Beachtliche Herbst-/Wintersaison im deutschsprachigen Pop: Ja, Panik werden mit jedem Hören immer noch besser, die Goldenen Zitronen sind voll auf der Höhe ihrer Kunst, und ganz zu verachten ist selbst Jochen Distelmeyers Solodebüt nicht. Am 22. Jänner erscheint dazu noch das neunte Album der 1993 gegründeten Tocotronic.
Schon der Titel »Schall & Wahn« (Shakespeare via Faulkner) signalisiert, dass die Hamburger Band mit Produzent Moses Schneider weiter von jenem hohen künstlerischen Plateau aus agiert, auf dem sie – ohne frühere Errungenschaften schmälern zu wollen – seit »Pure Vernunft darf niemals siegen« aus dem Jahr 2005 (inklusive »Aber hier leben, nein danke«) verblüfft und begeistert. Das sind zwölf sehr, sehr eindrucksvolle Songs, die Tocotronic hier vorlegen. Eine gewachsene, selbstverständliche Rockmusik, die viel sagt und umfassend herzensgebildet ist, den Hörer deswegen ganz unmittelbar berührt. Die Namen der Stücke sind Versprechen, die eingelöst werden.
So sehr, dass man sich nach dem achtminütigen Opener »Eure Liebe tötet mich«, dem krachenden »Ein leiser Hauch von Terror«, dem umwerfenden »Die Folter endet nie« (»Eine Lanze für den Widerstand / Ein Tusch vertreibt Polemik«), dem opulenten »Das Blut an meinen Händen« (Streicher galore!) und dem unglaublichen »Macht es nicht selbst« (»Was du auch machst / Mach es nicht selbst«) fast fürchtet weiterzuhören – was soll denn da noch nachkommen? Doch so wie Dirk von Lowtzow als Sänger und Texter den souveränen, einzigartigen Tonfall durchhält, fällt der Band Tocotronic immer noch etwas ein. Leichtes (»Bitte oszillieren Sie«) und Schweres, intellektueller Schalk und künstlerischer Ernst fügen sich hier so begeisternd und viele Entdeckungen bergend ineinander, dass einem am Ende – wenn sich mit dem abermals achtminütigen »Gift« tatsächlich ein Kreis schließt – nur noch »Meisterwerk!« auszurufen bleibt. So gut ist dieses neue Tocotronic-Album!