Psychokartographie
Fragen im Schnabel der Brieftaube: Plakativ und penetrant, fordernd und erhellend stellt Thomas Meyer 48 Fragen auf bunten Postkarten
Die Postkarte hat den Höhepunkt ihres Produktlebenszyklus schon hinter sich. Man liest auf ihr von sonniger Urlaubslaune und über sie in Zeitungen skurrile Geschichten von der Ankunft nach verschollenen Jahren. In der Kürze liegt die Würze könnte man glauben und dass dieses Format so manchem ein besonders kreatives Schreiben entlocken würde, doch gerade die Postkarte verkam zum Medium der Floskelhaftigkeit. Beziehungsweise: Sie wurde ja sowieso überrollt von der Online-Fraktion. Beim Schweizer Salis Verlag kam unlängst zwischen den Büchern ein Päckchen bunter Postkarten ins Verlagsprogramm. Geschaffen vom Schriftsteller Thomas Meyer, bündelt es 48 Fragen an das Selbst. In höflicher Anredeform steht dann auf grellgrünem Untergrund “Wer würde sich über Ihren Tod freuen?” oder “Wozu fehlt Ihnen schlicht der Mut?” (Auf Pink geschrieben), “Welchem Alter entsprechend verhalten Sie sich?”
“Sind sie ein guter Mensch? Seit wann?”
Schon seit 2007 stellte er in Zürich auf Aufklebern Fragen dieser Art. Erst zwei Jahre später outete er sich als Grübler hinter der Aktion für ein kluges Zürich. Das große Echo darauf stichelt den inneren Werbetexter in Thomas Meyer an. Dieser sagt: „Mache etwas Intelligentes und Auffälliges, und du benötigst kein Riesenbudget, um in der ganzen Stadt Aufmerksamkeit zu erregen.“ Eines Tages hat Meyer jedenfalls begonnen die Fragen, die ihm durch den Kopf schwirrten, aufzuschreiben. Ohne Absicht, aus reinem Interesse. Bei 200 fragte er sich nach dem Zweck und so wurden Sticker für die Heimat statt daraus. Schreiben wir also wieder mehr Postkarten mit Nachdenklichkeit und Neugierde. Mögen die Weltenbürger reflektierter werden, freilich ohne sich dabei nur mit sich selbst zu beschäftigen.
