Screen Lights: Trennungsscherz

Christoph Prenner bewegen bewegte Bilder – in diesem Kompendium zum gleichnamigen Podcast schreibt er drüber. Diesmal schwärmt er von der Workplace Comedy »Severance«. Schaudern und Schmunzeln sind bei diesem Serienneuling, der ab Freitag bei Apple TV+ zu sehen ist, nicht mehr klar zu trennen.

© Apple TV+ — Adam Scott in »Severance«

Dass diese elendige ewige Pandemie als einzige große Entzauberungsmaschine für alle möglichen fundamentalen Lebensgewissheiten zu fungieren wusste, das braucht man in deren drittem Frühling nun ja wahrlich niemandem mehr begreiflich machen. Ja, selbst lange herbeigesehnte Utopien haben in dieser Zeit massiv an Glanz und Strahlkraft verloren. Jene vom Homeoffice für alle etwa. Was hätte man noch im Februar 2020 dafür gegeben, nicht nur die (im besten Fall) vereinbarten ein, zwei Werktage vom eigenen Schreibtisch aus bestreiten zu können? Sondern jeden einzelnen, den Kontakt mit mühsamen Vorgesetzten und die Zeit für gemütszerschmetternde Teamzusammenkünfte dabei auf verabredete Dates im sozial distanzierten digitalen Raum beschränkend?

Die Ernüchterung folgte freilich auf den Fuß – und das rascher als die meisten vermutet hatten. Nein, der daily grind wurde auch dadurch nicht annehmbarer, dass man zwischen zwei Aufgaben kurz mal die Wäsche aufhängen oder Jour fixes in der Pyjamahose bestreiten konnte. Vielmehr vermischten sich privates und berufliches Leben binnen Kurzem in unangenehmer, unentwirrbarer Manier, endete der Arbeitstag nun nicht mehr mit dem Verlassen des Office Spaces, sondern mit dem letzten, echt nur ganz kurzen Checken der Mails knapp vorm Schlafengehen. Ja, man musste sich nicht mehr »noch ein wenig Arbeit« mit nach Hause nehmen. Diese wartete dort schließlich eh schon zu jeder Tages- und Nachtzeit.

Radikale Work-Life-Balance

Wie verlockend erscheint angesichts dieser Optionen – zumindest auf den ersten Blick – die Prämisse, mit der der Serienneuling »Severance« aufwartet. Die im Titel angekündigte Trennung ist darin nämlich durchaus wortwörtlich zu verstehen: Auf freiwilliger Basis können sich die Angestellten des Konzerns Lumon Industries einem invasiven Prozedere unterziehen, das ihr Arbeits-Ich von ihrem privaten Ich gewissermaßen entkoppelt. Sobald zum Beispiel Langzeitmitarbeiter Mark (Adam Scott) in dieser radikalen Version von perfekter Work-Life-Balance im Aufzug im steril stylishen Retrogroßraumbüro angekommen ist, um dort einer für ihn kaum nachvollziehbaren Tätigkeit nachzugehen, sind sämtliche Erinnerungen an das übrige Leben wie ausgelöscht.

»Severance« (Foto: Apple TV+)

Das ganze Konzept funktioniert naturgemäß auch in die andere Richtung. Kein Arbeitsstress soll den Feierabend belasten, kein persönlicher Seelenschutt umgekehrt im Job in die Quere kommen. Friktionsfreies Funktionieren, aus freien Stücken, mit gesprengten Brücken: das zynische Beste beider Welten, ein feuchter Mehrwerttraum. Zumindest so lang man die Routine (und damit sich selbst) nicht zu hinterfragen beginnt oder gar versucht, hinter die Kulissen dieser schönen neuen Arbeitswelt zu schauen – so wie Neo-Kollegin Helly (Britt Lower), die sich ihrem selbstgeschriebenen Schicksal nicht und nicht ergeben möchte: selbst eine unerwartete Disruptorin in der hochglänzend rausgeputzten Disruptionsendstation.

Die nächste Evolutionsstufe

Verführerisch und gewiss nicht verkehrt also, diese in großen Teilen von Ben Stiller inszenierte und auch noch mit Ikonen von Patricia Arquette bis Christopher Walken besetzte High-Concept-Show als besonders beklemmende nächste Evolutionsstufe des sich bleibender Beliebtheit erfreuenden Genres der Workplace Comedy aufzufassen. Selbiges hatte sich in den letzten Jahren ohnehin schon weit von seinen arglosen Anfängen entfernt, in denen den Mühen des nine to five zwar immer schon mit oft widerwilliger, meist stiller Akzeptanz begegnet wurde, das allerdings – von »Taxi« über »Scrubs« bis »Parks and Recreation« – nie auf Kosten des Gaudiums des Publikums gehen durfte.

Britt Lower in »Severance« (Foto: Apple TV+)

In dieser Produktion für – ausgerechnet! – Apple TV+ bleibt einem das Lachen hingegen schon mal im Halse stecken. Wo sich die Verzweiflung im bislang beißendsten Abgesang auf die exzesskapitalistische Einbahnstraßenmentalität, dem drei Staffeln lang leider recht unbeachteten Seriengeniestreich »Corporate«, zumindest noch via unverhohlenen Zynismus ein Ventil verschaffen durfte, ist der Humor in »Severance« gleichsam schockgefroren – dabei jedoch keineswegs komplett verloren.

Als ob sich die zwei Charlies Kaufman (»Eternal Sunshine of the Spotless Mind«) und Brooker (»Black Mirror«) für einen Remix von »The Office« zusammengetan hätten, liegt der Fokus dieser neuen Sorte von Arbeitsweltabrechnung nunmehr darauf, die Entmenschlichungsmechanismen der Corporate Culture nicht allein mit schneidender Satire zur Kenntlichkeit zu entstellen, sondern bei dieser Mission auch noch die wirkmächtigen Toolsets von Sci-Fi-Surrealismus und Paranoiathriller zum Einsatz zu bringen. Schaudern und Schmunzeln sind so in dieser Betriebsverstörung in Endlosschleife irgendwann nicht mehr klar zu trennen – etwa, wenn man dem eigenen ausgebeuteten Arbeitsego im fortgeschrittenen systembedingten Selbstverlust via Video ausrichtet: »I am a person, you are not.« Die große Entzauberungsmaschine, sie wurde unverkennbar grade erst einmal angeworfen.

Christoph Prenner und Lillian Moschen plaudern im Podcast »Screen Lights« zweimal monatlich über das aktuelle Film- und Serien­geschehen – sie treffen sich dafür freilich in keinem seelenlosen Office Space, sondern in den lauschigen Räumlichkeiten des Avalon Kultur im achten Wiener Gemeindebezirk. Unser Kolumnist ist per E-Mail unter prenner@thegap.at zu erreichen bzw. auf Twitter unter @prennero zu finden.

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