Violet Cries

Nimmermehr
Esben And The Witch baden in dunklem Symbolismus. Ihr Nightmare Pop ist trotz Klischee-Verdacht stimmig und magnetisch.

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Die alten Gefühle müssen raus. Dieses Trio aus Brighton knüpft dort die Fäden der Nornen weiter, wo Zola Jesus, Soap & Skin und eventuell The XX und die Crystal Castles ihre dunkle Stahlwolle ausgerollt haben. Sie alle sind dem Debüt von Esben And The Witch überlegen, weil sie mehr Verbindungen und Bedeutungen offen ließen, uneindeutiger waren. Das südenglische Trio gefällt sich auf »Violet Cries« zu gut im kalten Zischen der Zwischenwelt, in der Pose vom Leben in der geworfenen, nackten Existenz. Im Video von »Marching Song« stehen sie etwa entblößt vor der Kamera, stellen sich in die Blicke des Publikums: Nein, wir erzählen euch keine Geschichten, sondern etwas vom Leben da draußen und das ist kalt und unbarmherzig, eine Flutkatastrophe jagt die nächste, Unruhen, Aufstand, Entropie – über solche Dinge reden sie zumindest in Interviews. Auf dem Album übersetzen sie ihre Gegenwart, die nicht gerade überfüllt mit Gelassenheit und Aufbruchsstimmung ist, in literarischere Bilder.

»Nightmare Pop« hat die Band das selbst genannt. Nur um dann das alte Rein-Raus-Spiel zu spielen – nämlich in späteren Interviews zu einem Begriff, den man sogar selbst aufgebracht hat, auf Distanz zu gehen. „Nightmare Pop“ wäre eigentlich gut gewählt. Schlamm, Dreck, Dunkelheit, oh steh uns bei, Krankheiten mit obskuren Namen, finstere Literatur und Symbolismus von William Blake, das ist der Stoff, den das Trio ausschenkt. Da. Hör’s. Verschluck’s. Selbst der Bandname kommt von einem ziemlich unwirtlichen dänischen Märchen voll mit Kindsmord. Geisterhafte Gitarren durchziehen »Violet Cries«, weitläufige, aber kontrollierte Echos schimmern im kalten Windhauch, verzerrte Dissonanzen, verminderte Akkorde machen das Album nicht bekömmlicher. Das erinnert mitunter an Katastrophen-Voyeurismus. Ja, bald ist alles aus, Zombies werden durch die Straßen stolpern und nicht wissen wohin mit ihren ausgemergelten Körpern. Geil. Aber das war’s. Einen Ausweg deuten Esben And The Witch höchstens undeutlich an.

Mit ihrem Klang der emotionalen Vereisung schafften es Esben And The Witch bereits auf die Hotlists der BBC und der Q Awards. Die Wunschlisten der Musikindustrie blieben allerdings schon einige Mal unerfüllt. Von »Violet Cries« bleiben die einzelnen Songs weniger im Ohr als die Grundstimmung des Albums. Musik als ein Welttheater aus Angst ist selbst 2010 wohl nicht mehrheitsfähig, zieht aber in etwa so an, wie auch eine alte Gaslampe Motten anzieht, wenn schon sonst kein Licht in der Nacht schimmert.

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