Pull My Hair Back

Hitze, Kälte, Elektrizität – Jessy Lanza atmet und flüstert schwer, während äußerst präzise gesetzte, rhythmische und emotionale Moleküle miteinander reagieren und immer wieder Energiestöße freisetzen.

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Jessy Lanza zieht sich die Haare nach hinten. Oder werden ihr die Haare nach hinten gezogen? Egal. Sie zieht so oder so Nackenhärchen in die Höhe. Nenn es ruhig Magie. Oder fremdartige Schauer von Emotionen, die langsam an der Haut entlang perlen. Im Titeltrack ihres Debüts gibt sie keinen feuchten Dreck, was ihr Schatz tut, ob ihr Baby sie betrügt. So ganz genau versteht man es nicht, akustisch. Schließlich singt Jessy Lanza in den obersten Registern, seufzt, kiekst und wispert, elektrisierend, auch elegant. Früher hätte man das abschätzig Säuseln genannt. Mariah, Aaliyah und noch ein paar dramatische Ladies mit stummem H hatten den koloraturreichen Gesangsstil in den 90ern perfektioniert. Und jetzt Lanzah. Bei ihr bleiben von diesen aufwendigen Ausschmückungen vor allem viel Atem übrig und zartestes Flüstern. Im kühlen Ambiente von zart pulsierenden Bässen und zirpenden Synths, die äußerst präzise gesetzt werden, strahlt ihre erhitzte Stimme noch viel intensiver.

Und irgendwoher könnte man diesen inneren Kontrast kennen. Der Einfluss Jeremy Greenspans von den Junior Boys ist gar nicht so schwer auszumachen, vor allem an ein paar Synthsounds und Arpeggi. Das kanadische Duo hatte sich nach spätestens drei übertrieben stringenten Alben ein wenig tot gelaufen. Viel wichtiger aber ist das, was Jessy Lanza selbst vorgibt. Und das ist Groove, Soul, Sensibilität und Sensitivität. Sowie eine Reihe von subtilen Einflüssen aus den verschiedensten Kammern und Amphoren des großen Popmusikhauses, die vorsichtig und äußerst präzise in ihre Songs gewoben sind. Es wird dennoch interessant zu beobachten sein, wie die Zusammenarbeit der Newcomerin mit dem alten Bären öffentlich dargestellt werden wird, fällt der Release doch in eine Zeit, in der gerade heftig über den weit verbreiteten Chauvinismus in elektronischer Musik diskutiert wird. Lanzas Label Hyperdub ist dabei eines der wenigen, auf denen mit Laurel Halo, Cooly G, Ikonika und DVA Frauen zumindest nicht peinlich unterrepräsentiert sind. Der Guardian schert sich darum wenig und hat bereits das Jahr der Ladies ausgerufen, weil es so viel starken, ätherischen R’n’B geben würde. Jessy Lanzas Debüt ist darin sicher ein Höhepunkt.

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