Just To Feel Anything

Die Emeralds bieten eine ideale Projektionsfläche, eine endlose Neustartschleife. Noch dazu bündeln sie einige der zentralen Ideen von heute in ihrer Musik.

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Vor einem Jahr blickten die Kinder der »Midnight City« im gleichnamigen M83-Video in eine ungewisse und blass schillernde Zukunft, standen im Zentrum der Tabula Rasa, an einem Neuanfang, vor einem Aufbruch ins Ungewisse, um sie die strahlende Nacht. Die Töne dazu waren vertraut und standen in einer eigenartigen Spannung zur Unruhe der Bilder. Andere Videos zündeten Leuchtfeuer, Signallampen zur Orientierung, Menschen vermummten sich darin oder inszenierten namenlose Aufstände.

Letztes Jahr, da war die Chillwave zerbrochen, aber schlafwandlerisch in Hauntologic Pop übergegangen. Das Spiel mit den Geistern der Vergangenheit war also noch nicht vorüber. Girls, Yuck, Deerhunter und natürlich Lana Del Rey fanden jeweils eigene Sounds für die Träume vom Gestern. Zum Glück waren da aber auch noch Künstler, die das Wort Retro von jedem muffigen Beigeschmack befreiten. Sie spiegelten den Sound des Kapitalismus gegen sich selbst, seine Zeichen und Symbole, sie verarbeiteten sie, transzendierten sie und schufen daraus großartige Musik, und ja, damit auch Kunst – James Ferraro, Destroyer, Oneohtrix Point Never und Oval gleichermaßen. Die Leitbegriffe der beginnenden Zehner Jahren waren hier besonders einleuchtend hörbar: Marktversagen, Gedächtnis und Wiederaufbau.

Auch die Emeralds übersetzen Zeitgeist in aufregende Töne. »Just To Feel Anything« fängt die von Nostalgie besoffenen Tage ganz heißkalt ein, ihre Nervosität, ihre Risse und Dissonanzen, Angst und Magie, nur um irgendetwas zu fühlen, wie die Band das im Albumtitel ausdrückt. Ihre weichen Synths, gefühligen Gitarren-Soli, Arpeggios, kühle Ambientflächen und drahtigen Beats, all das muss man wohl irgendwie postironisch sehen – eine Haltung, über die zwar sehr viel geschwafelt wird, aber die man selten genug irgendwo wirklich finden kann. Hier bitte. Es sind Sounds und Melodien, in denen man nicht mehr daheim ist, die aber ihre Bedeutung trotzdem nicht verloren haben. Dass die 80er gar nicht so total cool waren wie viele glauben möchten, das muss man für das Trio aus der trostlosen Industriebrache Cleveland, Ohio sicher nicht wiederholen. Stattdessen fühlt man sich in den sieben überlangen Tracks geborgen und gestrandet zugleich. Aber wie.

PS: Diese Review ist ein Plagiat der Review zu Memory Tapes »Grace/ Confusion« hier.

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