Zurückhaltende Gitarren, Piano, durchgemergelte 8-Bit-Rhythmen, entspannter R’n’B – und über allem zerbrechlicher Falsettgesang. Ásgeir traut sich drüber, über die ins Englische übersetzte Version seines Debüts. Großartig!
Bereits eine halbe Stunde vor der Öffnung bildet sich eine ansehnliche Menge bestehend aus Musikjournalisten, Label-Menschen und ja, auch neugierigen Reeperbahn-Festival-Besuchern vor dem Hamburger Imperial Theater.
Anlass ist das Konzert eines 21-jährigen Isländers, dessen Debütalbum mit dem einprägsamen Namen "Dýrð í dauðaþögn", anscheinend jeder Zehnte auf seiner Heimatinsel besitzt: Ásgeir Trausti, der im September noch unter diesem Namen auftritt, wenige Wochen später nur noch Ásgeir genannt werden will. Grund für den Bruch ist die Entscheidung, die Songs ins Englische zu übersetzen und das Album erneut zu veröffentlichen. Das mag vielleicht ein etwas berechnender Zug seines Labels sein, hat aber den Vorteil, dass auch Menschen, die Isländisch und den der Sprache innenwohnenden Zauber als unverständliches Elfen-Gebrabbel abtun, jetzt erst mal die Argumentationsbasis genommen wird. Gut soweit.
Beim ersten Hören drängen sich sofort Ásgeirs musikalische Seelenverwandtschaften ins Bild – Bon Iver etwa. Anscheinend hält es der Isländer mit den Einflüssen ähnlich wie Oscar Wilde (oder neuer: Tocotronic). So erfindet Ásgeir auf seinem Album nicht wirklich etwas neu. Er pickt sich stilsicher die berührendsten Elemente heraus, würfelt sie erneut zusammen und pappt dann den Trausti-Stempel drauf: Da dürfen sich mit Elektronikspielereien durchgemergelte 8-Bit-Rhythmen an zurückgelehnten R’n’B-Stücken stoßen. Über allem schwebt der zerbrechliche Falsettgesang des, mit sich selbst rangelnden Trausti, der sich während Konzerten eben nicht traut ins Publikum zu schauen. Bei manchen Bands mag diese Geste zur reinen Pose verkommen, bei Trausti wirkt es echt und ehrlich.
Die Songs türmen sich derweil unermüdlich auf, lösen so angenehme Gänsehautwellen aus. Kurz bevor jedoch alles in Kitsch zu zergehen droht, werden die verkrusteten Kalkschichten, die manchmal unseren wichtigsten Muskel zieren, pulverisiert und von der bitteren Erkenntnis zersetzt: Leidenschaft ist nun mal unbarmherzig. Großartig umrahmt von zurückhaltenden Gitarren und Piano.
Trotz der Übersetzung der (hauptsächlich) von Ásgeirs Vater stammenden Texte – unter Mithilfe von John Grant – verlieren die Songs kaum etwas von ihrer Schönheit, die sich eben nicht nur aus Unverständlichkeit nährt. "In The Silence" erzeugt eine fesselnde Leere, in die man sich immer und immer wieder fallen lassen will – am besten in der U-Bahn, auf dem Weg zum nächsten Glühweinstand, während man sich zwischen den warmen Winterjacken versteckt und Ásgeir schluchzend ins Herz schließt. Ganz fest.