Monomania

Eine tolle, irre, verwirrende Platte über Musik selbst, ihre Möglichkeiten, ihre Geschichte, ihre losen Enden. Genauer, Alternative Rock.

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Aufs Erste riecht es nach Urin, nach feuchter Kälte und billigen Teppichen, in denen schon unzählige Male Bier und Whisky aufgetrocknet ist. Nächtlichen Garagenrock nennt Chef-Songschreiber Bradford Cox diese neue Note in Deerhunters Sound. So klingen Deerhunter jetzt etwas krachiger und ungehobelter, quengeliger. Was aber andere Bands machen, um sich aus einer Sackgasse freizukämpfen, indem sie sich von Zeiten, Orten und ihrem Sound inspirieren lassen, das machen Deerhunter, weil sie es können. So, als würde es zum Konzept gehören, mit jedem Album auf immer neue Facetten derselben Sache zu fokussieren, ihre Hommage an das große amerikanische Songbuch nämlich. Mit ihrem sechsten Album wirken Deerhunter, als würden sie sich vor allem mit anderen Bands über Fernschaltung austauschen, darüber, was hätte sein können und was noch möglich ist, wenn die Röhrenverstärker leise brummen, wenn das Echo kurz zurückschnappt, wenn die analoge Verzerrung einsetzt. Pavement, Strokes, Nirvana, R.E.M., Lou Reed – dazwischen und daneben setzen Deerhunter ihre Songs, die Cox wie besessen schreibt, oder deren unveröffentlichte Splitter er einfach mal in Gigabytes ins Netz stellt. In Interviews sagt Cox, dass er asexuell ist, kein soziales Leben hat, nur Musik. Und die, scheint’s, ist dazu da, um all diese wüst klingenden Pillen zu kosten und immer wieder neue anzumischen.

»Monomania« ist sicher kein gutes Weihnachtsgeschenk für Mama und auch keine wilde Punkrock-Party. Eher sollte man einen an der Waffel haben. Oder sich darüber freuen können, wenn Songs »Leather Jacket II« heißen, wenn aus fast kindischem Maschinenlärm ein Refrainmonster steigt, wenn 20 Sekunden lang ein Motorrad röhrt – egal, ob einen das nun an Musique Concrète, Heroin, dunkle Sonnenbrillen oder Filme aus den 50ern erinnert. »Monomania« ist voll von solchen Momenten, da spricht jemand nicht einfach nur eine Sprache, er meistert sie und spielt damit. Und damit – man sagt es ungern vorschnell – ist der Korpus von Cox’ Songs mit Deerhunter und Atlas Sound über die Jahre selbst zu einem der ergiebigsten Trümmerhaufen der US-Rockmusik geworden. Um sich davon zu überzeugen, muss man nicht bei »Monomania« einsteigen, aber es hilft.

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