im kaspischen Meer versunken sind. Auch an die Auseinandersetzungen zwischen der Pro-Haar-Regierung und der Pro-Kopftuch-Regierung erinnert sie sich nur noch schemenhaft. Das Leben des Mädchens ist geprägt von emanzipierter geheim-christlicher Erziehung und der ultrakonservativen Brutalität des postrevolutionären Iran.

Je älter sie wird, desto mehr schnürt ihr das Leben in dem Gottesstaat die Kehle zu. Ihr Traum ist es aus dem strengen skrupellosen und scheinbar willkürlich gewalttätigen Regime zu fliehen. Aus Angst sich den strengen Sitten zu widersetzen, verlagerte sie den ihren Mut auf den Zwilling und projiziert ihre Hoffnungen auf ein klischeehaft erträumtes Amerika.

Mahtabs Leben stellt sie sich westlichen TV-Serien ähnlich in einzelnen Folgen vor. Und so geht es auf jeder Ebene des Buches um den Lügengehalt: der findet sich in der langen Tradition alter persischer Geschichten, im Journalismus oder in den verlogenen Highschool-Soaps. Dina Nayeri verflicht die Fäden aller gesponnenen Geschichten zu einem kostbaren Teppich. Der Kulturkontrast zu Amerika wird zwar haarscharf ausgereizt, umschreibt aber vielleicht doch das falsche Bild, dass ein ferner iraner Dorfbewohner vom American Dream damals hatte. Zudem betont die Autorin im Anhang: „Diese Geschichte ist mein Traum vom Iran, den ich aus der Ferne erschaffen habe, so wie Saba sich ein Amerika für ihre Schwester erträumt.“ Persische Ausdrücke werden wie Zauberstaub über alte Traditionen und Sitten gestreut. Gekonnt werden achronisch verschiedenen Perspektiven gezeigt und dem Leser suggeriert, dass er als stiller Beobachter vor Ort ist. Das Extra: Den Soundtrack von Sabas Leben kann man sich auf Spotify unter Sabas Songs anhören.

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