Wakin On A Pretty Daze

Wenn man sich so unverschämt bei Neil Young, CCR und Nick Drake bedient, muss man schon Kurt Vile heißen.

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Was muss dieser Kurt nicht für eine Sehnsucht haben. Kurt Viles Wohnsitz Philadelphia mag doch die immerhin sechsgrößte Stadt in den Vereinigten Staaten sein, trotzdem verdanken sich diese ausufernden Songs der Vorstellung von zeitlosen Stunden im ländlichen Herzen der Landes, hunderte Kilometer weit entfernt. Heartland Rock steht da bei Kurt Vile treffend auf Wikipedia. Drüben, am anderen Ende des Kontinents, schlug in San Francisco Sun Kil Moon vor fünf Jahren einen ähnlichen Weg ein, folkiger zwar, aber ebenfalls mit weichen, überlangen Songs, die mehr feinstoffliche Stimmung waren als eine bestimmte, wiederkehrende Melodie. Das fünfte Album von Kurt Vile macht dabei kaum etwas anders als der von NME, Popmatters und Spin gefeierte Vorgänger. Warpaint und Royal Trux sind Studiogäste, Street-Artist Steve Power aka ESPO hat das Cover gestaltet.

»Wakin On A Pretty Daze« bewegt sich im Delta von US-Mythen, ihrem Zitat und ihrer psychedelischen Verfremdung. »KV Crimes« schlägt zu einem abgebremsten Heavy Rock Muckerriff noch halbironisch auf die Kuhglocke, während sich »Goldtone« mit seidigem Chor, opaker Pedal Steel und golden glänzendem Vibraphon über zehn Minuten lang zerdehnt, wie es Lambchop in den besten Zeiten nicht besser konnten, bis sich am Ende lichte Gitarren in die Richtung Unendlichkeit aufzwirbeln. Durch diese innere Spannung wirkt das Album gleichzeitig im Heute daheim und wie durch Schichten aus dünnem Milchglas gebrochen, wirkt wach und im selben Moment doch wo anders, wie in einem Tagtraum. Ja, solche Zwischenzustände des menschlichen Bewusstseins waren in den letzten Jahren sehr oft hermeneutische Krücken für die Poptheorie. Traum und Schlafwandeln in Chillwave und Dream Pop, Einschlafen in hypnagogischem Pop, REM-Phasen überall. Im Unterschied zu diesen sind Tagträume steuerbar. Schon bei Rousseau können Erinnerung und Ekstase in ihnen zusammenfallen, bei Freud sind sie Vorstufen hysterischer Symptome. Kurt Vile verdichtet nichts weniger als das und fängt dabei milde Atmosphären ein, die das Kunststück schaffen, im selben Atemzug besonnen und fantastisch zu sein.

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