Wohin die verschwunden sind, um die es ohnehin nicht geht

Gewaltkitze im Sprachaufstand

In seinem dritten Buch rast der 30-jährige Grazer Literaturszenemotor durch die Tyrannei der Nichtbefriedigung diffuser Lebens- und Liebesziele.

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Um die es in Schmitzers drehbuchartiger Doppelerzählung primär geht, sind ein Zeichenlehrer und sein 17-jähriger Schüler Sam. Der im Titel als zweitrangig angedeuteten Frau wird denn auch nur das kürzere, auf den Buchkopf gestellte Parallelgleis der Geschichte gewährt. Von der Kleinstadt bald angeödet, bezieht sie ihren Lebenskitzel aus dem „one-on-one“ der von ihr provozierten Schlägereien und dem Sex mit dem Sieger. Nach Wien abgehauen, kellnert sie und schafft mit einem Trennungsakt die Urszene der Hauptgeschichte: Ein Künstler und ein Schafhirt prügeln sie von ihrem Ungeliebten los und erleben zum Dank einen Dreier. Während erster in Richtung Nimmerwiedersehen abgeht und seine Berufung gegen frustrierende Teilzeitjobs als Zeichenlehrer und Galerieaufseher eintauscht, bezieht die schwangere 17-Jährige mit dem Ex-Hirten und Tontechniker Erich ein Stadtrandhaus. Drei Jahre später wird sie ihr Kind Sam und Erich sitzen lassen, einen Sommer lang Acidtrips am Hochhausdach einwerfen, zu einem Sprengmeister ziehen, mit einer Verkäuferin übergriffige Männer niederschlagen, ihr BWL-Studium mit Lapdance finanzieren und erneut verschwinden. Ihr Entschwinden und das für Sam besprochene Tonband koppeln diesen um Selbstanzeige wegen Drogenbesitzes wettenden Rasta und den Lehrer, der auch sein Vater sein könnte, in einer Suche nach ihr aneinander. Schmitzers straffem Spannungsbogen jedoch ist nicht an der Wiederherstellung einer unheilen Familie gelegen, sondern am Verweben existentiellen, jung alten Wundgewebes. Die Szenenabfolge in diesem grobkörnigen Action Movie ist rasant, ausgeklügelt das Hell-Dunkel-Spiel und energetisch die Figurenpsychologie. Schmitzers umgestellter und abgehackter Satzbau, der in seiner Vortragsweise wie ein Sog funktioniert, schlägt beim Selbstlesen unaufhörlich Haken. Das Kalkül dieses teils mundsprachlich gehämmerten Stop-and-go in Kleinschreibung schafft nicht immer den Mehrwert einer „feedback-verschleifung“, forciert aber Reflexionen des gesellschaftlichen Gewaltfundus und der individuellen Selbstfindung in Zeiten der Krisenhörigkeit. Punk-Leben oder Biedermeier-Liebe? Schmitzers Prosabrandung zwingt die Verhältnisse zwar nicht zum Tanzen, Widerstand erzeugt sie allemal.

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