In Johanna Sebauers Debütroman »Nincshof« arbeitet eine Gruppe schrulliger Verschwörer*innen tatkräftig daran, ihr burgenländisches Heimatdorf von der Landkarte und aus dem Gedächtnis verschwinden zu lassen.
Da sitzen sie, der Salmerak Valentin, die Rohdiebl Erna, der Striebensipp Josef und der Bürgermeister und träumen vom Verschwinden. Ihr ganzes Heimatdorf, Nincshof an der österreich-ungarischen Grenze, möchten sie der Welt entreißen. Sie nennen sich Oblivist*innen und huldigen dem Oblivismus, dessen Ziel es ist, »das passive Vergessenwerden aktiv herbeizuführen«.
Die vier verfolgen die Wiederherstellung eines Idealzustandes der Abgeschiedenheit, der Autarkie, der Beschaulichkeit. Denn Nincshof wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts von der Außenwelt entdeckt, als die umliegenden undurchdringbaren Sümpfe trockengelegt wurden. Aber was die Welt mit sich brachte, unter anderem Weltkriege, Obrigkeit und Bürokratie, hat den Nincshofern nie gefallen. 1921 hat’s den revolutionären »Waschweibern« des Ortes dann gereicht, mittels abenteuerlichem aber gescheitertem Entführungsplan wollten sie die Heimat freipressen. So erzählt es zumindest die Legende. Oder ist es doch wahr?
100 Jahre später jedenfalls heißt es endlich: back to the roots. Schritt für Schritt arbeiten sich die Oblivist*innen voran: Die Google-Suchtreffer für den Ort werden weniger, der Wikipedia-Eintrag über Nincshof, Bibliotheksbestände, Ortstafeln und Wegweiser verschwinden, Feste werden abgesagt. Wer bei der Gemeinde anruft, landet am Anrufbeantworter, das Gemeindearchiv ist neulich abgebrannt, Navis versagen und strategisch gut verteilte Jauche hält die Radtourist*innen fern.
Dokumentarfilme und trächtige Ziegen
Es läuft gut, wäre da nicht das zuagraste Paar aus Wien: Sie (Isa) Dokumentarfilmerin, die überall herumschnüffelt und vielleicht sogar einen Film über den Ort machen will, wer weiß? Jedenfalls stößt sie auf die Legende vom lange Zeit unentdeckten Nincshof und beginnt zu recherchieren. Er (Silvano) ambitionierter Ziegenzüchter, der mit seiner seltenen Rasse Ziegenwanderungen anbieten möchte und damit vielleicht doch noch Menschen in den Ort lockt. Dann wäre ja alles umsonst gewesen! Und als eine der Ziegen dann noch trächtig wird, was äußerst selten vorkommt und die ganze Welt per Livestream mitverfolgen kann, wird den Oblivist*innen schnell klar: Die Ziege muss weg!
Das alles und mehr erzählt Johanna Sebauer – selbst im Burgenland nahe der ungarischen Grenze aufgewachsen – in einem unaufgeregten Plauderton. Neben der sommerlichen Feel-Good-Story mit schrägen Charakteren und unglaublichem Inhalt wartet der Roman – meist in Rückblenden – auch mit ernsthaften Themen wie Liebe, Streit und Versöhnung, Krankheit und Trauma, dem Altern und allem, was dazugehört (wie Schwanger- und Elternschaft), auf. Ein pathetisches Happy End, auch das soll hier verraten sein, ist inkludiert.
»Nincshof« von Johanna Sebauer ist bei Dumont erschienen. Über ihr Leben mit dem Burgenland hat die Autorin außerdem schon in The Gap 186 unter dem Titel »Ein Versuch übers Sowohl-als-auch« geschrieben, hier nachzulesen.