Die Wahllondoner schaben die vergilbte Patina von der Country-Soul Fassade und versuchen sich mithilfe von in Sonnenstrahlen getränkten, erdigen Melodiefarben an einer Restauration.
Natürlich ist das von den Treetop Flyers abgesteckte Klang-Feld kein wirklich neues – Bands wie The Coral, My Morning Jacket oder eben auch die Fleet Foxes bestellen dort seit Jahren ihre Songs. Innovation scheint also nicht der maßgebliche Treiber der jungen Londoner Formation zu sein. Wer semi-avantgardistische Produkte sucht, wird hier also nicht fündig werden. Die Band vertritt unmittelbarere Ansätze: die Ausfransung von Harmonien, das Wechselspiel von Dynamik und die Überhöhung mächtiger, gewaltiger Refrains. Dies tun sie, so viel sei gesagt, auf erheiternd, frische Art und mit einer Selbstverständlichkeit, die derzeit ihresgleichen sucht.
Die Treetop Flyers, der Name ist dem Stephen Stills Song „Treetop Flyer“ entlehnt, versuchen mit ihrem Debüt nichts Geringeres, als in unserer durchdigitalisierten Leistungsgesellschaft, die sich permanent selbst zu überholen droht, elf Fluchtpunkte zu verankern, die dem Prinzip Entschleunigung folgen (We all need to slow down / there is no rush). Im Hinblick auf die soeben verstrichene Poolinale, hätte wohl kaum eine Band, vorausgesetzt es wäre noch Platz gewesen, besser in das sich fortbewegende, retrospektivische Treibhaus namens Big Easy Express gepasst, als die fünf Neo-Folker. Die Idee ist nicht so weit hergeholt – waren sie doch eine der ersten Bands, die beim damals frisch gegründeten Label Ben Lovetts (Mumford & Sons), Communion Records, unterkamen.
Das Debüt wurde, wie könnte es auch anders sein, in den kalifornischen Canyons aufgenommen. Darauf vermengen die Treetop Flyers unzählige Stilmittel guten Songwritings und erleichtern einem somit das Eintauchen und Abdriften erheblich: Stoisch geschlagene Gitarrenakkorde, skandierende Vier-Klang-Harmonien und dunkle, repetitive Textpassagen. Bereits der erste Song „Things Will Change“, mit seiner Serotonin-induzierenden Melodie und einem Riff, das sich bei den Mystery Jets bedient, vereinnahmt sofort. Gräbt man sich weiter in den Berg „Mountain Sounds“ hinein, so stößt man ziemlich genau in der Mitte auf den Monolithen, der das Fundament des Gesamtwerks bildet: „Haunted House“, ein epochal erzählter Patchwork-Song, bestehend aus sämtlichen Sound-Elementen, die die fünf Londoner verwerten, demonstriert deren einnehmendsten Fähigkeiten: Präzis eingesetzte Pausen, Aufmerksamkeit im richtigen Moment auf die äußerst akkurat gespielten Gitarren lenken und imprägnierenden Mehr-Stimmen-Männergesangs gekonnt platzieren.
Augenscheinlich erklärtes Ziel der Band: Ganzkörper-Gänsehaut evozieren. Obwohl textlich ab und zu etwas schwammig („Maybe we should / maybe we could“), produzieren die Wahl-Londoner zahlreiche Wohlfühlsongs, die lang ersehnte Sonnenuntergänge am imaginierten Lagerfeuer herbeimusizieren um schließlich vollends in Gemütlichkeit zu zergehen. Spätestens nachdem man sich zum wiederholten Male dabei erwischt hat in rhythmischer Ekstase das Lufttambourin zu bearbeiten, sollte man sich und dem Album jedoch mal eine Pause gönnen. Nichtsdestotrotz legen die Newcomer ein wahrhaft prächtig-schimmerndes Sommeralben vor, das den Weg in viele iPod-Kopfhörer finden wird. Sei es auch nur, um in diesen kurzen Zeitfenstern zwischen Shareholder-Value-Meetings oder samstäglichen Blockveranstaltungen die letzten Sonnenstrahlen der amerikanischen Westküste auf dem Gesicht zu spüren.