We all yell

Im Schatten von Giantree – Giantree kleiden auf ihrem Debüt die Selbstzweifel in optimistische Melodien. Die wohlige Synthiemelancholia ist ein Indie-Pop-Versprechen, das am liebsten bis auf die ganz großen Festivalbühnen will.

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Auf einem ihrer Promobilder stehen die fünf Bandmitglieder in einem dunklen Raum, einer Baustelle ähnlich. Die Gegenlichtaufnahme lässt das Licht wie eine Erleuchtung in den Raum fluten. Hier zwischen Licht und Dunkel verankert sich auch die dazu gehörige Musik. Während sie außerordentlich professionell ausfällt, werden textlich eher bruchstückhaft Erinnerungen aus der Vergangenheit verarbeitet. Von der üblichen Problem-Überwindungs-Suderei wird aber Abstand gehalten.

Giantree sind aus den Ruinen von Sirupop erstanden, einer Band, die ihren Ö3-Stempel nicht mehr los bekam. Von Ö3-Sympathien will man bewusst sehr großen Abstand halten. Das macht “We all yell” sofort klar. Dass das nicht über den Lo-Fi-Weg führen muss, ist ein Segen und gleichzeitig perfektionierter Pop, der nicht durch Seichte ins Ohr geht. Sie schaffen es nicht dilettantisch zu klingen und auch nicht auf die Kitschspur rüber zu schlittern. Der Grad ist schmaler als man denken würde. Mit Liebe zum Detail wirkt jedes Stück ausgefeilt. Den Fehler zu geschliffen und aufgehübscht zu klingen, hat man dennoch routiniert umfahren. Ambitioniert und geschliffen auf einem Niveau, das Debütalben selten erklimmen, schlängeln sich 12 Songs wie 12 verschiedene Monate durch ein Jahr mit den unterschiedlichsten musikalischen Wetterbedingungen. Das Spektrum reicht von sanften, aber präzisen Klavier-Parts, über wuchtige Drums, das Geraune von Placebos Brian Molko, expressive Gitarren-Schlieren bis zu energetischen Mid-Tempo-Glocken (etwa in “Time Loops“). Bei Giantree sind jegliche Melancholie und Unglücksfälle, die das Leben so mit sich bringt, getragen von optimistischen Melodien. An der Schwelle von Abschiednehmen und Neuanfang geben sich zerbrechliches Kleinformat und dicht gewobene Hymnen die Klinke in die Hand. Eines haben sie alle gemein: Sie treffen, jeder auf seine Weise mitten ins Herz. Nicht nach dem zehnten Mal hören, sondern nach wenigen Takten. In impressionistischer Tupftechnik weicht der Nebel dem Sonnenschein. Eine Tageszeitlosigkeit, die große Bands wie Arcade Fire versprühen, verbreitet sich auch auf dem Debüt von Giantree. Trotz aller himmelhohen Momente und berauschter Ringelreihen wohnen Giantree stets Selbstzweifel und zweischneidige Erinnerungen inne. Denn wo kalifornische Sonne ist, findet sich auch der Schatten der Riesenmammutbäume.

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