The Suburbs

Zeitgeist statt Zauber
Die 16 vielseitigen Songs des neuen Albums „The Suburbs“ überzeugen musikalisch nicht ganz. Inhaltlich aber allemal.

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Wo ist der Zauber? Wo sind die Hymnen? Wo ist das Pathos? Wo ist Fähigkeit, mit Musik das gesamte Spektrum an Gefühlen der Kategorie wünschenswert auszulösen? Beim ersten Mal durchhören des neuen Albums vermisst man fast alles, was Arcade Fire im Nachhinein betrachtet zur wegweisendsten Band des letzten Jahrzehnts gemacht hat („Neighborhood #2“ „Laïka“, „Wake Up“, „Rebellion/Lies“). Musikalisch ist „The Suburbs“ sehr heterogen ausgefallen. Das Album ist abwechslungsreich; fast so, als würde eine Band, die es seit Jahrzehnten gibt und sich sehr oft neu erfunden hat, ihr Gesamtwerk auf eine Best Of-Platte pressen. „The Suburbs“ ist energetisch („Month of May“), verspielt („Rococo“), befremdend (der Synthesizer in „Sprawl II“), zwischendurch auch ganz einfach brilliant („Suburban War“) aber fast immer ein Rockalbum, bei dem der Funke nicht und nicht überspringen will.

Die Erwartungen, die sich in den letzten drei Jahren an die Musiker rund um das Ehepaar Regine Chassagne und Win Butler aufgestaut haben waren enorm hoch, selbst wenn die Band behauptet, davon nichts mitbekommen zu haben. Butler und Chassagne haben ihre Heimatstadt Montreal verlassen um Butlers Orte der Kindheit in The Woodlands zu besuchen, einem Vorort von Houston, Texas. „The Suburbs“ ist voll mit Kindheitserinnerungen und den Gefühlen, die damit in Zusammenhang stehen. Butler vertont seinen Roadtrip von Montreal nach Texas, erzählt von einsamen Tagen, einstürzenden 1970er-Jahre-Bauten und der unerträglichen Langeweile. Es geht hier aber um mehr, als voller Melancholie auf die eigene Kindheit zurückzublicken. „The Suburbs“ beschreibt das kleinbürgerliche und entsetzlich monotone Leben in den westlichen Vororten – ein Leben, das vor Einsamkeit, Sinnlosigkeit und Ignoranz nur so trieft. Die westlich-kapitalisitische Welt hat das namenlose Leben in den Vororten ausgespuckt. Die Texte beschreiben den Vorort als Sinnbild für das austauschbare Leben in der Moderne und das, woran man sich selbst später noch erinnern können wird. Gemessen an „Funeral“ und „Neon Bible“ mag es sein, dass musikalisch Dringlichkeit, Pathos und Zauber verloren gegangen sind. Aber Butler hat seine Vergangenheit ausgegraben, sie in die Gegenwart geholt und beschreibt ein Stück Zeitgeist. Damit treten Arcade Fire an, die wegweisendste Band zu bleiben. Zumindest inhaltlich.

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