Christoph Prenner bewegen bewegte Bilder – in diesem Kompendium zum gleichnamigen Podcast schreibt er drüber. Diesmal beleuchtet berichtet er, wie der amerikanische Traum in »Deli Boys« und »Government Cheese« dekonstruiert wird.

Schon einigermaßen gloomy and doomy geworden in letzter Zeit, was? Also nicht nur draußen in der permanent proaktiv aus den Angeln gehobenen Welt, sondern auch in diesen Niederschriften, die deren Bewegtbildfiktionen ausloten. Sicher, die rezente Awards-Season hat es nun mal an sich, vorrangig Werke in den Vordergrund zu rücken, die sich eher seriös mit brennenden Fragen von Politik und Gesellschaft auseinandersetzen – was sich dann freilich nicht immer als Quell unbeschwerten Hochgefühls entpuppt … Aber bei aller epischen Erhabenheit, mit der »The Brutalist« den amerikanischen Traum aus migrantischer Perspektive als einen das Individuum zermalmenden Albtraum deutet (wovon an dieser Stelle eh auch schon ausführlich und auch begeistert berichtet wurde): Das kann ja, bitte schön, nicht die alleinige Blaupause sein. Und ist es zum Glück auch nicht.
Marginalisierte Serien
Die Frühlingspielzeit, gemeinhin eher von der Bürde der Gravitasgenerierung entbunden, bringt nun alternative Aufrollungen von Szenarien, die jenem von »The Brutalist« im Kern nicht total unähnlich sind, – allerdings nicht in den Filmtheatern, sondern auf den an dieser Stelle zuletzt ohnehin etwas stiefmütterlich behandelten Streamingplattformen. Die beiden jeweils zehnteiligen Serien mit ihren prägnanten halbstündigen Episoden, um die es hier gehen soll, erheben dabei gar nicht den Anspruch, um jeden Preis prononciertes Prestigefernsehen sein zu wollen, wenn sie kenntnisreich von gern marginalisierten Randbereichen der Gesellschaft erzählen. Was natürlich nicht heißt, dass es ihnen an Impact mangeln würde – und eben ganz besonders nicht an Schmäh und Esprit.
Den Anfang macht »Deli Boys« (ab 25. April bei Disney+), eine ungehemmt freidrehende Crime-Comedy über zwei pakistanisch-amerikanische Rich Kids (ein unreflektierter Freigeist, ein naives Nervenbündel), die nach dem Unfalltod ihres Babas herausfinden, dass dessen Vermögen nicht aus der landesweiten Deli-Kette der Familie stammt, sondern aus dem Kokainschmuggel, der darüber abgewickelt wurde. Prompt in harsche, handfeste Machtkämpfe verwickelt, müssen sich die beiden Tunichtgute durch ein Szenario schlagen, das wahlweise »Breaking Bad« oder »Weeds« extrapoliert – mit weitaus weniger subtiler, südasiatisch scharfer Würzung, wohlgemerkt. In frenetischem Tempo wirbelt diese Show zwischen glorreich gorereichen Gangster-Hijinks, deftigem Schabernack und ultraspezifischen kulturellen Bezügen hin und her, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das so schrill und albern ist wie aufrichtig authentisch. Ja, dieser Struggle ist real – und verdammt unterhaltsam.
Regierungskäse
Höchst greifbar wird das Raufen mit dem amerikanischen Traum auch in »Government Cheese« (ab 16. April bei Apple TV+), wo es aus der Perspektive einer schwarzen Familie in einer sehr weißen Vorstadt der Sechzigerjahre inspiziert wird. Nach seiner Haftstrafe will Hampton Chambers (David Oyelowo) sein Leben wieder in geregelte Bahnen lenken, zumal seine Liebsten längst ohne ihn, in ihrem eigenen Groove zurechtzukommen scheinen. Mit seiner vermeintlich visionären Erfindung, einem selbstschärfenden Bohrer, will Hampton den Turnaround schaffen; doch prompt locken ihn einschlägige Bekannte mit windigen Plänen – schließlich gilt es ja auch, Altlasten zu begleichen. Wie lange lässt sich der angestrebte Pfad der Tugend beschreiten? Insbesondere, wenn ohnehin alle um einen rum jeden Schritt kritisch beäugen, weil sie einen für einen unbelehrbaren Kriminellen halten? Der auf den ersten Blick etwas verschroben wirkende Titel der Serie verweist auf einen aus diversen Käsesorten zusammengepanschten Schmelzkäse, der in den USA lange Jahre an Sozialhilfeempfänger verteilt wurde. ’s Reste-Eck vom Käs’ sozusagen, für das aus ganz wenig doch etwas mit Mehrwert gemacht wurde – eine vielsagende Allegorie für die Erfahrungen all der zahlreichen Menschen, deren Ziele und Träume mit ihren aktuellen Lebensumständen nicht in tune sind. Oder eben: noch nicht.
Apropos in tune: In der Ausführung schlägt »Government Cheese« unerwartete Töne an. Mit einem Arsenal exzentrischer Charaktere, die ebenso an die Inszenierungen eines David Lynch oder der Coen-Brüder erinnern wie die teils schwer surrealen Szenarien, wirft die Serie zwar immer wieder gesellschaftspolitische Fragen auf, beantwortet diese aber auch mal in einer Manier, die Leitplanken der Realität beherzt umcruist. Weniger die Auseinandersetzung mit systemischer Benachteiligung an sich steht im Fokus als vielmehr der kreative Einfallsreichtum, mit dem ihr begegnet wird. Eingefasst in superstilisierte, farbsatte Tableaus, die fast an Wes Anderson denken lassen (genug Namedropping!), gelingt dieser Serie damit in Zeiten allgemeiner Verunsicherung oft etwas nachgerade Erbauliches.
Was beide Produktionen letztlich verbindet, ist ihr offensiver Rückgriff auf Gesellschaftskommentare. Einordnung wird hier gerne auch im schrägen Detail gesucht, in den sonderbaren Volten des Alltags. Diese Realitychecks werden dann und wann mit dem Signum des Surrealen unterfertigt. Und das hat durchaus seine Logik, denn mitunter sind es gerade die verspielteren, wilderen Erzählweisen und eigenwilligen Tonlagen, das Chaos und die Übertreibung, die diese komplexen Verhältnisse am pointiertesten auf den Punkt bringen. Zwischen albern und abgründig, lakonisch und überdreht, Drama und Komödie wollen »Deli Boys« und »Government Cheese« wissen: Wenn die Wirklichkeit schon so hochgradig absurd ist, warum sollte man sie nicht auch entsprechend erzählen?
Christoph Prenner plaudert mit Lillian Moschen im Podcast »Screen Lights« zweimal monatlich über das aktuelle Film- und Seriengeschehen. Unser Kolumnist ist per E-Mail unter prenner@thegap.at zu erreichen. Ein Archiv findet sich auch unter www.screenlights.at.